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Rezension:Am Beispiel meines Bruders (Gebundene Ausgabe)

In seinem neuen Buch befasst sich Uwe Timm (Jahrgang 1940) mit seiner Herkunftsfamilie. Eindringlich hinterfragt er das Denken und Handeln seines um viele Jahre älteren Bruders, der Mitglied der SS-Totenkopfdivision war und reflektiert am Beispiel seines Vaters "die kranke Generation , die ihr Trauma" (nicht länger als Herrenmenschen gesehen zu werden) "im Wiederaufbau verdrängten."
Ausschlaggebend für das Buch waren, laut Timm, die Tagebuchaufzeichnungen und Feldbriefe seines Bruders, die dieser aus der Ukraine schrieb und in denen er "geschliffen" und enthumanisiert durch seine "SS-Elite"-Ausbildung, monoton den Kriegsalltag schildert, ohne sich dabei in Details zu verstricken. Sein konkretes Tun bleibt nebulös.



Uwe Timm, der sich intensiv mit den Machenschaften der Soldaten in Russland und der Ukraine befasst hat, weiß um den Massenmord in Babij Jar, einer Schlucht in der Nähe von Kiew. Dort wurden 33 771 Juden seitens eines Sonderkommandos eines deutschen Polizei-Regimentes exekutiert. Zu welchen Handlungen war sein Bruder fähig? Timms Bruder starb, aufgrund seiner schweren Kriegsverletzungen, im Jahre 1943 und wurde irgendwo in der Nähe von Minsk beerdigt. Sein Tagebuch endet mit dem Hinweis, dass er es "für unsinnig halte, über so grausame Dinge, wie sie manchmal geschehen, Buch zu führen"

Die Elterngenerationen verdrängte nach dem Ende der Nazi-Zeit die Gräueltaten, welche seitens der Deutschen, während des 2.Weltkrieges, begangen worden waren und schwieg. Der Autor analysiert Verstocktheit und Trotz, aufgrund politischer und mentalitätsmäßiger Entmachtung. Doch nach 1945 war die Herrenmensch-Attitüde noch lange nicht untergegangen und der "Mythos Blut" genügte, um zum Herrenvolk zu gehören. Der Herrschaftsanspruch, so Timm, wurde nun zu Hause, im Privaten ausgelebt.


Die Vätergeneration existierte vom Erzählen und Verschweigen. Man suchte nach Ausflüchten und Erklärungen, weshalb der Krieg verloren war. Die Frage nach Schuld wurde nicht gestellt und die Gründe für Grausamkeit und Tod wurden auch nicht ermittelt. Timms Vater, der nach dem Kriege eine kurzfristige materielle Blüte, bedingt durch ein prosperierendes Kürschner-Geschäft, erlebt, stürzt, als die wirtschaftliche Situation sich verschlechtert, in den sozialen Abgrund. Er stirbt daraufhin, - noch nicht alt- und hinterlässt seiner Frau und seinen Kindern eine Fülle von Problemen. Uwe Timm hat sich das Bedrückende seiner Jugend von der Seele geschrieben. Gleichwohl spürt man, dass er, wie viele seiner Generation, im Grunde keine wirklichen Antworten auf die Verrohung und die mangelnde Vernunftsorientierung der Nazi- Generation findet.

Ein unbedingt empfehlenswertes Buch!

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