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Rezension: Von nahen Dingen und Menschen-Hanns-Josef Ortheil-Dumont


Hanns-Josef Ortheil, der Autor dieses Buches, ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Literarisches Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. 

Sein jüngstes Werk enthält eine Vielzahl kleiner Prosatexte, deren Inhalt das Zeitgeschehen der letzten fünf Jahre berührt. Ein Tagebuch ist es nicht, obschon die Inhalte auch Privates streifen und viel von Ortheils Art und Weise den Alltag zu bewältigen -selbst in Krisenzeiten- offenbaren. 

Man lernt den Autor als Musikkenner und –liebhaber kennen, der diesbezüglich auch ein Buch empfiehlt, gemeint das Nachschlagwerk "Musik" von Roger Willemsen im Rahmen des Textes „Begegnung mit Roger Willemsen". In diesem Text geht Ortheil in seinen Erinnerungen zunächst zurück in das Jahr 1987, wo er Roger Willemsen erstmals begegnete und wandert in wenigen Sätzen hin, zu weiteren zufälligen Begegnungen mit seinem ihm geistig offenbar sehr verwandten Kollegen. Der Text, eine Verbeugung vor dem viel zu früh verstorbenen Intellektuellen, die spürbar von Herzen kommt...

Hanns-Josef Ortheil scheint ein Einzelgänger mit vielen Freunden zu sein. Ist so etwas möglich? Ja!  Und es muss kein Widerspruch sein. Das beweist er in seinen Texten.

Ob seine Liebe für gute Speisen und Getränke ihn zum Waldspaziergänger gemacht haben, kann man nur vermuten. Als Einzelgänger ist er dort "einfach nur unterwegs" und am liebsten wäre er -  wie in den alten stillen Tagen - allein. Das aber kann er in Zeiten der "Waldbadenden" und Jogger vergessen. Doch Ortheils Interessen sind so vielfältig, dass er immer wieder Momente der Selbstversunkenheit erleben kann, eben nicht nur im Wald. 

So liest man irgendwann die Sätze des Pianisten Ortheil wie etwa "Klavierüben ist kein ödes Pflichtprogramm für Menschen, die sich eine fade Disziplinierung antun wollen. Im Gegenteil: Als Übender und Spielender berührt man ein Instrument, und diese Berührung ist ein extrem libidinöser Vorgang. Spielt man mit Freude, ist immer auch Liebe im Spiel. Man spielt mit dem Instrument, man spielt für andere, man spielt mit dem Universum." Soweit Ortheils Anteilnahme an allem in stillen Stunden am Klavier.

Der Autor lebt und erlebt die Coronazeit, die Veränderung seiner Freunde in dieser Zeit und natürlich die Gespräche, die ums Impfen kreisen. Seine Freunde übrigens empfinden das Leben in den Twitter- oder Instagram-Rhythmen der sozialen Medien inzwischen nicht mehr als lebenswert, da Themen und Kommentare für wenige, flüchtige Momente eine Scheinbedeutung erhielten, die sich lautstark darstellen müssten, weil sie am nächsten Tag wieder verpufft seien. Wen wundert es, dass  Hanns-Josef Ortheil sich in diesem Metier nicht erkennbar bewegt? Von Freunden gut beraten...

Und immer wieder ist Köln ein Thema, dann u.a. auch Frankfurt und hier beschenkt er die Leser mit einer Anekdote, in der der Philosoph  Adorno eine Rolle spielt. Adorno, schon lange tot, doch seine Bücher begeistern noch immer, vielleicht heutzutage nicht mehr alle jungen, intellektuell aufgeschlossenen Menschen... Diese aber finden gewiss an der Aneinanderreihung von Emojis Freude, sofern sie wie Ortheil anmerkt, eine kleine Geschichte des Empfindens, sogar im Diminuendo erzählen. 

Kaum ist man relaxt durch den einen oder anderen Prosatext des Autors, weil man sich dabei wie auf einem kurzweiligen Spaziergang fühlte, wird man aus den Träumereien gerissen durch Texte wie "Putins Krieg" und "Lagerbildungen seit Kriegsbeginn". Der Krieg ist (eben) immer allgegenwärtig und legt sich mit seinen Nachrichten und Bildern wie ein nicht fassbares Zweitleben auf den gegenwärtigen Alltag“(S.206) Dem kann man nicht widersprechen. 

Nachdenklich stimmen die "Vierzehn Kapitel über Gott" (es sind eigentlich nur Tweets von der Länge her) nachdenklich speziell in Zeiten der Kriege, gemeint in der Ukraine und in Israel. Was tun in diesen Tagen?

Ich empfehle: Ortheils "Von nahen Dingen und Menschen"  zu  lesen und sich zu Herzen nehmen, was der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Salman Rushdie eindringlich in Frankfurt sagte und womit Josef Ortheil seinen letzten Prosatext enden lässt: "Auf Hass mit Liebe antworten und nicht die Hoffnung aufgeben, dass sich Wahrheit selbst in einer Zeit der Lügen durchsetzen kann."

Maximal empfehlenswert

Helga  König

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