Ich erlaube mir meiner Rezension zu Martin Walsers Buch "Ein liebender Mann" in dem der Schriftsteller der letzten Liebe Goethes nachspürt, einen Auszug aus Wikipedia voranzustellen. Hier erfährt man Fakten zu Person Ulrike von Levetzow, der Frau, die Goethe in unvorhersehbare Gefühlsaufwallungen versetzte und Walser zum Schreiben seines neuen Romans veranlasste. Ich finde diese Fakten sollten dem Leser nicht vorenthalten werden:
"Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) verliebte sich im Jahr 1821 während eines längeren Kuraufenthaltes im mondänen Marienbad in die erst siebzehnjährige Ulrike von Levetzow. Zum letzten Mal in seinem Leben verspürte er "eine große Leidenschaft". Auslöser dafür war mit einiger Gewissheit auch sein Wunsch, die starken Affekte seiner Jugend wieder zu erlangen. Goethe setzte sich zeitlebens nicht ausreichend mit Endlichkeit und Tod auseinander, die Sterblichkeit des Menschen - und damit auch seine eigene - wurden von ihm verdrängt. Dies zeigt sich besonders plakativ darin, dass er selbst den Tod ihm nahestehender Personen schlicht nicht zur Kenntnis nahm.
Somit lässt sich das Ansinnen, als über Siebzigjähriger mit einer fast noch Jugendlichen eine Liebesbeziehung einzugehen, als Versuch der Flucht vor Alter und Tod deuten. Bei einem Zusammentreffen zwei Jahre später (1823) veranlasste Goethe Großherzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757-1828), in seinem Namen um die Neunzehnjährige zu werben. Seinen Schmerz über die Abweisung des Heiratsantrags drückte Goethe in seiner "Marienbader Elegie" aus, mit deren Niederschrift er bereits im September 1823 während der Abreise von Böhmen nach Thüringen begann und von deren Existenz Ulrike von Levetzow erst nach Goethes Tod erfuhr. Goethe trug in sein Tagebuch am 19. September 1823 ein: "Die Abschrift des Gedichts vollendet." Der "Elegie" stellte er das dem Tasso entlehnte Motto voran: "Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt / Gab mir ein Gott zu sagen was ich leide."
Ulrike von Levetzow gab später in ihren kurzen "Erinnerungen an Goethe" an, dass sie "gar keine Lust zu heiraten" verspürt habe, und tatsächlich blieb sie bis zu ihrem Lebensende unverheiratet. Dass ihr ein Liebesverhältnis zu Goethe nachgesagt wurde, ärgerte sie, und sie wies es deutlich zurück. Demnach habe sie Goethe bloß "wie einen Vater" lieb gehabt. Noch im Alter schrieb sie in einer autobiografischen Skizze eine Art Gegendarstellung, um "all die falschen, oft fabelhaften Geschichten, welche darüber gedruckt wurden" zu widerlegen und klarzustellen: " keine Liebschaft war es nicht." ("An der Aussage ändert auch die von manchen als "entlarvend" interpretierte doppelte Verneinung nichts. Diese ist eher als eine Verstärkung des Gemeinten anzusehen.", FAZ vom 7.3.08).
Rezension:
Martin Walser kennt diese Fakten natürlich, aber er weiß auch, dass in Goethes Tagebuchaufzeichnungen von seinem Marienbader Aufenthalt nirgendwo ein Wort über seine Liebe zu Ulrike festgehalten wurde. Offenbar vermied Goethe geradezu ängstlich , den Aufruhr seines Herzens zu verraten. Somit hatte Walser als Erzähler der Geschichte Glück, weil er aufgrund des Mangels an Informationen in den Tageaufzeichnungen bei dem, was sich in Marienbad zutrug, Erzählspielraum geschenkt bekam. Er konnte die Ereignisse, die zur "Marienbader Elegie" führten, gewissermaßen neu erfinden.
Walser berichtet von Kurleben in Marienbad, von Goethes Freude, fernab von seinen Verpflichtungen in Weimar die Tage zu genießen. Seine Schwiegertochter Ottilie führt sich in Weimar wie eine unduldsame, resolute Ehefrau auf und lässt ihm dort kaum Freiräume. Diese genießt Goethe umso mehr in seiner alljährlichen Kur. "Marienbad das war nicht die Welt. Die von Tannen bewachten Höhen, die es umgaben, schützen es vor Weimar, also vor der Welt. "( S. 52)
Der rüstige Witwer ist während der Erzählzeit 73 Jahre alt.. Walser analysiert nicht, weshalb der jungendliche Greis sich in ein 19 jährige Mädchen verliebt, sondern beschreibt feinsinnig das Verliebtsein des betagten Dichters. Das gelingt dem Schriftsteller hervorragend. Goethe war in seinem Leben oft verliebt und hat dieses Verliebtsein vor aller Welt zelebriert. " Auf die Frauen sei es bei ihm ja nie angekommen, er habe immer eine gefunden, die er mit seinen Phantasien auftakeln konnte ", lässt Walser die Schiller-Witwe von Lengenfeld über Goethe sagen. Nun hat er sich in Ulrike verliebt und leidet im gleichen Maße , wie er es als junger Mann tat. Noch immer empfindet er Leiden als schmutzig. Er weiß seit Werther, dass es, wenn es aussichtslos geworden ist, keine andere Reinigung mehr gibt als den Tod. Goethe flüchtete stets ins Schreiben.
Walser lässt den Dichter sagen : " Meine Liebe weiß nicht, dass ich über siebzig bin. Ich weiß es auch nicht. " (S. 98) Goethe ahnt, dass man sich in diesem Alter daran gewöhnen muss, nicht mehr, nie mehr geliebt zu werden und resümiert: " Lieben, ohne geliebt zu werden, das dürfte es nicht geben." ( S. 69) Der Dichterfürst möchte sich mit seinem Wissen nicht zufrieden geben, er möchte die Frau, in die er sich verliebt hat, heiraten, aber er weiß, dass nichts grotesker sein kann als sich nackt " neben die in ihren Gliedern herrlich dahinschwingende Ulrike zu wünschen." (S. 71) Walsers Goethe ist sehr kritisch mit sich selbst, gleichwohl ist er ein Liebender, der sich nach der Frau, in die er sich verliebt hat, sehnt. ("Meine Liebe weiß nicht, das ich über siebzig bin.")
Goethe bemüht sich um aufrechte Haltung, will imponieren, ist eifersüchtig , flirtet mit dem jungen Mädchen und interpretiert, wie alle Verliebte es tun, mehr in die Gesten der Angebeteten, als tatsächlich vorhanden ist. Die Zeit als Frau von Stein zu ihm sagte " Sie küssen geistreich mein Herr " ist ein halbes Jahrhundert vorbei, aber Goethes Fühlen hat sich nicht verändert. Er ist neu entflammt und hofft , dass der Werbebrief zum Erfolg führt. Sein Herz ist unendlich jung, viel jünger als das Herz Ulrikes. Sie ist eine sachliche , ernsthafte junge Frau, ganz anders als der Rokoko- Mensch Goethe. Das Rokoko habe sich nie ernst genommen, so Walser. Goethe glaubt, dass durch Ulrike in sein Leben Ernst gekommen sei. Vielleicht beruht sein Ernst auf der Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit.
Als Goethe wieder zurückgekehrt ist nach Weimar hat er die " Marienbader Elegie" ( Walser hat den Text in seinen Roman integriert) schon geschrieben . Nun verfasst er Briefe an Ulrike und leidet an seiner Sehnsucht. Seine Gedanken sind bei diesem jungen, für ihn unerreichbar gewordenen Mädchen. Walser beendet seinen Roman mit folgendem Satz: " Als er aufwachte, hatte er sein Teil in der Hand, und das war steif. Da wusste er , von wem er geträumt hatte."
Mir hat dieser Schlusssatz, der für viele provozierend und degoutant erscheint, gefallen, weil Walser damit deutlich macht, dass Goethes Verliebtsein kein gedankliches Konstrukt war, sondern ein Gefühl, dass seinen ganzen Körper erfüllte.
Ein schöner Roman.
Empfehlenswert.
Überall im Buchhandel erhältlich-
Empfehlenswert.
Überall im Buchhandel erhältlich-
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen