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Rezension: Der jüngere Bruder- Uwe Prell- C.M. Brendle Verlag

Uwe Prell arbeitet als freiberuflicher Dramaturg, Redakteur und Autor. Neben seiner beruflichen und literarischen Tätigkeit wurde er im Fach Politikwissenschaften promoviert und in Neuerer Geschichte habilitiert. 

Sein Roman "Der jüngere Bruder" spielt in den  Jahren 1967 und 1977 in der Bundesrepublik Deutschland und befasst sich mit einer möglichen Ursache, die junge Menschen zu vermeintlichen Mittätern oder Sympathisanten der Roten Armee Fraktion (RAF) gemacht haben könnte: Angepasstheit an überkommene Verhaltensmuster. 

Im Frühling 1977 wurde in Karlsruhe vom "Kommando Ulrike Meinhof" Generalbundesanwalt Siegfried Buback, sein Fahrer und der Leiter der Fahrbereitschaft der Bundesanwaltschaft von einem Motorrad aus in ihrem Auto erschossen. Allerdings wurde der Täter bis heute nicht zweifelsfrei identifiziert. 

Volker Löffler, der Protagonist in Uwe Prells Roman, ist der Freund des jüngeren Bruders eines möglichen Beteiligten des Mordanschlags. Wegen der vermuteten Nähe zu Edgar wird er von der Polizei verhört.

Wie schon erwähnt, spielt der Roman auf zwei Zeitebenen. Diese wechseln immerfort und machen deutlich, dass die späteren Ereignisse ohne die früheren so hätten nicht stattfinden können, sie eine Folge von unreflektiertem, vorangegangenem Handeln darstellen.

Man erlebt Volker und seinen Freund Achim Höger sowie dessen älteren Bruder Edgar im Jahre 1967. Volker und Achim sind noch halbe Kinder, aber in ihrer Freizeit bereits der "bündischen Jugend" angeschlossen. Dort ist  auch der ältere Bruder als Scout aktiv. 

Wissen sollte man, dass die bündische Jugend eine Jugendbewegung  ist, die schon in der Weimarer Republik entstand und einst das Menschenbild eines Mannes als Ritter pflegte, der sich freiwillig der Disziplin und Selbstdisziplin unterordnet und im Dienst seines Bundes und dessen Zielen steht. Die Bündischen waren offenbar bestrebt, Gruppen zu bilden, die den Charakter eines Lebensbundes hatten, das heißt, Treue und ein Füreinander-Einstehen bis ans Lebensende waren selbstverständlich.

In der NS-Zeit wurden die Bündischen verboten, weil sie in direkter Konkurrenz zu der Hitler-Jugend standen. Wie man Wikipedia entnehmen kann, warfen Ende des Dritten Reichs Kritiker der Bündischen Jugend vor, "Steigbügelhalter des Nationalsozialismus gewesen zu sein, indem sie ähnliches Gedankengut wie "Führen und Folgen", "soldatische Tugenden" oder Patriotismus transportierte." 

Unklar ist offenbar, ob die bündische Jugend heute noch fortbesteht. In Prells Roman tut sie es. Hier erlebt man dieses "Führen und Folgen" innerhalb der von ihm beschriebenen bündischen Gruppe und sieht wie die Gruppenmitglieder besagte soldatische Tugenden, sprich Kameradschaft, Entschlussfreude, Standfestigkeit, Tapferkeit und Durchhaltevermögen erlernen. Das, was in der Gruppe geschieht, will so gar nicht in die Zeit passen, in der man in der damaligen Studentenbewegung eine freie Erziehung propagierte und "Love and Peace" ein zentrales Lebensmotto vieler junger Menschen war. Offenbar lebt das Bündische von Generation zu Generation in der fokussierten Region fort  - ungeachtet des Zeitgeistes- , ganz ähnlich wie bestimmte Verhaltensmuster in  Burschenschaften. 

Nach der Lektüre des Buches wird klar, dass es diese alten Verhaltensmuster sind, die die drei Jungs zu einer verschwiegenen Schicksalsgemeinschaft zusammenschweißte, die vielleicht ungewollt politisch agierte, ohne möglicherweise tatsächlich politisch motiviert zu sein. Sang man 1932 bei den Bündischen  noch "Wenn die bunten Fahnen wehen", sang man 1970 stattdessen "Let it be", doch man passte das Gruppenverhalten nicht dem veränderten Zeitgeist an und lebte letztlich auch die immer gleichen Konflikte aus.

Die Ermordung Siegfried Bubacks durch Mitglieder der Roten Armee Fraktion war der Auftakt des Terrorjahres 1977, der im sogenannten "Deutschen Herbst" gipfelte. Buback einst Mitglied der NSDAP, wurde dennoch 1953 Staatsanwalt und 1974 Generalbundesanwalt. Bereits vor seiner Amtszeit war er für die Fahndungen nach führenden RAF-Terroristen der ersten Generation verantwortlich. Das machte ihn zum idealen Feindbild der Terroristen der II. Generation, die ungleich gewalttätiger den Kampf gegen das Establishment fortsetzten, weil  sie  von Rachegedanken durchdrungen, völlig emotional reagierten. 

Edgar, Achim oder auch Volker - keine Täter-  haben in der bündischen Jugend Verhaltensmuster gelernt, die sie zu geeigneten Handlagern militanter Gruppierungen machte, ohne politisch motiviert zu sein. Willige Helfer gab es auch in der NS-Zeit zur Genüge. Diese wurden damals in der Hitlerjugend herangezogen, in der ähnliche Ideale wie in der bündischen Jugend hochgehalten wurden. 

Sowohl Volker als auch Edgar trauern nicht erkennbar um den Freund und Bruder Achim, der bei einem Motoradunfall ums Leben kommt. Das ist erschreckend. Diese Unfähigkeit zu trauern haben die beiden mit der Nazigeneration gemeinsam und dies hängt wohl in erster Linie mit einer falsch verstandenen Selbstdisziplinierung zusammen, die sie von ihrem Selbst und damit auch von ihrer inneren Stimme getrennt hat.

Uwe Prell transportiert in seinem Werk den Zeitgeist jener Tage, der sehr widersprüchlich und nicht auf Konsens ausgerichtet war, weil Sprachlosigkeit einen Dialog nicht nur zwischen den Generationen nahezu unmöglich machte, sondern auch weil alte Strukturen überall verdeckt, das Liberale hemmend, fortlebten.

Was fehlt, ist eine wirkliche Nähe zum Du. Sie kann nicht durch Kameradschaft ersetzt werden. Das zeigt sich auch im Umgang mit Lydia, die von den drei jungen Männern mehr als Trophäe, denn als Mensch, der geliebt werden möchte, gesehen wird.

Sehr empfehlenswert 

Helga König

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