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Rezension:Wie ich lernte, die Frauen zu lieben. Die amourösen Erinnerungen des Andras Vajda (Gebundene Ausgabe)

"Alles kommt von anderen zu uns...
Sein heißt jemanden gehören." (Jean Paul Sartre)

Stimmt das wirklich, was Sartre hier gedanklich festhält ?

Der Protagonist dieses zu Recht hochgelobten Romanes ist der in die Jahre gekommene Philosophieprofessor Andras Vajda. Dieser erinnert sich an die Zeiten von seiner Puberträt an bis etwa zu seinem 40. Lebensjahr und hier in erster Linie an seine vielen Frauenbeziehungen. Ein hübsches Kind scheint der Ungar Andras gewesen zu sein, den die Freundinnen seiner Mutter gerne an ihre Brust drückten und im Pubertierenden schließlich den sexuellen Hunger- insbesondere auf reifere Frauen- weckten.
Als Andras während des Krieges von seiner Mutter getrennt wird, und viele Tote sieht, bildet sich bei ihm die Einstellung eines Libertins heraus. Er konstatiert, dass Menschen, die zu viele Leichen gesehen haben, offenbar die Hemmungen vor lebenden Körpern verlieren. Im Flüchtlingslager lernt er Prostitution kennen und arbeitet für die Amerikaner als Übersetzer, Mittelsmann und Kuppler. Er erkennt, dass die Werte, die Frauen in heimischer Umgebung wichtig waren, in den Flüchtlingslagern nicht von Belang sind. Diese Frauen fragen nun errötend Vajda - nicht selten in Gegenwart ihrer schweigenden Ehemänner und Kinder - ob die Soldaten Geschlechtskrankheiten hätten und was sie ihnen bieten könnten.
Die Frauen prostituieren sich primär um ihre Familien vorm Verhungern zu retten, sind gewissermaßen aufopferungsvolle Göttinnen der Tugend.


Der Ich-Erzähler Andras lässt aber nicht unerwähnt, dass die Amerikaner häufig jünger und hübscher waren als die Ehemänner und die Stunden mit den Liebhabern unter Umständen durchaus auch eine amüsante Abwechslung darstellen konnten. Dererlei Betrachtungen seitens des Protagonisten haben niemals einen süffisanten, entwertenden Charakter, denn Andras liebt die Frauen mit all ihren Stärken und Schwächen. Er ist geradezu vernarrt in das weibliche Geschlecht.


Er ist insofern der ideale Frauenmann, aus dessen Munde das ungarische Kosewort "mein süßes Fleisch" die von ihm geliebten Frauen keineswegs nur auf ihren Körper reduzierte. Noch bevor Andras die Uni besucht, erkennt er, dass gleichaltrige Mädels aufgrund seiner ungestümen sexuellen Lust nicht die geeigneten Partnerinnen für ihn sein können. Ständig an ihre Junfernschaft denkend, teilweise verklemmt und in der Folge frigide, stehen sie im Grunde seiner Jungmänner - Promiskuität im Wege. Deshalb wendet er sich Frauen in den mittleren Jahren zu, die seinen sexuellen Appetit teilen und diesen ungehemmt durch gemeinsames Tun befriedigen möchten.


Während er immer wieder erotische Beziehungen zu verheirateten Frauen eingeht, von denen er weiß, dass sie nur die Lust mit ihm genießen, aber keine Ehe mit ihm eingehen wollen, befasst er sich in seinem Studium beinahe beiläufig, wie es scheint, mit den Schriften Kierkegaards, aber auch mit der elenden Lage Ungarns in den 50er Jahren und berichtet von der Geschichte der Niederlagen und vom Überleben seiner Landsleute, deren Köpfe voller Katastrophen sind, die sie beinahe vernichtet hätten. Noch als Andras seine Doktorarbeit zu Sartres "Theorie der Selbsttäuschung, angewandt auf seine eigene Philosophie" verfasst, gelten seine primären Gedanken fleischig weichen Lippen, festen Brüsten, den Innenseiten der Schenkel und der Quelle des Mysteriums Frau.


Diese Quelle immer wieder neu zu entdecken und ihr lustvoll zu huldigen ist das wahre Bestreben des jungen Vajdas, der fast ein wenig resigniert zu Ende des Romans resümiert: "Aber die Abenteuer eines Mannes im mittleren Alter sind eine andere Geschichte."

Ein kurzweiliger, keinesfalls frauenfeindlicher Roman, von gedanklich hohem Niveau.

Empfehlenswert!

Rezension:Schweigeminute (Gebundene Ausgabe)- Siegfried Lenz

Bevor ich diese wundervolle Novelle von Siegfried Lenz heute früh gelesen habe, blätterte ich zunächst in dem schmalen Büchlein und blieb an folgenden Sätzen hängen: "Sie lächelt wirklich, sagte sie,"

Hier richtet eine Liebende ihren Blick völlig auf ihr Herzens - Du und vermag das, was dieses an sie aussendet vollständig wahrzunehmen. Lächeln, nicht nur mit den Augen, sondern mit der gesamten Haut als Einladung zur körperlichen Liebe und seelischen Verschmelzung. Ein sehr schönes, poetisches Bild.

Der 18 jährige Christian geht auf der Gedenkfeier zum Tod seiner Geliebten seinen Erinnerungen nach. Einen Sommer lang waren Stella und Christian ein Liebesspaar. Ihre innige Zuneigung durften sie allerdings öffentlich nicht zeigen, denn die schöne Stella war zeitgleich Christians Englischlehrerin. Die Novellenhandlung spielt irgendwo an der Ostsee.

Lenz zeichnet sprachlich eine Fülle wunderschöner Küstenimpressionen, die die Plattform der zarten Liebesgeschichte bilden. Allein das Meer ist tückisch und entreißt zum Ende des Sommers dem Liebenden seine große Liebe. Stella verunglückt und kann nur noch in seinem Herzen fortleben.

Die Novelle des Ostpreußen Siegfried Lenz erinnert mich stilistisch an den Roman "Wellen" des Ostpreußen Eduard von Keyserling. Es ist eine ganz ähnliche Melancholie, die über dem Erzählten liegt, eine Gefühlslage, die möglicherweise nur ostpreußische Seelen hervorzubringen vermögen. Christians Mutter, die im Sommer ein unverfängliches Foto der beiden Liebenden betrachtet, spürt die innere Bindung des Paares "Wie sie dasitzen am Strand, vergnügt Hand in Hand, mit seiner Lehrerin Hand in Hand, und wie sie sich anschauen: Du musst glauben sie hätten aufeinander gewartet."

Christian und Stella haben aufeinander gewartet, doch sie sind sich in der falschen Zeit und am falschen Ort begegnet. Durch Stellas Tod allerdings kann ihrer beider Liebe unsterblich werden.

Empfehlenswert.

Rezension:Das Buch Ich # 9: Eine Reportage (Gebundene Ausgabe)

Der Schriftsteller Richard Powers berichtet in dieser Reportage von der Entschlüsselung seines Genoms. Er erhält die Chance als 9. Mensch auf dieser Erde dieses vollständig entschlüsselt zu bekommen.

Zunächst ist er sich nicht sicher, ob er überhaupt wissen möchte, was seine Gene über ihn verraten. Der Mensch hat etwa 6 Millionen Genbausteine. Das so genannte diploide Genom enthält fast so viele Einzelinformationen, wie es Menschen auf der Erde gibt. Powers unterstreicht, dass man, um das Genom eines einzelnen Menschen zu veröffentlichen, 12 000 Bücher von etwa 250 Seiten mit jeweils 500 000 Buchstaben benötigt.

Kritisch hinterfragt der Autor, ob wir alle tatsächlich bereit sind, mit all unseren genetischen Risiken und Charaktereigenschaften konfrontiert zu werden, ob wir wirklich so weit sind, unser genetisches Erbe publik zu machen "unsere Daten in den großen Informationsfluss der genetischen Erkenntnis einzuspeisen?"

Powers fragt sich, ob Genforscher je nach in der Lage sein werden, aus den Allelen eines Menschen etwas über dessen Persönlichkeit herauszulesen. Dabei denkt er an geheimnissvolle Eigenschaften wie Wärme, Spontanität, Humor etc. ,(vgl:S.398).

Wie dem auch sei, irgendwann hält er einen USB-Stick mit seinen persönlichen Gendaten in den Händen und fragt sich, was er nun tatsächlich Neues weiß. Er schreibt: "Ich weiß jetzt, dass ich 248 genetische Varianten in mir habe, die mein Risiko erhöhen an ungefähr 77 Krankheiten zu erkranken. Der alte, müde Rat jedes Arztes -essen Sie gesünder, bewegen Sie sich mehr, leben Sie entspannt, nehmen sie Anteil an der Welt- bekommt plötzlich auf der Molekülebene eine neue Autorität.." Sind solche Infos eine Drittelmillion Dollar wert, rätselt am Ende der Reportage Richard Powers.

Eine Frage, die sich nicht leicht beantworten lässt, wie ich finde, obschon sich ein Nein einfach über die Lippen bringen ließe.

Ein Text, der zum Nachdenken anregt.


Rezension:Am Beispiel meines Bruders (Gebundene Ausgabe)

In seinem neuen Buch befasst sich Uwe Timm (Jahrgang 1940) mit seiner Herkunftsfamilie. Eindringlich hinterfragt er das Denken und Handeln seines um viele Jahre älteren Bruders, der Mitglied der SS-Totenkopfdivision war und reflektiert am Beispiel seines Vaters "die kranke Generation , die ihr Trauma" (nicht länger als Herrenmenschen gesehen zu werden) "im Wiederaufbau verdrängten."
Ausschlaggebend für das Buch waren, laut Timm, die Tagebuchaufzeichnungen und Feldbriefe seines Bruders, die dieser aus der Ukraine schrieb und in denen er "geschliffen" und enthumanisiert durch seine "SS-Elite"-Ausbildung, monoton den Kriegsalltag schildert, ohne sich dabei in Details zu verstricken. Sein konkretes Tun bleibt nebulös.



Uwe Timm, der sich intensiv mit den Machenschaften der Soldaten in Russland und der Ukraine befasst hat, weiß um den Massenmord in Babij Jar, einer Schlucht in der Nähe von Kiew. Dort wurden 33 771 Juden seitens eines Sonderkommandos eines deutschen Polizei-Regimentes exekutiert. Zu welchen Handlungen war sein Bruder fähig? Timms Bruder starb, aufgrund seiner schweren Kriegsverletzungen, im Jahre 1943 und wurde irgendwo in der Nähe von Minsk beerdigt. Sein Tagebuch endet mit dem Hinweis, dass er es "für unsinnig halte, über so grausame Dinge, wie sie manchmal geschehen, Buch zu führen"

Die Elterngenerationen verdrängte nach dem Ende der Nazi-Zeit die Gräueltaten, welche seitens der Deutschen, während des 2.Weltkrieges, begangen worden waren und schwieg. Der Autor analysiert Verstocktheit und Trotz, aufgrund politischer und mentalitätsmäßiger Entmachtung. Doch nach 1945 war die Herrenmensch-Attitüde noch lange nicht untergegangen und der "Mythos Blut" genügte, um zum Herrenvolk zu gehören. Der Herrschaftsanspruch, so Timm, wurde nun zu Hause, im Privaten ausgelebt.


Die Vätergeneration existierte vom Erzählen und Verschweigen. Man suchte nach Ausflüchten und Erklärungen, weshalb der Krieg verloren war. Die Frage nach Schuld wurde nicht gestellt und die Gründe für Grausamkeit und Tod wurden auch nicht ermittelt. Timms Vater, der nach dem Kriege eine kurzfristige materielle Blüte, bedingt durch ein prosperierendes Kürschner-Geschäft, erlebt, stürzt, als die wirtschaftliche Situation sich verschlechtert, in den sozialen Abgrund. Er stirbt daraufhin, - noch nicht alt- und hinterlässt seiner Frau und seinen Kindern eine Fülle von Problemen. Uwe Timm hat sich das Bedrückende seiner Jugend von der Seele geschrieben. Gleichwohl spürt man, dass er, wie viele seiner Generation, im Grunde keine wirklichen Antworten auf die Verrohung und die mangelnde Vernunftsorientierung der Nazi- Generation findet.

Ein unbedingt empfehlenswertes Buch!

Rezension: "Die Fremde"- Sandor Marai

Victor Askenasi ist eine Kapazität im Fachbereich Orientalistik. Viele Jahre hat er als Professor an der Sorbonne gelehrt und ein großbürgerliches Leben geführt. Die Affäre mit der Tänzerin Eliz hat ihn offenbar aus der Bahn geworfen. Freunde und seine Ehefrau Anna befürworten eine Reise, die ihn an die dalmatinische Küste verschlägt. Dort gelingt es ihm allerdings nicht zu sich und seinem bürgerlichen Leben zurückzufinden. Er wird immer gereizter, will sich im Grunde nicht nur der Konventionen, sondern wohl auch seinem bisherigen Leben entledigen. Victor hält innere Monologe, rebelliert und begeht im Wahn einen Mord.



Der Sprachwissenschaftler zerbricht daran, dass er die Sprache seines Lebens nicht zu deuten vermag und letztlich das Glück, das er offenbar sucht, nirgendwo finden kann. Askenasi versucht das Fremde, das ihn quält und zum Wahnsinn treibt, zum Schweigen zu bringen und tötet daraufhin eine ihm völlig fremde Frau. Durch diese absurde Tat gerät er schließlich restlos in den Zustand des Wahnsinns. Ein beklemmender, irritierender Roman, dessen großes Thema die Verzweiflung eines Menschen an sich selbst ist. Der Text wirkt düster und ohne einen Schimmer Hoffnung. Mir erscheint das Buch irgendwie fragmentarisch. Kein Roman für trübe Tage!