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Rezension:"Man muss über sich selbst schreiben": Erzählungen, Familienporträts, Essays (Gebundene Ausgabe)


Heute vor 100 Jahren wurde der 1994 verstorbene Schriftsteller, Historiker und Philosoph Golo Mann geboren. Er war einer der begabten Söhne des Nobelpreisträgers Thomas Mann. Dr. Tilmann Lahme, der Verfasser der jüngst veröffentlichen Golo-Mann-Biografie ist der Herausgeber des vorliegenden Buches, das Erzählungen, Familienporträts und Essays Golo Manns enthält. Lahme hat den Texten eine erhellende Einleitung vorangestellt, in welcher er den Erzähler Golo Mann erklärend näher bringt, sich zu dessen Familienbeziehungen äußert und schließlich den politisch hellwachen Schriftsteller im Deutschland nach 1945 fokussiert.


Das Nachwort stammt von Prof. Dr. Hans Martin Gauger, der bis 2000 an der Universität Freiburg Romanische Philologie lehrte und mit Golo Mann in regem Briefwechsel stand. Leider ist es unmöglich im Rahmen einer Amazon-Rezension auf alle im Buch enthaltenen Texte näher einzugehen. Die Novelle " Vom Leben des Studenten Raimund "(1928) ist ein Debüt. Es handelt sich hierbei um eine radikalautobiographische Erzählung, die eines der Lebensgeheimnisse Manns offenlegt. " Herr und Frau Lavalette. Eine Episode aus der napoleonischen Zeit " hingegen ist eine wahre Geschichte und zwar eine Fluchtgeschichte aus dem Frankreich der nachnapoleonischen Zeit, die locker und stringent zugleich erzählt ist. Nicht uninteressant. Allerdings haben mich die Familienporträts im Buch mehr angesprochen.


Über seine Schwester Erika schreibt er, dass sie kompromisslos und treffsicher in ihren Urteilen war. Man erfährt Einiges über ihr intellektuelles Tun, so z.B. über ihr Engagement im Cabaret " Die Pfeffermühle ", auch dass sie Gedichte schrieb, von denen Golo Mann schreibt, dass manche wahrhaft vollkommen waren.
Ferner kann man mancherlei über seinen Onkel Heinrich Mann, den Verfasser des berühmten Romans " Der Untertan " lesen. Heinrich Mann war materiell weniger erfolgreich als sein Bruder Thomas und wurde von diesem phasenweise geldlich unterstützt, entgegen anderer Gerüchte. Die Schwierigkeiten, die Heinrich Mann aufgrund seiner alkoholabhängigen, psychisch kranken Frau hatte, werden auch skizziert. Einfach hatte es Heinrich Mann wirklich nicht. Bewundernswert, dass er trotz dieses familiären Desasters noch kreativ arbeiten konnte !


Interessant ist die Charakterisierung seines Bruders Klaus Mann. Ihm ordnet er " herzlustigen Humor " zu. Ironie soll er kaum besessen haben und auch wenig Neigung zur Selbstkritik. G. Mann hält fest, dass sein Bruder Klaus die Welt und die Menschen schärfer beobachtete als sich selbst. Klaus Mann scheint im Gegensatz zu Golo von materiellen und anderen Zuwendungen Thomas Manns und den Vorzügen, den der Familienname mit sich brachte, reichlich Gebrauch gemacht haben. Diese Bemerkung G. Manns ist keineswegs von Neid durchdrungen, sondern einfach nur feststellend.


Klaus Manns Romane , seine Reisen quer durch den Kontinent und anderes mehr werden erwähnt und es werden sein Drogenmissbrauch, sein Kummer über die Politik sowie sein früher Suizid ausgelotet. Den Verstand seiner Mutter nennt Golo Mann "stark, extravertiert und praktisch." Der Sohn konstatiert: " Es mag paradox klingen, aber in vielem war sie intelligenter als Thomas Mann." Katja und Thomas Mann scheinen sich demnach ergänzt zu haben. Sehr gut porträtiert Golo Mann seinen Vater. Bedauernswert, dass man den Text an dieser Stelle nicht einer längeren Analyse unterziehen kann.

Von seinen politischen Essays möchte ich die Essays über John F. Kennedy und über Willy Brandt hervorheben. Golo Mann hält u.a. fest, dass Kennedy von Anfang an entschlossen war, die Nation zu neuen Anstrengungen und Wagnissen mitzureißen. Nun sollte Regieren wieder etwas anders sein als bloßes würdiges Regieren. " Dass Amerika in einem Lebenskampf lag, dass er , wie der Lebenskampf eines jungen, ehrgeizigen Bürgers, unter Opfern, mit Kühnheit und Phantasie geführt werden musste, war das Axiom, von dem er ausging. "


Wie sehen alles wiederholt sich. Nichts ist neu unter Gottes Sonne. Willy Brandts politische Größe würdigt Golo Mann, ohne dabei seine menschlichen Schwächen zu erwähnen." Je trüber, schwieriger, gefährdeter die Dinge in der Welt und in der Bundesrepublik wurde, desto trauriger wurde Brandt,..." Mann spricht von einem erschöpften, melancholischen Regierungschef, der am Ende seiner Regierungszeit fast nur noch Beobachter der Lage war und melancholisch-philosophisch kommentierte.

Ein interessantes Buch, mit vielen historischen und politischen Hintergrundinformationen und brillanten Porträts bedeutender Persönlichkeiten.

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