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Rezension:Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (Gebundene Ausgabe)

Die Autorin dieses hervorragenden Buches ist die 2012 verstorbene Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich-Nielsen. Sie hat bis unmittelbar vor ihrem Tode an diesem Buch gearbeitet. Es handelt sich bei den Texten um eine große Anzahl essayistischer, teilweise autobiographisch geprägter Texte und um zwei Interviews, die sie in vier Kapitel untergliedert hat:

Frauen
Geschlechter
Individuelle und kollektive Trauer
Margarete Mitscherlich, geb. 1917, Psychoanalytikerin.

Ihr Buch beginnt sie mit Betrachtungen zu Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, dem französischen Intellektuellen-Paar und deren Liebesbeziehung. Hier zeigt sie auf, dass es selbst der Feministin de Beauvoir im realen Leben letztlich an Mut fehlte, immer ihren Idealen zu folgen und sie beispielsweise ihrem an Sexualität nicht besonders interessierten Gatten von ihren Affären mit Frauen nichts berichtete. Ich frage mich natürlich, ob sie ihn schonen wollte oder eher sich vor nervigen Diskussionen mit diesem gewiss nicht wenig zynischen Analytiker.

Mitscherlich schreibt auch von anderen intellektuellen Frauen und deren nicht immer einfachen Liebesbeziehungen. So etwa von Lou Andreas Salomé, die bis zu ihrem dreißigsten Lebensjahr keine sexuellen Beziehungen hatte, anschließend dann aber zahlreiche, jedoch stets nur von kurzer Dauer. Auch der Dichter Rilke war einer ihrer Liebhaber. Er litt sehr als sie sich von ihm trennte. Immerhin blieb sie ihm freundschaftlich verbunden.

 Mich wundert es nicht, weshalb in vergangenen Zeiten, ja vielleicht noch heute, intellektuelle Frauen letztlich im emotionalen und sexuellen Bereich mit Männern hadern. Männern machen es intellektuellen Frauen ja auch nicht sonderlich leicht, bedingungslos ja zu ihnen zu sagen.:-))

Sehr interessant fand ich den Essay mit dem Titel "Gretchen gestern und heute. Flucht in den Mord- Margaretha Brandt tötet ihr Kind nach der Geburt." Die Geschichte der Kindsmörderin Margaretha Brandt liegt der Geschichte Gretchens im "Faust" von Goethe zugrunde. In der Geburtsstadt Goethes wurde die Hinrichtung einst wie ein Volksfest gefeiert. Den Dichter hatte dies sehr berührt, deshalb auch setzte er sich im Faust kritisch mit dem Thema auseinander. Mitscherlich verdeutlicht am Fall einer jungen Muslimin, die aus Angst vor den gesellschaftlichen Folgen ihre Neugeborenes tötete, dass auch heute noch Richter mit großen Vorurteilen, sich eines solches Falles annehmen und zu äußerst bedenklichen Urteilen kommen. Sie zieht das Fazit: "Aber wir sehen, die Zeiten haben sich nicht allzu sehr geändert, das Mittelalter und seine Vorurteile gibt es im Geist und in der Seele vieler Männer weiterhin," (Zitat: Seite 88).

Mitscherlich schreibt im Essay "Die Frau und die Macht in einer neuen Gesellschaft", dass Frauen Macht menschenfreundlicher und einsichtiger als Männer ausüben, wenn ihnen Wahrheitsliebe und Durchsetzungsvermögen zu eigen ist, weil sie sich besser in andere Menschen einfühlen und die anderen besser wahrnehmen können. Dem stimme ich nicht zu. Meiner Erfahrung nach ist Einfühlung und Wahrnehmung nicht an das Geschlecht gebunden, sondern hängt in erster Linie damit zusammen, ob man mehr oder weniger narzisstisch veranlagt ist.

 Überein stimme ich mit der Autorin, dass mithilfe von Menschen, die man achtet und die neues Wissen und neue Verhaltensweisen anbieten, sich dies besonders lebendig einprägt und nur Neid diese Art des Lernens verhindert. Mitunter frage ich mich, ob betont neidische Menschen letztlich aufgrund ihrer Ignoranz immer mehr verblöden. Fast scheint es so.

Es führt zu weit auf alle Essays hier näher einzugehen. Besonders interessant finde ich die Interviews, die Meinhard Schmidt-Degenhard mit Frau Mitscherlich führte. Hier beantwortet sie u.a. Fragen, wie etwa, ob Frauen auch aggressiver werden müssen oder ob Solidarität unter Frauen überhaupt möglich ist.

Sehr lesenswert auch sind ihre Betrachtungen zum Buch "Die Unfähigkeit zu trauern", in das, wie sie schreibt, eigene Erfahrungen eingegangen sind, und zwar das Erleben, in welchem Ausmaß Trauer, Erinnerung und Konfrontation mit der Vergangenheit befreien können -keineswegs nur von der Vergangenheit, sondern auch vom Selbsthass, (vgl.: S.164).

Ich staune, womit sich Frau Mitscherlich noch im hohen Alter auseinandergesetzt hat. Das zeigt wie intellektuell offen sie war und, dass der rege Geist ewig jung bleibt.

 In einem weiteren Interview, das Schmidt-Degenhard mit ihr führte als sie 93 Jahre alt war, fragt er sie:

"Gibt es Tage, an denen Sie nicht an den Tod denken?" 

Margarete Mitscherlich antwortet: 

"Nein. Das Komische ist aber, dass der Unglaube an den Tod proportional zu seinem Herannahen wächst," (Zitat: 243).

Dieses Zitat habe ich für einen meiner Leser gewählt, um ihm aufzuzeigen, dass er mit seinem extremen Glauben an den Tod, demnach noch ein sehr langes Leben vor sich hat. 

Zu Ende des Buches findet sich ein Nachruf von Wolfgang Leuschner. Er fragt nicht grundlos, wo die Psychoanalyse heute in Deutschland stünde, wenn es sie und ihr Werk nicht gegeben hätte.

Empfehlenswert.

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