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Rezension:Das dreizehnte Kapitel (Gebundene Ausgabe)

Martin Walser hat mit seinem Briefroman "Das dreizehnte Kapitel" keinen Liebesroman, sondern einen Roman über die Liebe vorgelegt. Er nimmt dabei Bezug auf den 1. Brief der Korinther, Kapitel 13, dem Hohelied der Liebe und zeigt anhand seiner Beziehungskonstruktionen, in welcher der Beziehungen man von wahrer Liebe sprechen kann. 

Der wortgewaltige, selbstverliebte Schriftsteller Basil Schlupp ist zu einem Festessen beim Bundespräsidenten auf Schloss Bellevue eingeladen und zwar gemeinsam mit seiner Ehefrau Iris. Bei Tisch hat er nur Augen für Maja Schneilin, einer Professorin für evangelische Theologie. Sie ist auch verheiratet und ebenfalls mit ihrem ehelichen Pendant zugegen.

Basil, der verbale Verführer, setzt sich in Szene, um die Aufmerksamkeit der blitzgescheiten und dazu offenbar noch optisch attraktiven Theologin zu erringen, doch diese nimmt ihn nicht zur Kenntnis. Stattdessen konzentriert sie sich höflich auf ihren Tischherrn. Bei ihm handelt es sich um einen Hirnchirurgen, der sie pausenlos mit allerlei Späßchen zu erheitern sucht. 

Der Ich-Erzähler Basil Schlupp beschreibt die Veranstaltung auf Bellevue haarklein im Vorspann zu dem anschließend dargebotenen Briefwechsel und erweist sich hier als gekonnter Chirurg der Szenerie. Wortreich seziert er die Veranstaltung und lässt den Leser an seinen Eindrücken, die nicht frei von Ironie sind, teilhaben.

Der selbstverliebte Gockel pirscht sich im ersten Brief an Maja, diese arglos stimmend, als "verheirateter Mann" heran. Dabei sucht er den gedanklichen Austausch mit ihr und zwar in erster Linie, um sie für sich einzunehmen. Er kann es offenbar nicht ertragen, nicht gesehen zu werden und leidet daran, von Maja übersehen worden zu sein. Seine Bemerkung "Ich sah Sie und war verloren", (Zitat S. 183), sollte man m.E. nicht als Liebeserklärung an Maja auffassen, sondern als Beschreibung eines Gefühlszustandes, den Basil hatte, als ihm nicht die nötige Aufmerksamkeit gezollt wurde. 

Der Schriftsteller beginnt in seinem Briefwechsel sogleich Begebenheiten aus seiner Ehe auszuplaudern und mittels dieses Verrats seine Briefpartnerin allmählich, scheinbar für sich zu gewinnen sowie ferner die Theologin zu analogem Verrat zu motivieren. Das macht er wirklich gekonnt. Der Verrat und die damit verbundene Erhöhung des Gegenübers schafft die Nähe, die der Wortverführungskünstler braucht. Dass er sich an Maja die Zähne ausbeißen wird, ahnt er noch nicht. 

 Natürlich findet der Dialog, der sich zwischen beiden Intellektuellen entspinnt, auf höchstem Niveau statt. Maja bekennt hier u.a. dass eine Empfindung, die religiös genannt werden kann, das Erlebnis vollkommener Geschichtslosigkeit sei. Mit einem Wort, das reine Hier und Jetzt. Ansonsten nichts, (vgl.:S.75). Demnach ist die Liebe für die Theologin eine religiöse Empfindung. Genau diese aber stellt sich bei den beiden Briefeschreibern zueinander nicht ein. 

Zwar sagen sie einander, was sie keinem Dritten sagen können und was sie ungesagt jedoch nicht zu ertragen in der Lage sind, analysiert Maja messerscharf, doch daraus ergibt sich noch lange nicht die seelische Nähe, die Liebe möglich macht. Die Nähe bleibt eine rein gedankliche.

Motiv des Briefwechsels ist für Basil m.E. in erster Linie eine seelische Verletzung, die durch das Verhalten seiner Gattin Iris herbeigeführt wurde, durch die er sich verraten. Basil verrät insofern seine Ehe, weil er sich von Iris verraten fühlt. Das aber wagt er nicht zu sagen und schon gar nicht sich einzugestehen. Der Katholik beichtet der evangelischen Theologin den entdeckten Verrat, den seine Frau an ihm immer wieder begeht, indem sie sich mit ihrer alten Liebe, die mittlerweile schwerkrank ist, stets aufs Neue trifft und dieser Beziehung offenbar ein Buch zu widmen sucht, das den Titel "Das 13. Kapitel" trägt. Immer dann, wenn eine Begegnung mit ihrer alten Liebe stattfand, spricht sie einige Tage nichts mit Basil, tut Buße, wenn man so will, verordnet sich Schweigephasen, um sich dann erneut in ihre Ehe einbringen zu können. Für Iris ist die Liebe demnach ein religiöses Gefühl. 

Sie findet offenbar bei ihrer alten Liebe etwas jenseits allem Geschlechtlichen, was Basil nicht zu geben vermag, denn der Schriftsteller kann zwar prophetisch reden, weiß viele Geheimnisse, hat Erkenntnis, etc., besitzt aber keine erkennbare Liebesfähigkeit und ist klug genug, um zu wissen, dass ihm damit alles fehlt. Maja, auch Iris verfügen über die höheren Gnadengaben, von denen im Hohelied gesprochen wird. Sie ertragen alles, glauben alles, hoffen alles und halten allem stand. 

Der Leser wünscht Basil, dass auch ihm die höheren Gnadengaben zu Teil werden. Dazu ist es aber notwendig, sich seiner Eitelkeiten zu entledigen. Solange ihm dies nicht gelingt, bleiben seine Buchstabenketten Hängebrücken über einem Abgrund namens Wirklichkeit. In seiner Wirklichkeit gibt es nur Gedanken an die Liebe, doch Basil ist leider nicht erfüllt von ihr. Insofern ist er eine tragische Gestalt. Empfehlenswert. 

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