"Der Traum vom Weggehen, vom leichthändigen Abschiednehmen. Man tritt hinaus aus dem Bannkreis der Nacht in den hellen Tag alle Dinge glänzen, als wären sie soeben erst aus Dunst und Nebel ins Leben gerufen worden." (Zitat S. 95)
Autor dieses Romans ist der Präsident des deutschen P.E.N., Dr. Johano Strasser. Ich habe lange kein Buch mehr gelesen, das mich so gefangen genommen hat. Die Handlung ist gesellschaftskritisch angelegt und mit vielen lebensklugen Überlegungen angereichert, wie sie nur ein in die Jahre gekommener Philosoph zu Papier bringen kann.
Protagonist des Romans ist der Zivildienstleistende Robert, der noch nicht genau weiß, was oder ob er überhaupt studieren soll. Der junge Mann ist der Sohn aus unvermögendem Hause. Seine nicht akademisch vorgebildeten Eltern können ihm keine Hilfestellung bei der Berufswahl geben. Roberts Vater ist aufgrund eines Betriebsunfalls in die Frühpension geschickt worden und leidet, weil er sich aufs Abstellgleis geschoben fühlt. Er vermutet gar, man habe seitens der Firmenleitung den Unfall bewusst herbeigeführt, um ihn loszuwerden, noch vor der drohenden Entlassungswelle. Seither macht er sich im nicht abbezahlten Eigenheim nützlich und lebt in ständiger Angst, dass die dafür monatlich notwendigen Raten nicht aufgebracht werden können.
Roberts Mutter geht putzen, um die finanziellen Löcher in der kleinen Familie zu stopfen. Dabei hofft sie, dass es wieder anders wird. Ihr Sohn, der die kleinbürgerliche Enge, die Trostlosigkeit und die Spannungen im Elternhaus schon lange nicht mehr ertragen kann, ist noch nicht ausgezogen, weil er seiner Mutter die letzte Hoffnung, die er letztlich ist, nicht nehmen, möchte. Robert fühlt sich gefangen und sehnt sich nach Freiheit.
Man lernt den jungen Mann als sehr nachdenklich und hilfsbereit kennen und ist erschüttert, von dem was er im Rahmen seines Zivildienstes bei der Betreuung alter Menschen mitunter erleben muss. Über diese Erlebnisse und Erfahrungen kann er mit keinem sprechen und muss dies alles mit sich selbst ausmachen. Vielleicht aber fördert genau das seinen frühzeitigen Reifeprozess.
Seine Freunde sind anders als er selbst. Durch einen dieser Freunde gar gerät er in eine Situation, die ihn in große Gewissenskonflikte bringt. Diesbezüglich erlaube ich mir eine kleine Passage aus dem Roman zu zitieren: "Das Böse ist etwas Dunkles, Drohendes, das um uns herum immer anwesend ist, das plötzlich und ohne Vorwarnung über uns herfällt, eine übermächtige, betäubende Gewalt. Man kann ihm eine Zeitlang aus dem Weg gehen, sich davor ganz schützen kann man nicht. Am besten ist es, man macht sich klein, um nicht aufzufallen, um möglichst unsichtbar zu sein. Und wenn es trotzdem über einen hereinbricht, muss man es über sich ergehen lassen und warten bis es vorbei ist." (Zitat: S. 78).
Dass das Leben Böses und Gutes für jeden von uns bereithält, lernt der Protagonist auf vielfältige Weise schon in seinen jungen Jahren zu begreifen. Zu den positiven Erfahrungen zählt seine erwiderte Verliebtheit in Fari, eine Schönheit persischer Herkunft, die als Krankenschwester arbeitet, jedoch noch weitaus mehr seine Bekanntschaft mit der alten hochgebildeten Jüdin Frau Sternheim, die er als Zivildienstleistender betreut und ihr aus ihren Büchern vorliest.
Durch diese liebenswerte Dame lernt er nicht nur Rilke und andere Dichter sowie Schriftsteller schätzen, sondern auch zu erahnen, was Seelenverwandtschaft bedeutet. Ein solche nämlich bindet ihn an Frau Sternheim, die in ihm auch einen Sohn sieht und ihm nicht nur kluge Ratschläge mit auf seinen Lebensweg gibt. Eine wichtige Erkenntnis ihres Lebens besteht darin, "dass es die Liebe ist, die uns zu uns selber führt: Die Liebe zu den Menschen, zu den Dingen, zur Natur, zur Literatur..."(Zitat: S. 185).
Man freut sich, dass die vermittelten Lebensweisheiten der alten Jüdin bei Robert auf fruchtbaren Boden fallen und er in der Lage ist, dort zu verzeihen, wo andere möglicherweise nicht dazu in der Lage sind. Ein Mensch mit einem solchen Potential an Liebesfähigkeit wird sich so schnell von dem Bösen, dass das Leben für uns alle bereit hält, nicht erschüttern lassen.
Wenn es eine Botschaft in diesem Roman gibt, dann diese, dass wir alle lieben lernen und vergeben sollten.
Empfehlenswert.
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