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Rezension: Ein Garten voller Bücher-Alba Donati-berlin Verlag



Alba Donati, die Autorin dieses Buches ist eine preisgekrönte Lyrikerin, Journalistin, Lektorin und Übersetzerin. 2020 zog sie von Florenz in ihr Heimatdorf Lucignana, um sich einem neuen Projekt zu widmen. In dem kleinen toskanischen Bergdorf mit kaum 170 Einwohnern eröffnete sie eine Buchhandlung mit Garten. 

"Ein Garten voller Bücher" mit dem Untertitel "Ein toskanisches Märchen" sind Tagebucheintragungen von Alba Donati, die sich über einen Zeitraum von einem halben Jahr erstrecken und von dem Aufbau ihres Projekts inmitten der Coronazeit erzählen. Die hochgebildete Autorin berichtet wie ihr Traum Gestalt annimmt, erzählt von ihrer Familie dort, erinnert sich an ihre Kindheit, erzählt von ihrer 101 Jahre alten Mutter, von ihrer Liebe zu Büchern, von dem Garten, den sie neu gestaltet, berichtet welche Bücher  sie in ihrer Buchhandlung vertreibt, die sie in dem romantisch anmutenden Garten etabliert und schreibt von den Büchern, die täglich bestellt werden.  Natürlich ist Alba Donata mit ihrer Buchhandlung auch im Internet vertreten. 

Die Bestellliste zum Schluss eines jeden Tages ist ein Leckerbissen für alle Leser guter Bücher. Donata lässt sich viel einfallen, um ihr kleines Unternehmen zu pushen. 

Die Tagebucheintragungen beginnen am 20. Januar. Einen Monat später schreibt sie: "Seit einem Monat verbringe ich meine Nächte hier, im vierten Stock dieses von meinen Tanten geerbten Steinhauses. Es ist wie ein Turm. Mir kommen Montaigne und Hölderlin in den Sinn und die Frage, welche Rolle die Häuser im Leben von Schreibenden spielen. Türme vor allem, Türme isolieren, wer dort arbeitet, fühlt sich geschützt und abgeschottet, nicht von dieser Welt. Die städtischen Gärten hinter sich zu lassen und in die Berge hinaufzugehen, war eine Art Fingerzeig für Hölderlin, der dann die letzten sechsunddreißig Jahre seines Lebens eines Schreinermeisters namens Ernst Zimmer am Neckar in Tübingen verbrachte…" 

Wenig später schreibt sie, ihre Liebe zu Büchern reflektierend, dass ihr solche Bücher gefallen, die einen dazu anregen, wieder andere zu lesen, eine Kette, die nie unterbrochen werden sollte. Ich nicke. Mache drei Ausrufezeichen! Genau! So sehe ich das auch. 

Ach ja, für die Autorin ist ein Garten eine Form der Ewigkeit. Auch das sehe ich so. Ein Garten, der eine kleine Buchhandlung oder ein Buchhäuschen enthält, kann nur das Paradies sein. Das Wort "Paradies! stammt aus dem Altiranischen und bedeutet "grüner Ort", liest man in den Tagebucheintragungen von Monat März. 

Alba Donata geht jeden Tag mit ihren Gedanken spazieren, berichtet von ihren Erfahrungen als Buchhändlerin, aber auch über ihren Alltag, reflektiert Dorfgeschehnisse und schreibt solche Sätze wie etwa "Ich bin davon überzeugt, dass das Dorf die Erinnerung an seine Verstorbenen noch darüber hinaus bewahrt, denn ihr Wirken bleibt in den Steinen, den Feldern, den Wäldern bestehen."

Dann entdecke ich abermals bei den angefügten Bestellungen ein Buch, das mich neugierig macht: "Die Weisheit meines Gartens" von Pia Pera. Dieses Buch ist die Bibel von Alba Donati, wie einige Seiten später verrät. 

In Albas Buchhandlung suchen Leute etwas, was sie nicht überall finden. Sie möchten stöbern. Genau dies schaffe eine besondere Atmosphäre jeder unabhängigen Buchhandlung. 

Für Alba Donata steht fest, wenn sie nicht dort, wo sie jetzt ist, sein könnte, würde sie sterben. Weshalb? "Die Landschaft ist eine, die Magie der menschlichen Beziehungen eine andere. In den Straßen des Dorfs fühle ich mich zu Hause, der Umgang untereinander ist mir vertraut, es fehlt mir nichts." Die Autorin spricht mir aus der Seele, denn ich habe vor 2 1/2 Jahren einen ähnlichen "Tapetenwechsel" vorgenommen.

Irgendwann bei den Eintragungen des 20. Juni angelangt, ertappe ich mich dass ich zunächst die Bestellungen des Tages studiere. Aha, erneut ist Pia Peras "Die Weisheit meines Gartens" dabei. Dieses Buch ruft  geradezu danach, bestellt zu werden. 

Doch zurück zu Alba Donatis Werk: Es ist in allem ein wunderbares Buch, süffig geschrieben und einfach märchenhaft schön. Ein ganz großes Lesevergnügen!

 Maximal empfehlenswert. 
Helga König.

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Rezension: Der heutige Tag- Helga Schubert-dtv



Die Autorin dieses Buches, die 83 jährige Helga Schubert, hat als Psychotherapeutin und Schriftstellerin in der DDR gearbeitet und zog sich aus der literarischen Öffentlichkeit zurück, bis sie 2020 mit der Geschichte "Vom Aufstehen" den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann sowie 2021 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde. 

Verheiratet ist die Schriftstellerin seit 47 Jahren mit dem heute 96 jährigen Johannes Helm. Er war Professor für Klinische Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und später dann Maler und Schriftsteller. 

Im vorliegenden Buch schreibt die Autorin wie sie ihren kranken Mann pflegt und was dies für sie, die mit ihm auf dem Land lebt, bedeutet. Sie beschreibt dies ohne Larmoyanz. 

Helga Schubert berichtet vom täglichen Ablauf ihres Tuns, schreibt über die Probleme, die mit Derdens, so nennt sie ihren Mann, Katheder immer wieder entstehen, schreibt, was seine Gehbehinderung an Komplikationen mit sich bringt, zudem auch seine Demenzschübe, die ihn teilweise in eine andere Welt abtauchen lassen. Wie viel Zuneigung benötigt man, um für all dies dauerhafte Geduld und Hilfsbereitschaft aufzubringen?

Ohne rückwärtsgewandt zu sein, schreibt sie von den Anfängen ihrer Beziehung zu Derden, von ihrem Bemühen stets allem gerecht zu werden. Auch jetzt hat sie, wie sie mitteilt, noch eine richtige Lebensaufgabe zu lösen. Es gehe "ums Loslassen, ums Friedenschließen, das Einverstandensein und das nicht dauernd den anderen, sich und das Leben ändern wollen.

Seit 15 Jahren lebt sie mit ihrem Mann in der Einsamkeit in Mecklenburg-Vorpommern, fernab von den Kindern (drei aus seiner ersten Ehe, einen Sohn aus ihrer). Die schon lange erwachsenen Kinder stehen- aus "Zeitgründen" - ihr ebenso wenig zur Seite wie Bekannte und Verwandte, wenn es darum geht, Derden für ein paar Stunden zu betreuen, weil sie einen wichtigen Termin hat. Verantwortung für einen Kranken zu übernehmen, wenn auch nur für kurze Zeit, fällt vielen schwer. Dies kritiklos hinzunehmen, muss auch erst erlernt werden, erkennend, dass dieses Von- sich- wegzuschieben, für viele einfach Programm ist. 

Die meisten Einladungen als Schriftstellerin kann die Autorin nicht annehmen, weil sie ihren Mann nicht alleine lassen möchte und die Kurzzeitpflege einen weiteren Schub der Demenz bedeuten würde. So schreibt sie in ihrem Arbeitszimmer an ihren Texten, ist im Internet aktiv und befindet sich in unmittelbarer Nähe zu Derdens Krankenzimmer, mit dem sie durch ein Babyphone, stets im Kontakt ist. Der Zustand ihres Mannes lässt die Beziehung fast symbiotisch werden.

Auf den Seiten 79/80 schreibt Helga Schubert von einer einundneunzigjährigen Frau, Übersetzerin von Kinderbüchern, die sie seit 1987 kennt und die erfreulicherweise nicht dement ist. Alle Frauen von deren ehemaligem Lesekreis sind es aber und deren Männer ebenfalls. Demenz ist im hohen Alter für viele das Damoklesschwert. 

Der Lichtblick der verwitweten Übersetzerin ist ihr 98 jähriger Jugendfreund. Ihn, er ist wie sie erfreulicherweise nicht dement, besucht sie immer mal wieder am Chiemsee, wo er seit Jahrzehnten alleine in seinem Haus wohnt und  sie, die vergleichsweise zu ihm noch junge Dame, gerne bekocht.

Wie geht man mit Nähe, wie mit Einsamkeit im fortgeschrittenen Alter um? Welche Lichtblicke gibt es, wenn Zukunft fraglich wird? Könnte es die Reise zu einem hochbetagten Jugendfreund sein? Wieviel ist man bereit zu geben, wenn ein uns nahestehender Mensch hilfsbedürftig wird? Wie richtet man sein eigenes Leben ein, um an der Krankheit des Gegenübers nicht zu zerbrechen? Welche Rolle spielt die Liebe, wenn es darum geht, für einen Kranken da zu sein? Diese und tausend andere Fragen ergeben sich aus dem berührenden, sehr poetischer Text  Helga Schuberts, der dazu anregt, sich nicht um den morgigen Tag zu sorgen, sondern jeden Tag so zu nehmen wie er ist, mit seinen stets  individuellen Plagen.

Maximal empfehlenswert. 

Helga König

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Rezension: „Die spürst Du nicht“-Daniel Glattauer-Roman



Der Autor dieses tief berührenden, sehr nachdenklich stimmenden Romans ist der Schriftsteller Daniel Glattauer, dessen Bestseller "Gut gegen Nordwind" gewiss noch vielen Lesern in guter Erinnerung ist.

"Die spürst Du nicht" enthält- ganz gewiss dem Zeitgeist geschuldet- nicht die Leichtigkeit des Seins, die in "Gut gegen Nordwind" Aufbruch in etwas Neues versprochen hat. Das Neue ist zwischenzeitlich Teil unseres Lebens geworden. Man hat keine Zeit mehr Briefe zu schreiben oder längere private Mails zu verfassen, weil die sozialen Medien zu viel Raum eingenommen haben. Doch die Kommunikation im Netz hat auch schon lange nichts mehr Prickelndes, sondern belastet zumeist nur noch, wenn man länger dabei ist. Nicht zuletzt, weil diese Form der Kommunikation ein öffentliches Zur- Schau- Stellen ist  und oft einfach nur noch zäh und streiten oder gar verletzen wollend daher kommt... 

Die Geschichte, die Daniel Glattauer erzählt, spielt primär in Wien und in der Toskana. Die weltoffenen, arrivierten Protagonisten, ein  Ehepaar mit Tochter und deren befreundetes Ehepaar haben sich entschieden ein somalisches Flüchtlingskind, auf Betreiben der Tochter Sophie Luise, die mit Aayana, dem Flüchtlingskind befreundet ist, mit in den Urlaub in die Toskana zu nehmen, damit sie im Swimming Pool der Villa, die sie dort bewohnen, schwimmen lernen kann.

Dass das Mädchen dort ertrinkt, hat viele Ursachen, nicht zuletzt ist eine Ursache im Trauma begründet, dass Aayany durch die Ereignisse ihrer Flucht übers Mittelmeer mit sich seither herumschleppt. Davon wissen die etablierten Ehepaare zunächst aber nichts. Die grüne Politikerin Elisa Strobl-Marinek, Mutter von Sophie Luise, ist in erster Linie an ihrer Karriere interessiert und ihrer Darstellung nach außen. Sie sonnt sich, wie nicht wenige aus ihren Kreisen, in ihrem Gutmenschentum, das sie keineswegs zu einem tatsächlich guten Menschen macht, der sich für das Schicksal seiner Mitmenschen wirklich interessiert. Elisas Gedanken kreisen um ihre Befindlichkeiten.

Nach dem Badeunfall sind die beiden Frauen und die Tochter verschreckt. Es geht in erster Linie allen darum, möglichst die Angelegenheit zu verdrängen und Elisa darum, sich von möglicher Schuld zu distanzieren. Sie kann sich keinen Skandal erlauben, denn das würde das Ende ihrer Karriere bedeuten. Dieser ordnet sie alles unter. So erwartet sie von ihrer Tochter, dass sie funktioniert, führt eine lieblose Ehe und entfernt sich emotional immer mehr von ihrer Freundin, die mit ihrem Mann, dem Erben einer Weinbauern-Dynastie, die Ferien mit den Marineks in Italien verbracht hat. 

Als es wider Erwarten in Wien zu zivilrechtlichen Problemen wegen des Unfalls kommt,-  die Marineks werden von einem befreundeten Staranwalt vertreten -, erfährt man mehr über das Schicksal der Flüchtlingsfamilie, die in Österreich  Asyl bekommen hatte. Ihr Schicksal steht für das Schicksal vieler Flüchtlinge, die jährlich die Gefahren einer Fahrt über das Mittelmeers in Kauf nehmen, um ihr Leben zu retten und eine bessere Zukunft  in Europa erhoffen.

Dass der traumatisierte Sohn der Familie mit Sophie Luise, der Tochter der Marineks im Internet Kontakt aufnimmt, ohne sich erkennen zu geben und mit ihr schließlich in die Welt der Drogen eintaucht, zeigt nochmals deutlich den Narzissmus der Karrieremutter, die noch nicht einmal bemerkt, in welchen Zustand die Tochter durch den Tod ihrer Freundin geraten ist. 

Unerträglich das Gezeter und die Besserwisserei im Netz, die mit den Prozessberichten einhergehen...

Deutlich gemacht wird durch den Roman, dass Integration vor allem auch bedeutet, sich mit den Lebensgeschichten der Geflüchteten wirklich auseinanderzusetzen, sehr achtsam  und behutsam zu sein, was deren Würde anbelangt, sie mit der Zuschaustellung des eigenen Wohlstands nicht zu brüskieren, sie nicht als Menschen zweiter Klasse zu sehen, denen man selbstherrlich Almosen zukommen lässt, um sich als guter Mensch auf die Schulter klopfen oder gar sein "Gutmenschentum" politisch vermarkten zu können. 

Nächstenliebe bedeutet, Verständnis zu haben für den anderen und ihn fürsorglich an die Hand zu nehmen, ihn zu beschützen und nicht absaufen zu lassen, auch nicht im hauseigenen Swimmingpool.

Ein packender Roman mit tausend Facetten, die man leider in einer zeilenbegrenzten Rezension nicht alle anführen kann. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: In einer dunkelblauen Stunde- Peter Stamm- S. Fischer


Der Autor des vorliegenden Romans mit dem Titel "In einer dunkelblauen Stunde" ist der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm. 

Es handelt sich bei diesem Buch um die Geschichte einer beruflich gescheiterten Regisseurin, aber es ist auch die Geschichte einer am Glauben gescheiterten evangelischen Pfarrerin und schließlich die Geschichte eines erfolgreichen, jedoch am Leben gescheiterten Schweizer Autors. 

Die Ich-Erzählerin, die Regisseurin Andrea, eine Frau mit abgebrochenem Studium, möchte mit ihrem Team einen Film über den Schweizer Autor Richard Wechsler drehen, doch dieser entzieht sich recht bald den Aufnahmen, die in Paris, wo er zumeist lebt, realisiert werden sollen. 

Da Wechsler, -ein Eigenbrötler-, wenig von sich preisgibt, wird es immer schwieriger das Filmvorhaben zu realisieren. Hinzu kommt, dass die Liebesbeziehung zu Tom, die Andrea zu diesem Zeitpunkt gerade hat, sich im Auflösungsprozess befindet. Alles nicht so prickelnd für Andrea, die gottlob über genügend Leichtigkeit verfügt, um sich - pragmatisch-  auf weniger berauschend Neues einzulassen, sowohl beruflich als auch privat, nachdem das, was sie gerade erlebt, sich als zukunftslos erweist. 

Bleiben ihr doch noch immer ihre Traumwelten, wo alles möglich ist. In diese Welten lässt uns Peter Stamm eintauchen. 

Um mehr über Wechsler zu erfahren, liest Andrea dessen Bücher und entdeckt Hinweise auf eine Jugendliebe, die in seinen Büchern offenbar verschlüsselt stets auf Neue vorkommt. Andrea findet diese Frau, sie heißt Judith, eine evangelische Pfarrerin, verheiratet mit einem Lehrer, mit dem sie zwei Töchter hat und erfährt im Laufe des Handlungsgeschehens mehr über sie und deren Beziehung zu Wechsler, die bis zu dessen Ableben angedauert hat… 

Der Schriftsteller hat Judith in Paris schwarze Dessous geschenkt, liest man und denkt sich amüsiert, ein nettes Präsent für eine evangelische Pfarrerin aus der Schweiz… Wie tief die Liebesbeziehung war, hat Wechsler offenbar seinen Büchern anvertraut. 

Andrea und Judith verbindet recht bald eine Freundschaft, in der Wechsler immer mehr in den Hintergrund tritt. Er ist tot, war es vermutlich schon in der Endzeit seiner Schreibkarriere. 

Immer wieder stolpert man im Laufe eines eher ruhigen Handlungsgeschehens, in dem kaum etwas Nennenswertes geschieht, über kluge und zugleich melancholische Sätze, wie etwa "Die fiktive Welt hat etwas Verführerisches, sie erfüllt einem alle Wünsche. Man kann nicht sterben in ihr, aber man kann auch nicht leben." 

Andreas Welt ist ein Wechselbad zwischen einer realen Welt unerfüllter Wünsche und einer fiktiven, in der vieles für sie möglich ist. Doch sie geht anders damit um als Richard Wechsler. Vielleicht weil sie letztlich überbordende Lebensfreude besitzt und er wohl eher Vergänglichkeitsangst, die sich im Schreiben immer neuer Bücher äußert.

Andrea führt Selbstgespräche oder Gespräche mit Dritten über Dokumentarfilme, Wechsler philosophiert über die Welt der Bücher, Judith über den Glauben, alles recht beiläufig.  Denn worum es geht eigentlich? 

Um die Alltäglichkeiten, die das Leben ausmachen, um das  angebrochene Glas Sambal Olek im Kühlschrank. Vielleicht auch darum, aufzuzeigen, dass die Traumzeiten das Wesentlichste in einem Künstlerleben sind, wenn er produktiv bleiben möchte und auch darum, dass ein Schriftsteller, der sich selbst nicht so wichtig nimmt, hinter seinem Werk zurücktritt, als Person nicht gesehen werden möchte, in die Großstadt ein- und im Grunde untertaucht, um zu schreiben und ungestört seinem Alltag nachzugehen. 

Die Gegenwelt ist das Dorf, wo jeder jeden kennt und wo Wechsler bestattet wird, fernab der Großstadt- Anonymität. Dort, wo seine Stimme nicht verstummt, auch wenn er schon lange tot ist und seine Bücher den Weg alles Irdischen gegangen sind, dort wo er keine verlassenen Spielplätze gibt, aber das vorbehaltlose Ja zur Erinnerung an das, was den Menschen eigentlich ausmacht.

Empfehlenswert

Helga König

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Rezension: Spitzweg- Eckhart Nickel- Piper



Eckhart Nickel, der Autor dieses Romans, studierte Kunstgeschichte und Literatur in Heidelberg und New York. 2019 hat er für seinen "Roman Hysteria" den Friedrich- Hölderlin-Förderpreis der Stadt Homburg erhalten. Derzeit schreibt er primär Reisereportagen für die FAS. 

Die Handlung und der Handlungsverlauf des Romans "Spitzweg" fand ich geradezu als nebensächlich, wenngleich ich das Werk als außerordentlich gelungen einstufe und Zeile für Zeile genossen habe.

Warum? 

Es ist die betörende Sprache, die Charakterisierung der Personen und die spielerisch vermittelte Bildung aber auch die Nachdenklichkeit des Autors, die es schaffen, auf vielfältige Weise das Interesse für das Geschriebene zu wecken. Hier wird geistvoll geplaudert, ohne ins Schwätzen zu verfallen. Die Sprache, bemerkenswert elaboriert, doch der Vortragende niemals hochnäsig, sondern erfreulich lässig, outet den Erzähler als brillanten Kopf, der seinem Protagonisten Carl seine Gedanken über Kunst und Kultur in den Mund gelegt hat. 

Der Ich-Erzähler, sein Freund Carl und die Klassenkameradin Kirsten nehmen im Handlungsverlauf nicht unwesentliche Rollen ein, doch die Hauptrolle spielt die Kunst und das, obschon der erste Satz im Buch heißt: "Ich habe mir nie viel aus Kunst gemacht." 

Den Roman selbst begreife ich dennoch weniger als Ode auf die Kunst, sondern mehr als Kritik an der Sprach- und Bildungsverkommenheit, die jungen Menschen, die heute kurz vor dem Abitur stehen, die Möglichkeit rauben, intellektuelle Themen in der Tiefe zu durchforsten.

Die Hauptfiguren des Romans - insbesondere Carl- scheinen aus der Zeit gefallen, sind so gebildet, wie manche Eltern sich Schüler an Gymnasien in der Oberstufe möglicherweise wünschen, aber seit der Digitalisierung, dem dort eingeübten "Kurzsprech" und dem pausenlosen Befassen mit Oberflächlichkeit in der Freizeit nicht mehr bekommen werden. 

Vielleicht sind die Pädagogen über diese Tatsache eher froh, als dass sie dies ernsthaft betrauern, denn die Lehrer im Roman sind mit den hochbegabten und irgendwie letztlich idealisierten Schülern wie Carl und Kirsten offenbar überfordert. 

Was hier zelebriert wird, ist etwas anderes als Sehnsucht nach dem untergegangen Bildungsbürgertum, denn es verfügt über ungezählte kritische Facetten, die Bildungsbürgerliche vermutlich erschrecken würden. Viel zu intelligent!

Eckhart Nickel baut Sätze, die die Leser zwingen, konzentriert zu lesen und den Ich-Erzähler aufhorchen lassen. Gedanken zur Malerei, Musik oder die Hymne auf den Tee begeistern, auch das beiläufige Erwähnen von Literatur, das sofort erkennen lässt, der Verfasser des Romans hat gelesen, wovon er schreibt. Dennoch ist das Werk keine narzisstische Nabelschau. 

Dann das Referat Carls im Kunstunterricht… Meisterlich! So könnten Schüler ausgebildet sein, wenn der Anspruch nicht darauf ausgerichtet wäre, das Niveau zu senken.

Subtil gewählt ist der Maler Carl Spitzweg im Hinblick auf Bildbeschreibungen, der für seine ironischen Bilder bekannt ist. Auch die Figur Carls im Roman könnte eine Figur Spitzwegs sein, weniger ein "Hagestolz" als ein "Kakteenfreund", der mit den zur Sprache gewordenen Stacheln seiner geliebten Kakteen die Hirntätigkeit seiner Lesern aktivieren möchte.  Ob es ihm gelingt?

Maximal empfehlenswert. 

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Rezension: Simonettas Schatten-Eine Erzählung über die Unbelehrbarkeit des Schönen-Ludwig Drahosch- Verlag Margarete Tischler



Blickt man auf den Buchdeckel dieser Erzählung, so fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt. Das edle Design, das das Portrait in der Mitte umgibt, erinnert an ein Stoffmuster aus der Renaissance. Neugierig fragt man sich deshalb, ob die abgebildete junge Frau Simonetta Vespucci sein soll, die als die schönste Frau ihrer Zeit gegolten hat. Was hat die Erzählung des Künstlers Ludwig Drahosch mit deren Schatten zu tun? Und worin besteht dieser Schatten überhaupt? 

Die einzelnen Kapitel der Erzählung beginnen jeweils mit einem Zitat eines Kunst-Schaffenden aus der Renaissance. In all diese gut gewählten Sentenzen sollte man sich zunächst stets vertiefen, denn sie dienen dem Textverständnis. 

Ort der Handlung ist Florenz. Die Protagonisten sind der betagte Maler und Kunstkenner Giorgio und die junge, bildschöne Schauspielerin Genoveva. Giorgio malt schon seit Langem keine Bilder mehr, denn sein Stil ist nicht mehr gefragt. Er ist der Renaissance verhaftet, versteht wie kein zweiter deren Bekenntnis zum Schönen, für das die Stadt Florenz der überwältigende, sichtbare Ausdruck ist. Er kennt diese Stadt, ihre Architektur und ihre Maler, liebt ihre Gassen und schätzt die versteckte Cafeteria, in der er allabendlich seinen Portwein genießt und kunstsinnigen Gedanken nachgeht, an denen die Leser teilhaben dürfen. 

Giorgio liebt die Schattenspiele an der Wand der Kirche, die er vom Fenster der Cafeteria aus bestaunen kann. Mit diesen Bilderwelten kommuniziert er. Er scheint auf geheimnisvolle Weise aus der Zeit gefallen, in gewisser Weise Teil der Kunstgeschichte zu sein, er, der am Leben im Hier und Jetzt nicht mehr glaubhaft teilnehmen möchte, weil es ohne Poesie und Sinn für das Schöne ist. Wann und wieso haben die Menschen sich dieser wertvollen Schätze entledigt und vor allem weshalb? 

Im Dämmerzustand der Zeitlosigkeit lernt er seine neue Nachbarin Genoveva kennen, deren Schönheit ihn überwältigt. Er beobachtet sie von seinem Zimmer aus, bewundert sie auf ihrem Balkon und überredet sie, diesen umzugestalten, um ihn als Bühnenbild der Renaissance szenisch aufleben zu lassen. Die Architektur des Hauses soll mit den Stoffen und der Dekoration des Jetzt eine Einheit bilden. Nichts soll die Authentizität  der Renaissance stören. Die schöne Genoveva wird Teil dieses Bühnenbildes und auf diese Weise die Muse von Giorgio so wie einst Simonetta Vespucci die Muse von Sandro Botticelli war. 

"Musen sterben nie, Giorgio" liest man auf Seite 89 der Erzählung, in der die Zeiten verschwimmen und der Tod überwunden scheint, sobald man sich dem Geheimnis des Schönen öffnet, es bejaht, ohne es verstehen zu wollen, weil es intellektuell nicht wirklich zu entschlüsseln ist, da es jenseits des Goldenen Schnitts oder der Sphärenmusik immer noch vorhanden zu sein scheint. Das Schöne war Giorgios letztes Rätsel, für das es Wert war zu sterben. 

Der alte Mann beginnt wieder zu zeichnen und zwar mit Kohlestückchen, die alle Kostbarkeiten  darstellen, weil sie in Bezug zu Personen stehen, die ihn beeindruckt haben. Darunter auch ein Kohlstückchen, das er aus einem winzigen Holzstück, welches er in einer Ritze der Grabstelle von Simonetta Vespucci fand, gebrannt hat und ein weiteres, welches er aus einem Buchsbaumzweig des Grabmals des Dichters Petrarca anfertigte. 

Die Linien, die er mit der Kohle zeichnete, waren Oden an reale Schönheit, die sich in Gemälden letztlich als bloße Schatten dessen erwiesen, was die Schöpfung hervorgebracht hat und von Künstlern wie Botticelli auf geniale Weise idealisiert wurden. 

In der vorliegenden Erzählung wird an wunderbare Kunstschätze erinnert und an die Künstler, die diese schufen. Nach Giorgios Lehre habe der Mensch zwar Zugang zum Akt des Schöpfens des jeweiligen Künstlers, doch keinen zur Erkenntnis über den Schöpfer selbst. Das Innere gehörte ihm allein, doch alles, was er daraus schöpfte, gehörte allen. 

Die schöne Genoveva lässt Giorgios malerische Leidenschaft erneut aufleben und erkennen, dass die wahre Malerei jene ist, welche ein Staunen in die Gesichter der Menschen zaubert. 

Doch ich möchte nicht zu von der Handlung dieser Erzählung preisgeben... 

Merken  sollte man sich: Den Schatten des Schönen festzuhalten, bedeutet, etwas zu bewahren, was der Welt ansonsten abhandenkommt. "So sammelt die Malerei ihre Eindrücke, vergeistigt sinnliche Momente und lässt daraus etwas, was im Gegensatz zur Wissenschaft nicht greif- und messbarbar ist, wachsen. Es ist eine Assoziationspalette, die von der Malerei geschaffen wird. Eine Weisheit des Blicks, die uns zeigt, wie schön und wertvoll alles ist, was uns diese Welt vorstellt…"(Ludwig Drahosch, S. 86)

Vielleicht noch das... Giorgio lebt so sehr in der Welt der Renaissance, dass er gewissermaßen zum Wiedergänger des Renaissancekünstlers Giorgio Vasaris wird… 

Fazit: Dies ist eine der besten Erzählungen, die ich jemals gelesen habe, eine Ode an die Kunst und die Schönheit, die zum Träumen aber auch zum Nachdenken anregt. 

PS: Wunderschön auch sind die Illustrationen von Mag. Ludwig Drahosch in diesem Buch, die die Texte atmosphärisch bereichern.

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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