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Alle Zeit der Welt- Thomas Girst-Hanser



Dr. Thomas Girst, der Autor dieses Werkes, wurde 2016 als "Europäischer Kulturmananger des Jahres" ausgezeichnet.

Das vorliegende Buch enthält 28 kurzweilig zu lesende Geschichten, die von Menschen handeln, die sich Zeit genommen haben und zwar eine solche, die von innen nicht hohl ist. 

Girst stellt fest, dass die Echokammern der Eitelkeit überall in den sozialen Netzwerken kontinuierlich den Performance- und Leistungsdruck fürs optimierte Egobranding aufbauen würden. Dabei befänden sich die Big Five des Silicon Valley – Facebook, Amazon, Microsoft, Googles Alphabet und Apple beim Buhlen um die Gunst der Kunden im konstanten Aufmerksamkeitswettbewerb. Der Autor vergisst nicht zu erwähnen, dass es die Algorithmen ihrer Serviceleistungen sind, die all unsere Wünsche, Schlüsselreize und Instinkte, immer mit dem Versprechen sofortiger Bedürfnisbefriedigung und Genussgratifikation bedienten. 

Nicht wenige Pioniere aus den Silicon Valley würden die in der Ära des Internet grassierende "Zerhackstückelung" unserer Zeit als zwischenzeitlich ernst zu nehmende Gefahr für unsere Gesellschaft wie auch für unsere zwischenmenschlichen Beziehungen sehen. 

Sich Zeit zu nehmen und dabei bei auch Unvollendetes als Dauerzustand anzuerkennen, das haben  selbst einige namhafte Künstler sich erlaubt. 2016 wurden 200 Arbeiten im Metropolitan Museum in New York im Rahmen der Ausstellung "Unfinished. Thoughts left Visible" von der Renaissance bis zu Gegenwart gezeigt, von denen viele nie beendet wurden. So haben selbst Michelangelo, Tizian und Rodin solche Werken hinterlassen. Keiner weiß, weshalb beispielsweise Schubert seine 8. Symphonie unvollendet ließ. 

Wie auch immer, die 28. Geschichten im Buch  sind stets abgeschlossen, auch die Geschichte, die den Titel "Sprezzatura" trägt und in der zu lesen ist, dass interessenlose Lustlosigkeit zu Stumpfsinn und Monotonie führe. Hier zitiert der Autor eine Stelle aus dem "Zauberberg" von Thomas Mann, die ich an dieser Stelle nicht grundlos wiedergeben möchte: 

"Große Zeiträume schrumpfen bei ununterbrochener Gleichförmigkeit auf eine das Herz erschreckende Weise zusammen; wenn ein Tag wie alle ist, so sind sie alle wie einer; und bei vollkommener Einförmigkeit würde das längste Leben als ganz kurz erlebt werden und unversehens verflogen sein."

Sich Zeit zu nehmen, ohne dabei in Lethargie zu verfallen, das ist eine Kulturtechnik, die es zu bewahren oder zu erlernen gilt. Weshalb nicht mit der Lektüre der 28 Geschichten beginnen? 28  Abende sind mehr als ein Tag...

Sehr empfehlenswert 

Helga König

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