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Rezension: Elyssa-Königin von Karthago- Irene Vallejo-Diogenes


Die Philologin Irene Vallejo ist als Autorin des Bestsellers "Papyrus" bekannt geworden. In Spanien wurde sie mit diesem Sachbuch mit den wichtigsten Literaturpreisen ausgezeichnet. Das Werk "Papyrus" wurde in 37 Sprachen übersetzt. Jetzt erzählt die Kennerin der Antike in ihrem Roman "Elyssa" die "Aeneis" von Vergil aus weiblicher Sicht. 

Dies  vorab: Vergleiche anzustellen, liegt mir fern, da ich Vergils Publikation in ihrer Gesamtheit nur aus Buchzusammenfassungen kenne. 

Aeneas, der Gründungsvater Roms,  ist der Sohn des trojanischen Königs Anchises und der Göttin Aphrodite. Der mutige trojanische Kämpfer entkommt aus dem brennenden Troja mit seinem kleinen Sohn Iulus und Gefolgsleuten, verliert zu Beginn der Flucht seine Frau Kreusa und leidet an Schuldgefühlen.

Beschützt von den Göttern, muss er sein Schicksal erfüllen. Dieses besteht darin, eine neue Stadt zu errichten, die zur Blüte gelangen soll. Bei dieser Stadt handelt es sich wie schon erwähnt um Rom, was er zu diesem Zeitpunkt nicht weiß. 

Auf seinen Irrfahrten erleidet der Königssohn Schiffbruch vor der neu gegründeten afrikanischen Stadt Karthago und wird von der dortigen Königin Elyssa gerettet, entgegen den Wünschen ihrer argwöhnischen Untertanen, die die Schiffbrüchigen töten wollen, weil sie Feinde in ihnen sehen. Für sie sind Schiffbrüchige nicht sakrosankt.

Elyssa erkennt in Aeneas allerdings einen königlichen Leidensgenossen, weil auch sie einst als Königstochter aus ihrer Heimat fliehen musste und erst in der Folge- in einem Kraftakt- Karthago erbaute. 

Die Karthager sind ein kriegerisches Volk, das wird im Buch sehr gut aufgezeigt. Aeneas hat durch seine schrecklichen Kriegserfahrungen anderes im Sinn als Menschen niederzumetzeln. Er weiß, dass durch Kriege keine blühenden Städte entstehen können. Dazu benötigt man eine friedliche Haltung.

Im Buch kommen abwechselnd Aeneas und seine Sicht der Dinge, Elyssa, ihre Halbschwester Anna, eine Hellsichtige, der Dichter Vergil und der Gott Eros und deren Sichtweise zur Sprache. Dieser Wechsel an Perspektiven finde ich überaus spannend.

Aeneas und Elyssa werden vorübergehend zum Liebespaar, doch das Schicksal befördert durch Neid, Missgunst und Niedertracht seitens von Gefolgsleuten der Königin trennen die beiden Liebenden und führen letztlich zum Selbstmord Elyssas. Auch Aeneas stirbt als Opfer von Schwerter und Zwietracht nachdem er die Ufer des Tiber erreichte, "doch einige Zeit später erblühte nicht weit von dem Grabmal auf den sieben Hügeln von Latinum eine Zivilisation, an die man sich ob der grandiosen Architektur ihrer Gesetze erinnert, eine Zivilisation, die den gesamten Mittelmeerraum unter ihrer Herrschaft vereint und Brücken und Straßen erbaut hat, um die von ihr niedergezwungene Völker zu verbinden." (315) Ihren Bewohner, so liest man zu Ende des Romans,  galt Aeneas als "der Vater von Roms". 

Die sehr dicht geschriebene, beklemmende Geschichte von Liebe und Tod beinhaltet eine Stelle in einem Kapitel, die der Sichtweise von Eros gewidmet ist. Hier liest man: "Die Menschen lieben einander auf unvorhergesehene Weise… Warum führen die Hindernisse dazu, sich auf ein Ziel zu versteifen, während sie andere dazu bringen aufzugeben? Warum entsteht Liebe zwischen zwei Sterblichen nie mit gleicher Intensität? Warum spürt der eine seine tiefe Sehnsucht so klar, während der andere Schwäche zeigt, sein Herz mutlos wird und strauchelt? Merkwürdiges Paradox der Vergänglichen: Liebe ist eine verbreitete Erfahrung, aber nur selten im gleichen Maß, die Waage ruht nie im Gleichgewicht.“ (279) 

Darüber nachzudenken, scheint mir lohnenswert. Verhält es sich stets in dieser Weise wie Eros annimmt? Fast scheint es so, wie viele berühmte, historische Beispiele zeigen.

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Von nahen Dingen und Menschen-Hanns-Josef Ortheil-Dumont


Hanns-Josef Ortheil, der Autor dieses Buches, ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Literarisches Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. 

Sein jüngstes Werk enthält eine Vielzahl kleiner Prosatexte, deren Inhalt das Zeitgeschehen der letzten fünf Jahre berührt. Ein Tagebuch ist es nicht, obschon die Inhalte auch Privates streifen und viel von Ortheils Art und Weise den Alltag zu bewältigen -selbst in Krisenzeiten- offenbaren. 

Man lernt den Autor als Musikkenner und –liebhaber kennen, der diesbezüglich auch ein Buch empfiehlt, gemeint das Nachschlagwerk "Musik" von Roger Willemsen im Rahmen des Textes „Begegnung mit Roger Willemsen". In diesem Text geht Ortheil in seinen Erinnerungen zunächst zurück in das Jahr 1987, wo er Roger Willemsen erstmals begegnete und wandert in wenigen Sätzen hin, zu weiteren zufälligen Begegnungen mit seinem ihm geistig offenbar sehr verwandten Kollegen. Der Text, eine Verbeugung vor dem viel zu früh verstorbenen Intellektuellen, die spürbar von Herzen kommt...

Hanns-Josef Ortheil scheint ein Einzelgänger mit vielen Freunden zu sein. Ist so etwas möglich? Ja!  Und es muss kein Widerspruch sein. Das beweist er in seinen Texten.

Ob seine Liebe für gute Speisen und Getränke ihn zum Waldspaziergänger gemacht haben, kann man nur vermuten. Als Einzelgänger ist er dort "einfach nur unterwegs" und am liebsten wäre er -  wie in den alten stillen Tagen - allein. Das aber kann er in Zeiten der "Waldbadenden" und Jogger vergessen. Doch Ortheils Interessen sind so vielfältig, dass er immer wieder Momente der Selbstversunkenheit erleben kann, eben nicht nur im Wald. 

So liest man irgendwann die Sätze des Pianisten Ortheil wie etwa "Klavierüben ist kein ödes Pflichtprogramm für Menschen, die sich eine fade Disziplinierung antun wollen. Im Gegenteil: Als Übender und Spielender berührt man ein Instrument, und diese Berührung ist ein extrem libidinöser Vorgang. Spielt man mit Freude, ist immer auch Liebe im Spiel. Man spielt mit dem Instrument, man spielt für andere, man spielt mit dem Universum." Soweit Ortheils Anteilnahme an allem in stillen Stunden am Klavier.

Der Autor lebt und erlebt die Coronazeit, die Veränderung seiner Freunde in dieser Zeit und natürlich die Gespräche, die ums Impfen kreisen. Seine Freunde übrigens empfinden das Leben in den Twitter- oder Instagram-Rhythmen der sozialen Medien inzwischen nicht mehr als lebenswert, da Themen und Kommentare für wenige, flüchtige Momente eine Scheinbedeutung erhielten, die sich lautstark darstellen müssten, weil sie am nächsten Tag wieder verpufft seien. Wen wundert es, dass  Hanns-Josef Ortheil sich in diesem Metier nicht erkennbar bewegt? Von Freunden gut beraten...

Und immer wieder ist Köln ein Thema, dann u.a. auch Frankfurt und hier beschenkt er die Leser mit einer Anekdote, in der der Philosoph  Adorno eine Rolle spielt. Adorno, schon lange tot, doch seine Bücher begeistern noch immer, vielleicht heutzutage nicht mehr alle jungen, intellektuell aufgeschlossenen Menschen... Diese aber finden gewiss an der Aneinanderreihung von Emojis Freude, sofern sie wie Ortheil anmerkt, eine kleine Geschichte des Empfindens, sogar im Diminuendo erzählen. 

Kaum ist man relaxt durch den einen oder anderen Prosatext des Autors, weil man sich dabei wie auf einem kurzweiligen Spaziergang fühlte, wird man aus den Träumereien gerissen durch Texte wie "Putins Krieg" und "Lagerbildungen seit Kriegsbeginn". Der Krieg ist (eben) immer allgegenwärtig und legt sich mit seinen Nachrichten und Bildern wie ein nicht fassbares Zweitleben auf den gegenwärtigen Alltag“(S.206) Dem kann man nicht widersprechen. 

Nachdenklich stimmen die "Vierzehn Kapitel über Gott" (es sind eigentlich nur Tweets von der Länge her) nachdenklich speziell in Zeiten der Kriege, gemeint in der Ukraine und in Israel. Was tun in diesen Tagen?

Ich empfehle: Ortheils "Von nahen Dingen und Menschen"  zu  lesen und sich zu Herzen nehmen, was der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Salman Rushdie eindringlich in Frankfurt sagte und womit Josef Ortheil seinen letzten Prosatext enden lässt: "Auf Hass mit Liebe antworten und nicht die Hoffnung aufgeben, dass sich Wahrheit selbst in einer Zeit der Lügen durchsetzen kann."

Maximal empfehlenswert

Helga  König

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Rezension: Comandante- Edoardo de Angelis/Sandro Veronesi- Zsolnay


Auf dem Cover des vorliegenden Buches, auf dem das Meer zu sehen ist, entdeckt man weit unten, gewissermaßen auf dem angedeuteten Meeresgrund, den Beginn eines Zitats, das da lautet "Man muss diesen Roman lesen…". Die Begründung des Verfassers, es ist der italienische Schriftsteller und Journalist Roberto Saviono, erfährt man leider nicht. Grund genug, sich selbst kundig zu machen. 

Die Autoren des Romans sind der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Edoardo de Angelis und der Schriftsteller Sandro Veronesi, der auch die Einleitung zum Roman geschrieben hat. Die Motivation der beiden zu diesem Buch, lernt der Leser in besagter Einleitung kennen. Es sind die Geschehnisse des Sommers 2018 als eine Vielzahl von afrikanischen Migranten aus den lybischen Lagern übers Meer flohen und zum Teil in Schlauchbooten havarierten, die Flüchtigen also zu Schiffbrüchigen wurden, die seitens nichtitalienischer Rettungsschiffe, die in den Gewässern kreuzten, gerettet wurden, man allerdings die Geretteten in den italienische Häfen nicht aufnehmen wollte, mit der Begründung, die Rettungsschiffe würden mit lybischen Bootsführern zusammenarbeiten. Nicht wenige wollten die Schiffbrüchigen niederträchtiger Weise "absaufen" lassen. Offenbar hatte man vergessen, dass Schiffbrüchige von alters her sakrosankt sind. Mitmenschlichkeit? Fehlanzeige.  

Im vorliegenden Roman erzählen die Autoren eine Geschichte, die sich im Zweiten Weltkrieg auf dem italienischen U-Boot "Cappellini" in der Nähe von Madeira abspielt. Man lernt den U-Boot- Kommandanten Salvatore Todaro kennen, ein Mann mit gebrochenem Rückgrat, dessen Körper durch ein Metallkorsett stabil gehalten wird und der durch Morphium seine Schmerzen erträglicher macht. Dieser Mann ist ein echter Krieger nach Art der alten Römer, der solange  kämpft, bis er siegt und keine Gnade mit dem Gegner hat, wenn es darum geht, Schiffe zu versenken. Sein Job ist es eben, Schiffe zu versenken und genau in diesem Job geht er trotz seiner schweren Verletzung auf, etwa wie ein Dichter beispielsweise im Schreiben von Liebesgedichten. Ihm vertraut seine Mannschaft, weil sie weiß, dass er das Leben seiner Besatzung keinen Moment vergisst, deshalb auch viel von ihnen abfordert, denn das U-Boot-fahren in Kriegszeiten, bedeutet den Tod mit an Bord zu haben. Ein Held zu sein oder zu werden, ist Programm. Dieses Programm wird nicht in Frage gestellt.

Als Leser*in erlebt man den Alltag und die Gefahren auf dem U-Boot,  erlebt hautnah den Kampf mit gegnerischen Schiffen, schließlich den Untergang eines belgischen Handelsschiffes, das von der "Cappelini" beschossen wurde und das dortige Flammenmeer, dem sich die Besatzung durch einen Sprung ins eiskalte Meer zu retten sucht. 

Der Comandante der "Cappelini" entscheidet sich, die Schiffbrüchigen zu retten, selbst auf die Gefahr hin, dass er vors Kriegsgericht gestellt wird, weil für ihn Schiffsbrüchige unantastbar sind und gerettet werden müssen, auch selbst auf die Gefahr hin, dass durch die Mehrbelastung und die Gefahren durch gegnerische Schiffe, sein U-Boot für immer auf dem Meeresgrund landet. 

Todaro ist so sehr von seiner Mission überzeugt, dass er Funkkontakt mit einem britischen Schiff aufnimmt und um freies Geleit bittet, damit er die 26 belgischen Seeleute an Land bringen kann. Der britische Kapitän akzeptiert die Bitte, vielleicht berührt von der an Verrücktheit grenzenden Mitmenschlichkeit des Comandante inmitten all der Unmenschlichkeit, die jeder Krieg mit sich bringt.

Mich erinnert die Mitmenschlichkeit Todaros an  den  legendären Weihnachtsfrieden von 1914 und daran, dass Mitmenschlichkeit immer möglich ist, wenn man nur genügend Mut aufbringt, sie an erste Stelle zu setzen. Einige Szenen im Buch erinnern an Ernst Jüngers "Stahlgewitter", ohne allerdings in irgendeiner Weise Krieg zu verherrlichen. Gezeichnet wird präzise, was geschieht, wenn Mars Geist und Psyche von Menschen beherrscht.
 
Ein beeindruckender Roman. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Als der Sturm kam- Anja Marschall- Roman -Piper



Die Autorin dieses packend geschriebenen Romans ist Anja Marschall. Vor ihrer schriftstellerischen Karriere hat sie u.a. als Journalistin und Pressereferentin gearbeitet. Bei Piper ist zuletzt ihre Erfolgsserie "Töchter der Speicherstadt" erschienen. Laut Vorankündigung des Verlags sollen es in diesem Jahr noch einige andere bewegende Romane von ihr auf den Markt kommen. Soviel schon jetzt: Man darf sich freuen. 

Vor einigen Jahren habe ich den Roman "Sturmflut" von Margriet di Moor auf “Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert. Diese auf realen Geschehnissen beruhende Romanhandlung spielt in den Niederlanden im Jahre 1953. Die damalige Sturm-Katastrophe forderte  übrigens 1835 Tote. 

1962 nun erlebten die Hamburger eine ähnliche Katastrophe als aufgrund einer Sturmflut, - übrigens ebenfalls im Februar-, sich das Leben dort als furchterregende Höllenfahrt erwies. 

Anja Marschall arbeitet in ihrem Buch mit fiktiven, aber auch  mit zum Zeitpunkt der Katastrophe real existierenden Personen, so wie man das aus Büchern des Weltbestsellerautoren James A. Michener kennt. Eine gute Vorgehensweise.

Indem die Autorin fiktive Gestalten in die Erzählung einbaut, erweckt sie durch die dargestellten persönlichen Schicksale das, was damals in Hamburg geschah, erneut zum Leben, ohne ein Zuviel an Theatralik erkennen zu lassen.  Das macht sich wirklich  überzeugend.

Was geschah damals konkret? Unerwartet brachen unzählige Deiche. Die Flut überschwemmte die Straßen rasend schnell und  drang in die Häuser vieler Bewohner der Stadt ein. 1/6  Hamburgs war überflutet. Das hatte furchtbare Folgen, wie man sich-ohne große Fantasie besitzen zu müssen-  vorstellen kann.

Die Autorin lässt erkennen, dass nicht wenige ihrer Protagonisten noch traumatisiert waren von den Ereignissen des 2. Weltkriegs, speziell von der Flucht aus dem Osten oder von der schlimmen Bombennacht 1943 in Hamburg.  Ihre konkreten  Probleme werden dadurch nicht einfacher.

Nicht alle können sich auf die Dächer ihrer Häuser retten und nicht alle von dort gerettet werden. Der Tod ist der Begleiter der Flut.

Man wird mit spannenden Familienschicksalen vertraut gemacht, lernt sehr mutige Helfer kennen, die übrigens hervorragend charakterisiert werden, ohne dass man sie heroisch überzeichnet. 

Die Rolle von Helmut Schmidt, dem späteren Bundekanzler und damals noch verhältnismäßige jungen Polizeisenator wird sehr gut in die Romanhandlung verwoben, ohne ihn zum eigentlichen Helden des Romans zu machen. Gezeigt wird, dass Helmut Schmidt die Hilfsaktion damals hervorragend koordinierte.  Lobenswert sachlich dargestellt von A. Marschall.

Wie geht man mit Katastrophen wie der hier vielschichtig beleuchteten um? Diese Frage muss man sich stellen.

Bedingungsloses Helfen ist angesagt, aber auch rasches Reagieren und kluges Koordinieren der Hilfsaktion. Wäre dies in heutiger Zeit so möglich? Die Ereignisse an der Ahr sagen NEIN.

Vielleicht noch dies: Im Anschluss an den Roman wird man mit Fakten, Fiktion und Hintergründen, den tatsächlichen Personen und der Chronologie der damaligen Geschehnisse vertraut gemacht.  Auch das ist wichtig, um den Roman in seiner Tiefe zu begreifen

Ein wirklich gelungener Roman. 

Maximal empfehlenswert.

 Helga König

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