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Rezension: Wir sehen uns im August –Gabriel Garcia Márquez- Fischer- Taschenbuch



Dieses Werk ist der letzte Roman des 2014 verstorbenen, kolumbianischen Literaturnobelpreisträgers Gabriel Garcia Márquez. 

Christóbal Pera, der Herausgeber, hat im Februar 2023 einige Anmerkungen zu diesem kleinen Kunstwerk verfasst, die man auf den letzten Seiten des Buches nachlesen kann. 

Die Publikation wurde aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz einfühlsam ins Deutsche übersetzt. 

Bevor ich mich in den Roman vertieft habe, las ich zunächst die Kurzfassung auf der zweiten Seite des Buches und dachte spontan an die 1972 entstandene Komödie des amerikanischen Regisseurs Billy Wilder mit dem Titel "Avanti, Avanti!" als auch an den Roman "Salz auf der Haut" der französischen Literaturwissenschaftlerin und Feministin Benoîte Groult. Beide Werke habe ich im Laufe der vergangenen Jahre rezensiert. Beide sind eindeutig Liebesgeschichten, doch ist es dieses Werk auch?

Die Protagonistin, Ana Magdalena Bach, eine verheiratete Frau Ende 40, reist jedes Jahr mit der Fähre auf eine Karibikinsel, um ihrer dort bestatteten Mutter einen Strauß Gladiolen aufs Grab zu stellen. Sie wählt diese Blumen, weil ihre Mutter diese liebte. Weshalb ihre Mutter auf der Insel beerdigt werden wollte, hat sich Ana Magdalena zunächst nicht tatsächlich erschlossen. 

Sie nimmt sich stets für eine Nacht nach dem Besuch des Grabes in einem Touristenhotel ein Zimmer und reist am nächsten Morgen wieder ab, zurück zu ihrer Familie. 

Diesmal geschieht etwas Ungeplantes. 

Sie lernt in der Hotelbar einen Mann kennen, lässt sich auf diesen Avancen ein und verbringt mit ihm eine heiße Nacht in ihrem Hotelzimmer. Was stattfindet, ist nach meiner Interpretation reine körperliche Befriedigung, ist Sex ohne Liebe.

Ana Magdalena genießt diesen freizügigen Sex, ist allerdings entsetzt, als sie am nächsten Morgen einen 20 Euroschein in einem Buch auf dem Nachtisch vorfindet. Der Mann hat sie offenbar für eine Prostituierte gehalten. In der Welt lateinamerikanischer Männer verhält sich eine Dame eben grundsätzlich nicht wie eine Hure! Aber tut dies Ana Magdalena tatsächlich?  Hat der Mann ein Recht sie wie eine Prostituierte zu behandeln? Ich denke: NEIN!

Ana Magdalena hat an dem Ausbruch aus ihrem bürgerlichen Leben Gefallen gefunden und lässt sich in den Folgejahren im August auf der Insel erneut auf "One-Night-Stands“ ein,  dabei desinteressiert an den Männern, ihren Namen oder gar ihrer Herkunft, sondern wohl nur auf ihre eigene körperliche Befriedigung durch ihre Objekte der Begierde bedacht. 

Es ist die körperliche Liebe zu sich selbst, die sie auf diese Weise entdeckt, auch befriedigt und die sie befreit von dem alltäglichen Einerlei, das ihr offenbar nicht gut tut.

Ihre Mutter scheint eine jahrlange Liebschaft auf der Insel gehabt zu haben. Nichts Näheres erfährt man darüber. Man kann diese Liebschaft aber vermutlich in das einreihen, was in "Avanti, Avanti" thematisiert wird. Groults "Salz auf der Haut" thematisiert zwar bereits den freien Sex, aber nur mit einem einzigen Lover, der gesellschaftlich leider nicht zur Protagonistin passt. 

Wann wird eine Frau zur Hure? 

Letztlich durch materielle Vergütung von Liebesdiensten. Findet diese nicht statt, handelt es sich nur um ein freizügig sexuelles Verhalten, das in der bürgerlichen Welt für verheiratete Frauen, nicht nur in Lateinamerika, sondern überall auf der Welt gewissermaßen tabu ist. 

Vielleicht geht es Márquez in seinem Roman darum, diesen Tabubruch in Frage zu stellen, indem er ihn nicht moralisch wertet. Vielleicht geht es auch darum, die durch freien Sex zügellose Körperlichkeit dem Tod entgegenzusetzen, dem "Sack voller Knochen", der übrig bleibt, oft nur wenige Jahre nach der Einsamkeit, die Ana Magdalena offenbar verspürt als sie sagt "In meinem Alter sind alle Frauen allein."

 Maximal empfehlenswert. 

Helga König

Onlinebestellung: Verlag: Fischer Taschenbuch oder überall im Handel ab dem 24.9.25 erhältlich

Rezension: Gesten- Überlegungen zu einer flüchtigen Sprache- Kersten Knipp- Klostermann/Essay 12


Der beeindruckend belesene Autor dieses Essays mit dem Titel "Gesten" ist der freie Journalist und Publizist Kersten Knipp. 

Bereits der Untertitel des Essays macht neugierig, denn er lässt erahnen, dass die LeserInnen hier keine leichte Kost erwartet. "Überlegungen zu einer flüchtigen Sprache", was ist wohl mit dieser Sprache gemeint? Es geht um selbstvergessene Bewegungen, die Freundlichkeit zum Ausdruck bringen, Bewegungen, die eine besondere Art von Kommunikation sind, Bewegungen, die durch ihre kommunikative Absicht zur Geste werden. 

Wie man der Einleitung entnehmen kann, sind Gesten "nicht ohne weiteres in Worte zu fassen, aus der Semantik des Leibes nicht direkt in Sprache zu übersetzen." Dennoch, Gesten ließen sich mehr oder minder exakt deuten. Darüber erfährt man in der Folge viel Wissenswertes. 

Das Werk sei das vorerst letzte einer Art Kommunikationsgeschichte. Die beiden vorangegangen Arbeiten von Kersten Knipp dazu, habe ich auf "Buch, Kultur und Lifestyle" bereits rezensiert.

In dem vorliegenden Essay möchte der Autor zeigen wie reich die Sprache der Gesten ist -"und wie sehr wir uns darum als nicht nur intellektuelle, sondern auch körperliche Wesen denken sollten:" 

Im Rahmen von 8 Kapiteln lernt man Gesten unterschiedlicher Art kennen und vielleicht auch näher zu begreifen. Man erfährt, dass für den Philosophen Descartes einst der Geist vielleicht alles aber der Körper wenig war und dieses Selbstverständnis uns Menschen in der westlichen Welt noch immer präge. Doch es ist der Körper, so der Autor, der uns jene individuelle Identität gewähre, die anderweitig offenbar kaum mehr zu haben sei. 

Zur Sprache kommt "Blick und Bedeutung". Hier fragt Kersten Knipp, warum wir einander beobachten und beantwortet dies im Kapitel 3 sehr gut und vor allem ausgiebig. Hier liest man auch, wie der Philosoph Sartre den fremden Blick deutete, indem der Autor an eine Szene aus dem Werk "Das Sein und das Nichts" erinnert. Knipp zitiert u.a. auch den Philosophen Friedrich Nietzsche, der einst schrieb "Man teilt sich nie in Gedanken mit: man teilt sich in Bewegungen mit, mimische Zeichen, welche von uns auf Gedanken hin zurückgelesen werden."

Wie auch immer, der Leser erfährt anhand zahlloser Beispiele, dass der Körper kommuniziert, sogar Kommunikation sei und zwar unausgesetzt. In seinen Spaziergängen durch die Geisteswelt, schreibt Kersten Knipp u.a. über Rilkes Reflektionen hinsichtlich des Bildhauers Rodin und hier, dass für diesen der Körper aus lauter Schauplätzen des Lebens bestanden habe. Ein Gedanke, der neugierig auf Rilkes Werk zu Rodin macht.

Zu den politische Gesten, die in Kapitel 4 näher besprochen werden, zählt die Geste von Willi Brandt und dessen Kniefall am Denkmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto, auch an die die Hände von Mitterand und Kohl, die einander ergreifen, als sie schweigend vor dem Beinhaus Douaumont stehen, wo die sterblichen Überreste von mehr als 130 000 getöteter Soldaten aus dem 1. Weltkrieg liegen. Eine Geste der Verbundenheit, die mehr als Worte zum Ausdruck bringt! 

Es ist unmöglich, im Rahmen der Rezension auf all die vielen Verweise einzugehen, die Kersten Knipp zusammengetragen hat, um die Facetten seiner Überlegungen vielschichtig zu unterfüttern. Auch die gestreckte Hand der Nazis bleibt nicht unerwähnt. Dieser Gruß sei Autosuggestion, denn er eröffne kein Gespräch, sondern fordere zum Glauben, zur politischen Hingabe auf. 

Interessant ist die Interpretation von Churchills "V", die weit mehr beinhaltet als zumeist angenommen.

Zur Sprache gebracht wird des Weiteren das Lächeln der Opernsängerin Maria Callas auf der Bühne und in diesem Kapitel auch der Blick von Greta Garbo und die Bedeutung von beidem. Wem gilt das Lächeln und wem der Blick? 

Besonders gut gefallen hat mir Kapitel 6 "Sinn in Bewegung. Die Gestik des Tanzes". Hier beleuchtet Kersten Knipp Degas Gemälde "L`Etoile" und erwähnt einen interessanten Text, den er in jungen Jahren gelesen hat. Es handelt sich um "Philosophie de la danse" von Paul Valery, wonach der Tanz eine Welt für sich bilde, ein dem Alltag enthobenes Geschehen, das seine eigene Zeit erschaffe, die mit der gewöhnlichen nicht viel zu tun habe. Tanzen bewege sich um sich selbst.

Tanz ist demnach ein Ausdrucksmittel der besonderen Art, vielleicht das letzte ursprüngliche wie die Tänzerin Isodora Duncan, einst formulierte und doch ist Tanz Kommunikation, weil, sobald man mit einem anderen tanzt,  man Fragen stellen muss mit unserem Körper, um in den nonverbalen Dialog mit dem Gegenüber treten zu können. 

In Kapitel 7 erfährt man Wissenswertes über die gestische Sozialisation des Autors und kann sich im 8. Kapitel mit zahlreichen Gesten der Gegenwart vertraut machen. 

Doch ich möchte nicht zu viel verraten, soviel nur: es gibt bei aller Gestenvielfalt zwischenzeitlich etwas Neues: die ausbleibende Geste! Das kommunikative Nichts! 

Es handele sich um die spätmoderne Weltvergessenheit, die die Signale des Sozialen verschlucke, wo Gesellschaft war, herrsche Subjektivität, die Kommunikation sei eine mit sich selbst. 

Traurig aber wahr!

Maximal empfehlenswert.  

Helga König 

 Onlinebestellung Klostermann Essay 12 oder überall im Handel erhältlich.

Rezension: Gute Menschen- Fréderic Schwilden-Piper


Der Autor dieses Romans, Fréderic Schwilden, arbeitete u.a als Redakteur im Feuilleton der Welt am Sonntag und ist seit 2018 exklusiver Autor der Welt-Gruppe. 

Als ich den Titel "Gute Menschen" las, dachte spontan an nachstehendes Zitat Albert Einsteins "Wie ohnmächtig auch die guten und gerechten Menschen sein mögen, sie allein machen das Leben lebenswert" und wurde neugierig auf den Inhalt des vorliegenden Buches. 

Die Protagonisten des Romans sind die erfolgreiche, dabei überaus hedonistisch ausgerichtete Juristin Jennifer und der nachdenkliche, dabei ethisch anspruchsvolle Gymnasiallehrer Jan. Die beiden haben sieben Jahre als Paar zusammengelebt. Als Jan vor Weihnachten zu seiner pflegebedürftigen, hochbetagten Großmutter reist, um ihr beizustehen, verlässt Jennifer ihn, ohne ein Wort zu sagen und zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus, die sie ihm überlässt. 

Jennifer hält Jan für spießig wegen seines ethischen Anspruchsdenkens und präferiert stattdessen, den Moment ausgiebig zu genießen, ohne sich kritischen Fragen darüber aussetzen zu müssen. Materie spielt für sie keine Rolle. Sie hat genug davon, um sich das Leben zu leisten, das sie von nun ab führt. 

Dabei geht es ihr nicht um das Umsetzen von Statusdenken. Ein solches Handeln wäre für sie kleingeistig, sondern darum, einfach ohne schlechtes Gewissen, das zu tun, was ihr spontan Spaß bereitet. Sie möchte sich nicht mehr rechtfertigen müssen, wenn sie sich in einem Luxushotel wie dem Ritz in Paris einmietet und dort den teuersten Champagner bestellt. Dies soll ja nicht ihre Lebensaufgabe werden, sondern ein bloßer Kick für den Moment. 

Toleranz und Großzügigkeit machen die Protagonistin trotz ihres Selbstfindungs-Trips fast sympathisch, auch ihre brillanten Analysen tun es und die dabei ehrlichen Betrachtungen von allem, was ihr entgegengebracht wird. Jennifer ist eine gute Beobachterin, beschreibt Realitäten, sieht Widersprüchlichkeiten aller Art, wertet sie aber nicht. 

Jan erlebt man als sehr empfindsamen Mann, der die abrupte Trennung von Jennifer nicht so einfach wegstecken kann, zumal sie sich einem letzten klärenden Gespräch entzieht, sogar ihr Handy weggeworfen hat. Funkstille. 

Jennifer will frei sein und möchte Jan keinen Platz in ihrem neuen Leben mehr einräumen. Das muss er akzeptieren. 

Jan macht bei seiner schwerbehinderten Großmutter ganz andere Erfahrungen als die Hedonistin auf ihrer Selbsterfahrungsreise. Er umsorgt und pflegt die alte Frau. Der Autor beschreibt akribisch, was das heißt. Pflegedienste sind anstrengend, gehen seelisch an die Substanz. 

Bei allem: Jennifer und Jan leben beide ihren Charakteren entsprechend ein authentisches Leben. Vielleicht macht sie genau das zu guten Menschen, wenn auch mit verschiedenen Lebensansichten.

Beide machen, um den Gedanken Einsteins aufzugreifen, wenn auch auf unterschiedliche Art, das Leben lebenswert. Gut ist, wer keinem schadet.

Maximal empfehlenswert. 

Helga König

Onlinebestellung: Piper oder überall im Handel erhältlich

Rezension: Für Polina-Takis Würger-Roman- Diogenes


Takis Würger, der Verfasser dieses Romans, ist seit 2020 freier Autor und hat von da an Bestseller geschrieben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Zuvor war er beim Nachrichtenmagazin "Spiegel" tätig.

"Für Polina" ist eine Ode an das Universum der Klänge, ist eine Ode an die Musik, zugleich aber auch eine Ode an die wahre Liebe, die sich bekanntermaßen nicht erbittern lässt.

Darüber hinaus lernt man in diesem Buch das Wesen eines hochbegabten Menschen kennen, der nicht frei von Autismus ist. Im Falle des Protagonisten Hannes Prager, er ist musikalisch hochbegabt, wird man mit dessen außergewöhnlichem musikalischen Gedächtnis, der Fähigkeit spontaner Improvisation und Komposition, sowie einer hohen Lernfähigkeit im Bereich Musik vertraut gemacht. 

Die Zeugung von Hannes, dem Wunderkind, war dem Zufall geschuldet. Hannes ist das Ergebnis eines One-Night-Stands und dies in einer Urlaubsnacht zwischen zwei Menschen, die ungleicher nicht sein konnten. Seine hochintelligente Mutter, genannt Fritzi, die zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem Abitur stand, entschied sich gegen eine Abtreibung und für die Alleinerziehung des Kindes. Ihre Lebensplanung- sie wollte Juristin werden-  legt sie einstweilen auf Eis.

Auf der Entbindungsstation lernt Fritzi durch Zufall Günes kennen, die gerade ihre Tochter Polina geboren hat. Dieses Mädchen wird im Leben des kleinen Hannes die zentrale Rolle spielen. Sie ist der Nährstoff für seine Begabung. Die Sehnsucht nach ihr, ist der Motor für seine Melodien.

Fritzi, die Mutter von Hannes, jobbt als Aushilfe bei Netto, um sich und ihren Sohn ernähren zu können und findet bei einem verlotterten, alten Pianisten in einer heruntergekommenen Villa Unterschlupf. Dieser Umstand soll sich allerdings als unverhofftes Glück für den kleinen Hannes erweisen, der zunächst in seiner Innenwelt lebt und nicht spricht. Stattdessen hört er Klänge. Alles um ihn herum, verwandelt sich in Musik. 

Günnes und ihre Tochter besuchen häufig die Bewohner der maroden Villa. Was sich dann im Laufe der Zeit ereignet, wird spannend beschrieben. So auch wie Hannes auf dem alten Klavier des Pianisten  das Spielen erlernte und alsbald ganze Sonaten auswendig kann. 

Das Klavier ist die Zuflucht von Hannes  und sein Vertrauter geworden. Dabei habe er begriffen "dass er Menschen, Gefühle und Erinnerungen, ob er wollte oder nicht, in Musik übersetzte, und das Klavier machte seine Musik hörbar." 

Man erlebt das Miteinander der beiden Kinder, die sich nach der Pubertät ineinander verlieben und erlebt wie Hannes für Polina seine erst Klaviersonate komponierte. Sein ganzes Sehnen drückt sich in dieser Melodie aus.

Was dann folgt, möchte ich hier nur andeuten, vor allem nicht skizzieren, wozu Liebeskummer führen kann. So viel nur: Blockaden sind der größte Feind kreativer Menschen. Hannes braucht Jahre bis er wieder spielen kann. Doch dann spielt er sich sehnsüchtig in den Olymp der Hoffnung, um dort seine große Liebe wiederzufinden…

Maximal empfehlenswert. 

Helga König

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Rezension: Wut und Liebe- Martin Suter-Diogenes

Der Schweizer Martin Suter ist der Autor des vorliegenden Romas. Er hat zahlreiche Bestseller geschrieben, sodass die LeserInnen auch bei seinem neuen Werk beim Kauf bereits wissen, dass sie vermutlich keinen Fehlgriff tätigen werden und sie ein 290 Seiten umfassendes Lesevergnügen erwartet. 

Worum es geht? Um die Motive, die nicht selten zu kriminellem Handeln führen, sprich um Liebe, aus der Wut, schlimmer noch Hass entsteht. 

Charakterschwächen und Persönlichkeitsdefizite werden sehr gut am Verhalten einzelner Personen des Romans dargestellt, zudem vermeintlich freundschaftliches Verhalten, das zu fatalen Ergebnissen führen kann. 

Wer einen Freund in dessen betrügerischen Handlungen deckt, schützt ihn auf Dauer nicht, so die Botschaft. Wozu ist ein Freund in einer wahren Freundschaft verpflichtet? 

Was hält die Liebe zu einem Menschen aus? Wann beginnt diese zu kippen? Auch dies wird am Beispiel von zwei, nein, eigentlich drei Paaren dargestellt. Vor allem aber: Wozu verführt Habsucht mitunter Menschen und was der Glaube, sich mit Geld von Problemen frei kaufen zu können? 

Die Romanhandlung, die nicht zuletzt in Kunstszene spielt und die dortigen Verwerfungen sehr gut skizziert, verdeutlicht, wodurch ein Künstler bekannt und seine Werke zu begehrten Handelsobjekten werden. Einerseits muss die Wiedererkennung gesichert sein, andererseits benötigt der Künstler einen guten "Verkäufer", der entsprechenden Einfluss in der betuchten Käuferszene hat. Die Kunstobjekte müssen für den Markt entdeckt werden. Das macht Kommunikation erforderlich. Bei allem ist ein langer Atmen notwendig, der einen Mäzen unerlässlich macht, damit ein Künstler - nicht abgelenkt-  kreativ bleiben kann. Wie sich das alles gestaltet, wird ebenfalls erzählerisch sehr gut dargeboten. 

Wann entsteht trotz Liebe Wut auf den Partner oder die Partnerin? Offensichtlich, wenn in der Beziehung etwas aus dem Gleichgewicht gerät, vielleicht auch wenn Erwartungshaltungen nicht erfüllt werden. Dies vermittelt jedenfalls das Beispiel der Protagonisten Noah, - er ist Künstler- und seiner Freundin Camilla. 

Wut aber kann Liebe,  so eine weitere Botschaft, nicht zerstören. Das ist der Unterschied zu Hass. 

Bei Hass muss davon ausgegangen werden, dass es zuvor keine Liebe war, sondern bloßes Besitzdenken mit all den Folgen, die man am Beispiel der vermögenden Protagonistin Betty sehr gut erkennen kann.

Auf die konkrete Handlung des Romans gehe ich bewusst nicht ein im Rahmen dieser Rezension, um das Lesevergnügen nicht zu vermindern. Einzelheiten werden nicht verraten. 

Übrigens: den Schluss habe ich nicht als Happy End gelesen, sondern als ein "Es ist wie es ist. Eines steht fest: Das Leben geht weiter. Man muss das, was ist, annehmen, um daraus etwas Positives  gestalten zu können." 

 Maximal empfehlenswert Helga König 

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Rezension: Dunkle Momente- Roman. S.Fischer


Elisa Hoven, die Autorin dieses spannenden, zum Nachdenken anregenden Romans ist Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig und Richterin am Sächsischen Verfassungsgerichtshof. 

Dem Roman geht ein mehrseitiges Interview mit der Autorin voraus, das dem besseren Verständnis der 9 Kapitel dient, aus denen sich die Romanhandlung zusammensetzt. Zudem lernt man durch das Interview die Autorin und Ihre Haltung zu unserem Justizsystem ein wenig kennen. 

Die Protagonistin im Buch ist die Ich-Erzählerin Eva Bergen, eine erfolgreiche Strafverteidigerin. Ihre Aufgabe ist es, Tatverdächtigen rechtlich beratend und unterstützend beizustehen. 

Eva berichtet von 9 Fällen, die sie verantwortet hat und zeigt wie rasch rechtliche Beratung und unterstützender Beistand bei einer Strafverteidigerin Gewissensprobleme zur Folge haben können. Wo endet ihr unterstützender Beistand? Wo macht sie sich möglicherweise selbst strafbar?

Die ersten 8 Fälle, die Eva Bergen nicht selten mit ihrem Ehemann Peter, einem Literaturprofessor, der im Buch offenbar als gesunder Menschenverstand fungiert, erörtert, zeigen die Persönlichkeiten der jeweiligen Tatverdächtigen und Hintergründe, die zu den Straftaten führten, auf. Diese Informationen sind es, die vielleicht begreifen lassen, weshalb  zuvor unbescholtene Menschen eine schlimme Straftat begangen haben, ohne dass man diese allerdings billigt. Hier gilt Peters Satz: "Wir können nicht alles Schlechte in der Welt verhindern. Aber wir können dafür sorgen, dass es nicht ungesühnt bleibt."(S.87)

Das gilt auch für den 7. Fall, doch hier wird es problematisch: Thematisiert wird die Vergewaltigung einer Medizinstudentin durch eine Gruppe junger Männer. Das Vergewaltigungsopfer Sophia entscheidet sich zu einer Falschaussage, damit die Täter nicht straffrei ausgehen und hängt ihnen dabei darüber hinaus die Straftat des versuchten Mordes an. Eva Bergen interpretiert dies als einen Akt der Selbstermächtigung und konstatiert, dass die Studentin zur Täterin werden wollte, um nicht mehr Opfer sein zu müssen. Die Männer wurden allesamt zu 13 Jahren Haft verurteilt. Sophie wechselte ihr Studium, begann Jura zu studieren, weil sie nun plante, Staatsanwältin zu werden, so erfährt man zu Ende des Kapitels. Mit dem Ergebnis bin ich alles andere als zufrieden, weil das Recht dadurch starke Blessuren bekommen hat. Kann Selbstermächtigung die Lösung sein, wenn Recht unfaire Lücken aufweist? Wohl eher nicht.

Eva Bergen vermittelt Fakten an die Leser aber sie wertet nicht. Das finde ich interessant. Sie fordert zum Nachdenken auf.

Interessant auch der Fall der Studentin Selma, die sich schuldig fühlt am Tod des ihr anvertrauten Kindes Kira und sich nach ihrem Freispruch selbst bestraft. In einem anderen Fall, dem 6., bringt die Autorin es mit nachstehendem Satz auf den Punkt: "Aber man kann niemand retten, der nicht gerettet werden will". 

Getäuscht wird Eva durch den Millionär Hans Kleemann, der durch sie, sich die notwendigen Infos beschafft, um eine kriminelle Handlung vertuschen zu können und durch den Chefarzt Ludwig Friedrichsen, dessen selbstbewusstes Auftreten sie zunächst auf eine falsche Fährte führt. Auch eine Strafverteidigern lässt sich blenden, wie dieser Fall zeigt. 

Alle Fälle zeigen, dass Eva sehr vorsichtig arbeiten muss, es auch in der Regel tut, nicht zuletzt weil sie die Fehlberatung von Stefan Heinrich nicht vergessen kann, die ein Familiendrama zur Folge hatte und sie seither Schuldgefühle plagen...

Klar wird nach all den dargestellten Fällen, wie große die Verantwortung von Strafverteidigern und - innen ist, denn nicht immer ist alles so wie es scheint. Ein Katastrophe, wenn Unschuldige verurteilt werden und die Täter ungestraft ihr Leben fortsetzen können! 

Wie leicht Unachtsamkeit oder Unkenntnis zu wirklichen Dramen führen können, zeigt sich im Fall "Salz" aber auch und vor allem im Fall Stefan Heinrich...

Die katastrophalen Folgen von Handlungen oder Unterlassungen können nicht immer vorausgesehen werden, auch von einer hervorragenden Strafverteidigerin nicht.   

Gefallen hat mir, dass Elisa Hoven immer wieder auch aus dem Privatleben der Strafverteidigerin erzählt und sie dem Leser so als Mensch mit vielen Facetten nahe bringt, der sein berufliches Tun ernst nimmt, aber auch an seine Grenzen stößt mit entsprechenden Folgen… 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Die Einmaligkeit des Lebens-Roman, Willi Achten, Piper


Dies ist der dritte Roman des Autors Willi Achten, der bei Piper erschienen ist. Achten ist seit den frühen 1990er Jahren als Schriftsteller tätig und lebt im niederländischen Vaals bei Aachen. 

Dieses beklemmende Werk bewegt sich innerhalb zweier Zeitebenen, die von Kapitel zu Kapitel wechseln. Es handelt sich dabei um die Jahre 1988 und 2017. 

Die Protagonisten sind die Brüder Simon und Vinzenz, die eine innige Bruderliebe verbindet. Zeit ihres Lebens konnten sie sich aufeinander verlassen. 

2017, beide noch keine 50 Jahre alt, ereilt Vinzenz eine tödliche Krankheit, die von beiden Brüdern viel abverlangt. Wie verhält es sich nun mit Simons Verlässlichkeit? Wo beginnt Verrat in einer solchen tiefen geschwisterlichen Beziehung? 

Simon, der Ich-Erzähler erzählt immer wieder von der Zeit als beide Brüder noch jung waren, die Eltern noch lebten und die Familie zusammenhielt, wenn Konflikte von außen dieses erforderlich machten. Simon erzählt auch von seiner damaligen Freundin Martha, erzählt von den Schwierigkeiten, aus denen Vinzenz ihn rettete und zeichnet auf dieser Weise das beeindruckende Porträt eines wirklich guten, "toughen", sehr zuverlässigen Menschen in einer erzkatholischen Gegend, wo Simon in jungen Jahren in der dortigen Kirche - mehr aus Versehen- eine Skulptur, die Judas darstellt, köpfte. Was hat das für den Handlungsverlauf des Romans zu bedeuten?

Ich vermute, dass es sich hierbei um eine Schlüsselszene im Roman handelt, die zu interpretieren ich mir im Rahmen der Rezension nicht erlaube, da ich dazu nicht genügend bibelfest bin. 

Die beiden Brüder haben in diesen jungen Jahren ihre Eltern bei einem Schiffbruch verloren und waren von da an auf sich gestellt. Das erklärt vermutlich die Enge der Beziehung, obgleich die Lebenswege offenbar verschiedene waren. 

Aus Vinzenz wird ein vielgereister Restaurator. Simon versucht das elterliche Erbe vor dem Untergang zu bewahren, das dem Abbau von Kohle zum Opfer zu fallen drohte. 

Warum muss gerade Vinzenz an Krebs erkranken? Weshalb muss sich gerade bei ihm ein Tumor im Kopf ansiedeln? 

Simon beginnt in seiner Hilflosigkeit zu beten, beginnt mit Gott zu feilschen, um seinen geliebten Bruder zu retten oder ihm etwas mehr Zeit zu schenken. Doch am Ende geht es nur noch darum, den Schmerz von Vinzenz zu verkürzen bzw. zu lindern… 

Ein wahnsinnig gut geschriebener Roman, der lange nachwirkt.
 
Maximal empfehlenswert

Helga König  

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Rezension: Umlaufbahnen, Samantha Harvey- dtv


Samantha Harvey ist die Autorin des vorliegenden Romans, der 2024 mit dem Hawthornden Prize und dem Booker Prize ausgezeichnet wurde. Übersetzt wurde dieses Werk von der Schriftstellerin Julia Wolf. 

Worum es geht? 

6 Astronauten befinden sich in einer Raumstation – schwebend - im All und umrunden die Erde einmal in 90 Minuten, sechszehn mal in 24 Stunden. Bei den Astronauten handelt es sich um 2 Frauen und vier Männer, deren Alltag man miterlebt. 

Wie man erfährt, lautet die unausgesprochene Maxime: Diskretion. Bei aller räumlichen Enge möchten die Astronauten nicht auch noch den "Rubikon ins Innenleben" des anderen überschreiten. 

Sie wissen, dass sie beim Start und Wiedereintritt in die Atmosphäre und in Notfällen die Rettungsleinen des anderen sind, ja dass sie füreinander die gesamte Menschheit repräsentieren. Sie müssen bei allem in den anderen Trost finden, wenn sie von tiefer Traurigkeit erfasst werden.

Dabei macht die subtile Macht des Raumschiffes diese Menschen aus unterschiedlichen Ländern dort oben alle gleich. Das ist das vielleicht Bemerkenswerteste an diesem Ausflug neben den philosophischen Betrachtungen und der Bewunderung all dessen, was außerhalb der Raumstation wahrzunehmen ist. (Die Leser sehen mit den Augen der Protagonisten der Raumstation und dürfen immerfort staunen).

Ins All sind die Astronauten nicht geflogen, um ermutigt zu werden, vielmehr ist es primär der Drang nach mehr Wissen und Demut: Geschwindigkeit und Stille, Distanz und Nähe, mehr Weniger, mehr Mehr, so liest man. So finden sie heraus, dass sie selbst im Grunde nichts sind. Genau das mache demütig.

Man erlebt die Weltallerkunder auf den Umlaufbahnen, die Erde beobachtend,- ganz weit weg-, die Perspektive ist also eine andere. 

Man liest irgendwann wie am Rand eines Kontinents das Licht verblasst, wie Sekunden zerrinnen und Zeit immer mehr an Bedeutung verliert. Man liest auch von einem Weltraumspaziergang, von dem damit einhergehenden Déja-vu der Astronauten, zudem - und das ist ganz wichtig -von der Erfahrung des Anblicks einer nahtlosen Welt. Dass dieser Anblick Widersprüchliches in ihnen auslösen würde, hatte man sie vor Abreise gewarnt. 

Weit weg von der Realität auf der Erde sieht man keine Mauern oder Schranken- keine Völker, keinen Krieg, keine Korruption oder irgendeinen andere Grund zur Angst. Möchte man dann noch zurück?

Möchte man noch zurück, wenn man die Politik des Hungers erkennt, wenn man die Politik des Wachstums und Erwerbs begreift, diese Potenz des Verlangens nach mehr? Wie Harvey schreibt, sei unser Planet von der schier unglaublichen Kraft des menschlichen Verlangens geformt, die alles verändert habe: "die Wälder, die Pole, die Wasserspeicher, die Gletscher, die Flüsse, die Meere, die Berge, die Küstenlinien, den Himmel."

Umlaufbahn für Umlaufbahn erwerben die Astronauten neue Erkenntnisse und begreifen, dass der Weltraum die einzige Wildnis ist, die noch bleibt. "Jetzt, da auf Erden alle noch so entlegene Regionen entdeckt und geplündert worden sind, ist das Sonnensystem, in das wir vordringen, die Neue Welt."

 Ach ja, im gleichen Kapitel, 10. Umlaufbahn,  liest man dann: 

"Die Zukunft der Menschheit? fragt Pietro 
Jep. Wie schreiben wir sie? 
Mit den vergoldeten Füllern von Milliardären, würde ich sagen.“ 

Nichts Neues unter Gottes Sonne demnach! Geld regiert die Welt und mit ihr den Weltraum. Kein Grund das Staunen zu beenden!

Maximal empfehlenswert. 

Helga König

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Rezension: Besser allein als in schlechter Gesellschaft- Meine eigensinnige Tante- Adriana Altaras-Kiwi


Adriana Altaras, die Autorin dieses hinreißend kurzweilig geschrieben Buches ist eine mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin, zudem inszeniert sie seit den Neunzigerjahren an Schauspiel- und Opernhäusern und hat bereits mehrere Bestseller verfasst. 

Ihr Buch habe ich kürzlich erst in einer Buchhandlung entdeckt und war nach wenigen Seiten bereits überaus beeindruckt von dem Erzähltempo, das so gar nicht zu einem Text über eine 101 Jährige zu passen scheint. Doch genau das fasziniert und löst Neugierde aus. 

Man erwartet berechtigten Trübsinn und findet stattdessen in vieler Hinsicht die berühmte Leichtigkeit des Seins. Das ist Balsam für die Seele von uns Lesern in den dunklen Zeiten, die wir augenblicklich gerade durchleben.

Adriana Altaras schreibt von ihrer eigensinnigen Tante, der schönen Teta Jele, die immer wieder auch selbst zu Wort kommt. Diese resiliente und zugleich resolute, hochbetagte Dame wurde 101 Jahre alt. Widerwillig musste sie, die die Freiheit liebte, am Ende ihres Lebens in einem Pflegeheim in Italien die ihr noch verbleibende Zeit verbringen, weil ihre Motorik durch einen Sturz stark beeinträchtigt wurde.

Teta Nele wäre nun zwar gerne bei ihrer geliebten Nichte, möchte aber nicht in Deutschland leben. Ihre Erinnerungen an die Nazis sitzen zu tief. Darüber hinaus herrscht Corona zum Zeitpunkt ihres Aufenthaltes im Pflegeheim und sie, die als Einzige dort nicht an Corona erkrankt ist, lebt entsprechend isoliert. Doch sie weiß aufgrund ihrer Lebenserfahrung, dass man besser allein als in schlechter Gesellschaft lebt. 

Der Leser nimmt Anteil an der engen Beziehung zu ihrer Nichte, an deren Telefonaten, wo man sich am Realismus, aber auch den schwarzen Humor Teta Jeles erfreuen kann und begreift, was diese Frau die Spanische Grippe, die Nazizeit, das Konzentrationslager und ihre spießbürgerliche Schwiegermutter hat überstehen lassen. Es ist die Fähigkeit, zu bejahen, dass das Leben kein Zuckerschlecken ist und man Schwierigkeiten zunächst annehmen muss, um mit ihnen umzugehen und sie anschließend vielleicht überwinden zu können. 

Teta Jele hat sich bei allen Schwierigkeiten ihres Lebens den Sinn für das Schöne, vielleicht auch Luxuriöse erhalten, liebt noch immer einen guten Lippenstift auch dezent-edle Kleidung und war stets bodenständig genug, um gerne und gut zu kochen. Eine selbst gemachte Pasta ist ihr Wohlfühlgeheimnis, mit dem man - nach ihrer Erfahrung- alles überlebt.

Ihre Kraft zum Leben schöpft die Kinderlose aus der Liebe zu ihrer Nichte, von der sie glaubt, obgleich diese auch schon 60 Lenze zählt, dass sie sie immer noch behüten muss, weil die beruflich zwar erfolgreiche Adriana emotional  einfach zu  dünnhäutig ist. 

Genau diese Dünnhäutigkeit stresst Menschen bekanntermaßen und lässt sie stets aufs Neue in das berüchtigte Loch der Larmoyanz fallen. Teta Jela weiß, wie es auch anders geht: annehmen und loslassen hat sie gelernt.

Maximal empfehlenswert
Helga König

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Rezension: In einem Zug- Daniel Glattauer-Dumont


Der Autor dieses Romans ist der österreichische Schriftsteller Daniel Glattauer, der 2006 mit "Gut gegen Nordwind" einen Bestseller schrieb. Diesem Buch folgten weitere erfolgreiche Werke, die in mehr als vierzig Sprachen übersetzt wurden und sich weltweit millionenfach verkauften. Ich selbst war 2006 begeistert von seinem Durchbruchsroman und habe ihn gerne weiterempfohlen. 

Jetzt, 19 Jahre später, habe ich mit Neugierde "In einem Zug" gelesen, einen Roman, der seiner witzigen Dialoge wegen begeistert. Ein Liebesroman ist es nicht, auch wenn es zunächst so scheint. 

Ort der Romanhandlung ist ein Zug, der die Strecke von Wien nach München zurücklegt. Die Protagonisten sind zwei Fahrgäste. Dabei handelt es sich um den in die Jahre gekommenen Schriftsteller Eduard Brünhofer und die Physiotherapeutin Catrin Meyr, eine Frau mittleren Alters, die ihm gegenübersitzt. 

Ein Gespräch auf der langen Strecke zwischen den beiden lässt sich nicht vermeiden. Catrin verwickelt Brünhofer sogar in ein Endlosgespräch, indem sie ihm immer neue Fragen stellt, erst solche, allgemeiner Natur, dann immer indiskretere. So fragt sie zunächst, was einen Autor dazu befähige, über die Liebe zu schreiben. Brünhofer verdeutlicht, dass es um die Vorstellung gehe, die man davon haben müsse, jedoch nicht um die Erfahrung. Die Vorstellung lebe von der Fantasie. Die Erfahrung mache sie zunichte. 

Man weiß zunächst nicht so recht, was es mit der Endlosfragerei auf sich hat. Ist Catrin einfach nur penetrant neugierig oder will sie den Schriftsteller "anbaggern"? Catrin möchte über die Liebe sprechen und outet sich als  Gegnerin von Langzeitbeziehungen.

Brünhofer entzieht sich ihren Fragen nicht, beginnt während des Gesprächs nachzudenken und unliebsame Wahrheiten hervorzukehren, sich diesen zu stellen. So etwa solchen, die sich auf seine jahrelange Schreibblockade beziehen, seinem Unvermögen weiterhin Liebesromane schreiben zu können, aber zugleich einer vertraglichen Verpflichtung nachkommen muss, weil er vom Verlag bereits einen beträchtlichen Vorschuss erhalten hat. 

Das geradezu psychotherapeutische Gespräch mit einer Physiotherapeutin scheint ihn zu entkrampfen, nicht zuletzt im Speisewagen, wo er mit ihr einige Fläschchen Rotwein konsumiert, sich anhört, weshalb Catrin  keine Langzeitbeziehungen pflegt und weshalb sie überhaupt nach München reist... 

Catrin möchte mehr über die Langzeitehe Brünhofers wissen und was er an seiner Frau Gina bewundere. Hier wird  dann immer klarer, dass es die persönliche Zufriedenheit ist, die Brünhöfer schreibmüde gemacht hat.  Er hat einfach keinen Biss mehr.

Wird sich einen Ausweg finden? Möglich. Doch lesen sie bitte selbst. 

Ein toller Roman voller Esprit und Nachdenklichkeit und der Erkenntnis, dass selten etwas bleibt wie es war.

PS: Nachdenklich macht auch das beigefügte  Kartenspiel mit 60 Fragen für mehr Miteinander.

Maximal empfehlenswert

Helga König

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