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Rezension:Das Buch von Blanche und Marie (Gebundene Ausgabe)

Der schwedische Autor Enquist erzählt die tragischen Lebensläufe der zweimaligen Nobelpreisträgerin Marie Curie und ihrer Assistentin Blanche Wittmann, die ein Jahrzehnt früher Patientin im "Salpetiere" war. Beide Frauen lebten nach den Maßstäben ihrer Zeit untypisch. Beide waren sie Berühmtheiten. Beide wurden sie zu Strahlenopfern, hervorgerufen durch ihre Arbeit mit dem Mineral "Pechblende". Beide hatten eine Liebesbeziehung zu einem verheirateten Mann. Beide konnten die Beziehung in der Öffentlichkeit nicht ausleben, weil die gesellschaftliche Moral dagegen stand. Daran litten beide seelisch. Letztlich zermürbte dieser Umstand beide auf Dauer.

Die Affäre der verwitweten Marie Curie - sie war einst eine von nur zwei Frauen unter 9000 Studenten an der Sorbonne!!! - mit dem Wissenschaftler Paul Langevin kam der Presse zu Ohren. Unaufhaltsam folgte der übliche Skandal. Fortan war die Chemikerin gesellschaftlich stigmatisiert und die Verleihung ihres zweiten Nobelpreises in Frage gestellt.


Blanche Wittmann, engste Vertraute der bedeutenden Wissenschaftlerin, schreibt über ihr gemeinsames Leben mit Marie und stellt Betrachtungen über das Wesen der Liebe an. Sie reflektiert insbesondere die Zusammenhänge zwischen Liebe und Schuld, sowie Liebe und Tod. Zu diesem Zeitpunkt hat man Blanche bereits in einen Kasten gepackt, weil man ihre Beine und einen ihrer Arme amputiert hat, sie nunmehr nur noch eine Miniatur ihrer selbst ist, wie sie sagt. Die Hände Maries sind auch schon verkrüppelt. Das Radium hat auch seine Entdeckerin nicht verschont. "Wann verschwand das Selbstbewußtsein des zwanzigsten Jahrhunderts, der Fortschrittsoptimismus, die Arroganz?", fragt der Autor an irgendeiner Stelle dieses Buches mit Blick auf diese beiden Frauen, die zum Schluss ihres Lebens die ersten Opfer gerade jener Geister waren, die man voller Sehnsucht herbeigerufen hatte.


Blanche Wittmann "die Königin der Hysterikerinnen" war zu Ende des vorvergangenen Jahrhunderts Patientin im berüchtigten Krankenhaus "Salpetiere". Der Neurologe Jean Martin Charcot behandelt die junge Frau dort wegen ihrer vermeintlichen Hysterie. Er unternimmt Experimente mit Hypnose. Sigmund Freud ist eine Zeitlang einer seiner Mitarbeiter. Erbärmlich, präziser, menschenunwürdig geht man mit den 6000 Frauen im "Salpetiere " um, dem "Schloss der verrückten Frauen". Man führt sie dem gebildeten, männlichen Bürgertum vor und ergötzt sich lüstern an deren "Veitstänzen". Wie Ratten sind die armen Frauen eingesperrt und wie Affen dressiert man sie. Der verklemmte Professor Charcot hat zu Ende seines Lebens eine Affäre mit seiner Patientin Blanche. Später gibt sich die nachdenkliche Schönheit die Schuld am Ableben des von ihr geliebten Mannes.


Die beiden tüchtigen Frauen Blanche und Marie wurden Opfer einer prüden, unduldsamen, doppelmoraligen Gesellschaft. Nie hätte man Albert Einstein, aufgrund seiner zahllosen Liebesaffären mit gesellschaftlichen oder gar beruflichen Sanktionen belegt. Für Männer galten andere Maßstäbe. Marie Curie kannte Einstein persönlich, kannte Becquerel und viele andere Wissenschaftler auch. Trotz ihrer Nobelpreise hat man sie in ihrer Zeit nie auf die gleiche gesellschaftliche Stufe mit ihren männlichen Kollegen gestellt. Sie war eben eine Frau. Die mutige Emmeline Pankhurst - eine britische Frauenrechtlerin- war befreundet mit Madame Curie. Doch die Bewegung steckte noch in den Kinderschuhen. Noch war man nicht soweit, Mann und Frau die gleichen Rechte zuzubilligen. Vielleicht ist man es ja heute immer noch nicht.....
Ein zutiefst berührendes Buch.


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