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Rezension:Der Tag ist hell, ich schreibe dir - Tanja Langer

"Ich warf drei Hand voll Erde auf deinen Sarg. Ich warf drei Rosen in dein Grab" (S.383)

Die Autorin dieses hervorragenden Romans - Tanja Langer - war die langjährige Freundin des 1989 ermordeten Bankiers Alfred Herrhausen. Der Romanhandlung setzt sich mit dieser Freundschaft sehr komplex auseinander.

Die Protagonistin Helen lernt kurz vor ihrem Abitur den bereits über fünfzigjährigen Bankier Julius Turnseck kennen. Diese Begegnung liegt zu dem Zeitpunkt als Helen sich entschließt, die Geschichte zu Papier zu bringen, 27 Jahre zurück. Unzählige Briefe hat sie in all den Jahren an Julius geschrieben und gibt dem Leser Einblicke in jene Schriftstücke, die erhalten geblieben sind. Pia, die Gattin des Bankiers händigte ihr diese nebst dem Füller von Julius zwei Jahre nach dem Mord aus. Helen vergisst diese Briefe in den Jahren, die dann folgen und erinnert sich erst wieder dreizehn Jahre später daran, dass sie in ihrem Besitz sind und das auch nur, weil ein Reporter sie aufsuchte und nach Julius fragt.

Die Icherzählerin Helen berichtet zunächst von ihrer Familie, in der sie aufwuchs, von ihrer Arbeit im Restaurant ihrer Eltern, der Gegenwelt zum Gymnasium, das sie mit einem Abiturnotenschnitt von 1,1 verließ. Wenige Tage vor dem Abitur nahm Helen an einer Fernsehsendung teil. Dort wird Julius auf das blitzgescheite Mädchen aufmerksam. Die beiden mögen sich auf Anhieb. Er bittet die Schülerin ihm zu schreiben und sie kommt alsbald seiner Bitte nach. Die junge Helen ist vielseitig interessiert und schreibt ihm von dem, was sie liest und denkt. Sie liest damals Kafka, Kierkegaard, Turgenjew und Camus und grübelt viel, wie sie die Leser wissen lässt.

Als Helen Abitur macht, ist Julius gerade nach Kanada unterwegs. Julius schreibt nur Karten, ansonsten telefoniert er mit ihr. Sie treffen sich fünf Wochen später in einem Hotel in Frankfurt und reden u.a. über Karl Jaspers. Kurz darauf beginnt Helen in München ihr Philosophiestudium. Sie berichtet von ihrer Zeit in München, ihren Begegnungen mit Julius und dessen Gedankenwelt, in die er ihr vertrauensvoll Einblicke gewährt. So sagt er u.a.: "Ein Bankier darf nie die Herrschaft über sich und das Geld verlieren. Wenn er es jemals zulässt, also das Geld oder die Macht von ihm Besitz ergreifen, wird er alles verlieren. Beide, das Geld und die Macht, haben nur einen Sinn, den anderen zu dienen. Sie müssen von einer übergeordneten Idee gelenkt werden." (...) "Es klingt vielleicht ein bisschen pathetisch, oder altmodisch aber so empfinde ich es nun einmal: Ich möchte, dass es den Menschen in diesem Land gut geht. Und dass unser Land in der Welt geachtet wird." (Zitat. S.99).

Nach der Bankenkrise und all den damit verbundenen Ungeheuerlichkeiten mag man kaum glauben, dass ein Bankier wie Julius nichts anderes als die bloße Fiktion einer hervorragenden Schriftstellerin ist. Wer allerdings die Biografie über Alfred Herrhausen gelesen hat, weiß, dass ein Mensch, der wie Julius dachte und handelte, tatsächlich gelebt hat.

Es führt zu weit, im Rahmen der Rezension alle die eingefügten Briefe und die Gespräche der beiden zu analysieren. Julius erweist sich als ein sehr interessierter Zuhörer, den erkenntnistheoretische Fragen bewegten, weil sie nach seiner Auffassung den Sinn für Projektionen in die Zukunft schärften. Jene Art von Logik soll er geschätzt haben, die ihn zu ungewöhnlichen Lösungen brachte. Julius vertrat die Ansicht, dass man mit Vernunft alle Probleme lösen könne und dass sie den Menschen zu diesen habe. Diese Überzeugung nannte er seine philosophische Grundhaltung, (vgl.: S.142).

Die Beziehung zwischen Helen und Julius war nicht nur rein intellektuell. Dass die beiden sich auch seelische und körperlich näher kamen, konnte nicht ausbleiben. Gefallen hat mir, wie dezent die Autorin diese Begegnungen beschreibt und damit die Gefühle der Ehefrau von Julius nicht unnötig verletzt.

War Helen eine Art Madame Pompadour? Die in München lebende Philosophiestudentin besuchte recht oft die Alte Pinakothek, um dort einen fiktiven Gedankenaustausch mit Madame Pompadour zu pflegen. Ein Gemälde von Francois Boucher hängt dort im zweiten Stock. Helen glaubt damals, dass sie Antoinette nicht das Wasser reichen kann, aber sie weiß, dass sie ihr in Vielem nicht unähnlich ist. Auch Antoinette las gern, liebte das Theater, die Musik, die Malerei und auch die Philosophie sowie Politik. Doch Helen ist eine junge Frau ihrer Zeit, mit einem völlig anderen Frauenverständnis als es die Rokoko-Dame einst besaß.

 Besonders interessant fand ich Helens Schilderungen der Schulzeit von Julius in der Nazi-Elite-Schule Feldafing. Hier fügt sie Briefe des Schülers ein, die dokumentieren, dass er ganz im Ton der Zeit schrieb und weist darauf hin, dass die Aktivitäten der Geschwister Scholl ganz offensichtlich damals von ihm nicht zur Kenntnis genommen worden sind. Helen fährt nach Feldafing, recherchiert, schreibt dem toten Bankier einen Brief, sehr wohl erkennend, dass sie in einem wortlosen Raum verschollen ist.

Helen schreibt von ihrer persönlichen Entwicklung, ihrem Umzug nach Berlin, ihrem Leben als junge Frau. Vieles aus diesem Leben war ausgeklammert, wenn sie sich mit Julius traf.

In meinen Augen zählen die beiden zu den großen tragischen Liebenden des letzten Jahrhunderts.

Helen berichtet auch von dem Mord an Julius und ihren damit einhergehenden Recherchen und schließlich von dem, was geblieben ist. Seine Stimme in ihrem Herzen.

Ein packender Roman von intellektuellem Tiefgang. Sehr empfehlenswert.
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