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Rezension: Gedanken über das Schreiben: Heidelberger Poetikvorlesungen (Gebundene Ausgabe)

Dieses kleine Büchlein enthält Bernhard Schlinks "Heidelberger Poetikvorlesungen" aus den Monaten Mai und Juni 2010. Sie setzen sich aus folgenden Teilen zusammen:
1) Über die Vergangenheit schreiben
2) Über die Liebe schreiben
3) Über die Heimat schreiben

Für Schlink sind die Gestalten historischer Romane heutige Gestalten im gestrigen Gewand. In den Möglichkeiten der Zukunft, mit denen Sciene Fiction spielt, spiegeln sich nach seiner Ansicht die Hoffnungen und Ängste im Hier und Jetzt, (vgl.: S.7).

Für den Autor stellt sich die Frage, ob es für das Schreiben über die Vergangenheit des Dritten Reiches beispielsweise besondere Regeln geben müsse, weil das kollektive Schicksal der Vergangenheit ein besonderer Teil der individuellen Identität der Opfer geworden sei, das diese mit ihrem individuellen Schicksal angemessen dargestellt sehen möchten. Sie empfänden die Verzerrung nicht bloß ihrer persönlichen Vergangenheit als verletzend, sondern vielmehr der Vergangenheit in ihrer Gesamtheit, (vgl.S.9).


Für Schlink gibt es nur eine einzige Regel und das ist jene der Wahrhaftigkeit. Wie aber stellt sich diese Wahrhaftigkeit in der Literatur dar? Kann diese auch die Basis für ein Märchen, eine Komödie oder Satire verkörpern und dürfen Autoren solche Texte über den Holocaust schreiben? Nach seiner Ansicht schon, wenn die Wahrheit hierdurch nicht verloren geht. Für den Autor ist es keine Gewähr für Wahrheit, sich an das Typische zu halten. Für ihn bedeutet, dass Literatur dann wahr ist, wenn sie darstellt, was geschah oder hätte geschehen können und dies ist auch in Komödien, Satiren, im Mythos oder im Märchen möglich.

Schlink meint zu Recht, dass Literatur uns unsere Wirklichkeit erklärt und dass sie uns einlädt, uns in andere Wirklichkeiten hineinzuversetzen, die nicht die unseren sind, (vgl.: S.26). Sehr gut erläutert er, weshalb das Erzählen einer Geschichte keine andere Absicht vertrage, als die, die Geschichte zu erzählen und sie wahrhaftig zu erzählen, (vgl.: S.28). Es kann dabei vorkommen, dass diese wahrhaftigen Geschichten auf Kosten anderer geschrieben werden und man abwägen muss zwischen dem Interesse, das Erzählte zu veröffentlichen und den Verletzungen, die dadurch geschehen. Als Beispiel nennt der Autor "Das Leben der Anderen". Man könne über Vergangenes letztlich nicht so schreiben, dass sich niemand verletzt fühle und deshalb bestünde keine Gewähr dafür, dass, wenn es nur stimmte, sich niemand verletzt fühle. Es könne verletzen - wie die Vergangenheit verletzt habe und weiter verletzen, (vgl.:S35). Dem kann man nur zustimmen.

Interessant sind auch Schlinks subtile Betrachtungen über die Liebe. Für ihn bedeutet, über die Liebe zu schreiben, über Lieben zu schreiben und dabei die Liebe in ihrer Vielgestaltigkeit zu bewahren, sie mithin vor dem normativen Zugriff zu schützen, (vgl.S.42). Was er damit meint, breitet er in dieser Vorlesung gut verständlich aus und auch wie sich seine Figuren, die er ähnlich liebt, wie seine Leser, während er sie entwickelt, ein Eigenleben annehmen, die das konfliktfreie Nebeneinander von Wahrnehmung der Schlechtigkeit und liebender Nähe notwendig machen, was offenbar nur durch eine Art "Stockholmsyndrom" zu schaffen ist.

Schlink lässt immer Autobiographisches in seine Figuren mit einfließen, aber stets so, dass nur die gemeinte Person in der Lage ist, sich in der Figur wiederzuerkennen.

Heimat ist das dritte Thema in den Vorlesungen. Er macht deutlich, dass die Vorstellung eines Rechts auf Heimat als den geographisch dingfest zu machenden Ort zum Haben- und Nehmen-Wollen, zu Konflikten und Kriegen mit dem besten Gewissen führe, weil es doch nur um die selbstverständlichste aller Selbstverständlichkeiten gehe, die Heimat, (vgl.: S.84). Es muss klar sein, dass Heimat immer eine utopische Vorstellung ist, weil der Ort an den wir zurückkehren, niemals der Ort ist, von wo wir ausgegangen sind, (vgl.: S.84-85). Schlink macht den Ort über den er jeweils schreibt, zu seiner Heimat, indem er in seiner Sprache über ihn schreibt, (vgl.: 81). Zu diesem Ort zurückzukehren ist möglich, wenn er in seinen Texten liest. Vielleicht ist dies eine der wenigen positiven Formen von Heimat, weil sie keine Konflikte und Kriege im Schlepptau hat.

Die Vorlesungen stimmen nachdenklich. Ich empfehle diese Texte insofern gerne.

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