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Rezension: Umlaufbahnen, Samantha Harvey- dtv


Samantha Harvey ist die Autorin des vorliegenden Romans, der 2024 mit dem Hawthornden Prize und dem Booker Prize ausgezeichnet wurde. Übersetzt wurde dieses Werk von der Schriftstellerin Julia Wolf. 

Worum es geht? 

6 Astronauten befinden sich in einer Raumstation – schwebend - im All und umrunden die Erde einmal in 90 Minuten, sechszehn mal in 24 Stunden. Bei den Astronauten handelt es sich um 2 Frauen und vier Männer, deren Alltag man miterlebt. 

Wie man erfährt, lautet die unausgesprochene Maxime: Diskretion. Bei aller räumlichen Enge möchten die Astronauten nicht auch noch den "Rubikon ins Innenleben" des anderen überschreiten. 

Sie wissen, dass sie beim Start und Wiedereintritt in die Atmosphäre und in Notfällen die Rettungsleinen des anderen sind, ja dass sie füreinander die gesamte Menschheit repräsentieren. Sie müssen bei allem in den anderen Trost finden, wenn sie von tiefer Traurigkeit erfasst werden.

Dabei macht die subtile Macht des Raumschiffes diese Menschen aus unterschiedlichen Ländern dort oben alle gleich. Das ist das vielleicht Bemerkenswerteste an diesem Ausflug neben den philosophischen Betrachtungen und der Bewunderung all dessen, was außerhalb der Raumstation wahrzunehmen ist. (Die Leser sehen mit den Augen der Protagonisten der Raumstation und dürfen immerfort staunen).

Ins All sind die Astronauten nicht geflogen, um ermutigt zu werden, vielmehr ist es primär der Drang nach mehr Wissen und Demut: Geschwindigkeit und Stille, Distanz und Nähe, mehr Weniger, mehr Mehr, so liest man. So finden sie heraus, dass sie selbst im Grunde nichts sind. Genau das mache demütig.

Man erlebt die Weltallerkunder auf den Umlaufbahnen, die Erde beobachtend,- ganz weit weg-, die Perspektive ist also eine andere. 

Man liest irgendwann wie am Rand eines Kontinents das Licht verblasst, wie Sekunden zerrinnen und Zeit immer mehr an Bedeutung verliert. Man liest auch von einem Weltraumspaziergang, von dem damit einhergehenden Déja-vu der Astronauten, zudem - und das ist ganz wichtig -von der Erfahrung des Anblicks einer nahtlosen Welt. Dass dieser Anblick Widersprüchliches in ihnen auslösen würde, hatte man sie vor Abreise gewarnt. 

Weit weg von der Realität auf der Erde sieht man keine Mauern oder Schranken- keine Völker, keinen Krieg, keine Korruption oder irgendeinen andere Grund zur Angst. Möchte man dann noch zurück?

Möchte man noch zurück, wenn man die Politik des Hungers erkennt, wenn man die Politik des Wachstums und Erwerbs begreift, diese Potenz des Verlangens nach mehr? Wie Harvey schreibt, sei unser Planet von der schier unglaublichen Kraft des menschlichen Verlangens geformt, die alles verändert habe: "die Wälder, die Pole, die Wasserspeicher, die Gletscher, die Flüsse, die Meere, die Berge, die Küstenlinien, den Himmel."

Umlaufbahn für Umlaufbahn erwerben die Astronauten neue Erkenntnisse und begreifen, dass der Weltraum die einzige Wildnis ist, die noch bleibt. "Jetzt, da auf Erden alle noch so entlegene Regionen entdeckt und geplündert worden sind, ist das Sonnensystem, in das wir vordringen, die Neue Welt."

 Ach ja, im gleichen Kapitel, 10. Umlaufbahn,  liest man dann: 

"Die Zukunft der Menschheit? fragt Pietro 
Jep. Wie schreiben wir sie? 
Mit den vergoldeten Füllern von Milliardären, würde ich sagen.“ 

Nichts Neues unter Gottes Sonne demnach! Geld regiert die Welt und mit ihr den Weltraum. Kein Grund das Staunen zu beenden!

Maximal empfehlenswert. 

Helga König

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