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Rezension: Täuschend echt- Charles Lewinsky- Roman Diogenes



Der Autor dieses Romans, Charles Lewinsky, hat aufgrund vorangegangener Publikationen bereits zahlreiche Preise gewonnen, nicht zuletzt den "Prix du meilleur livre étranger". Sein Werk erscheint in 16 Sprachen.

Den vorliegenden Roman habe ich mit großer Neugierde gelesen. Der Grund? Das Thema kreist um künstliche Intelligenz und wie diese im Schreiben einer Geschichte genutzt werden kann. 

Der Protagonist von "Täuschend echt" ist ein arbeitslos gewordener Werbetexter, den darüber hinaus seine Freundin verlassen und um seine Habe geprellt hat, indem sie sich seine Scheckkarte, bevor sie verschwand, unter den Nagel riss. So in der Klemme steckend, erhält der Gepeinigte durch Zufall Hilfe. Eine Nachbarin stellt eine Verbindung zu einem idealistischen Geldgeber her, der in ein umweltorientiertes Text-Projekt investieren möchte. 

Das Problem: diejenige, die erzählen soll, kann sich nicht gut artikulieren. Dies soll nun der Werbetexter statt ihrer tun. Da er kaum Informationen über den Sachverhalt besitzt, entscheidet er sich heimlich die künstliche Intelligenz zu nutzen, die immer wieder - geradezu fantasievoll-  neue Optionen liefert und Texte sehr gut ausformuliert. 

Seine Gemeinschaftsarbeit mit KI, von der zunächst keiner weiß, wird mit Erfolg gekrönt, doch dann entwickelt sich alles anders als vorhergesehen… 

Was während des Lesens verblüfft, ist die Süffigkeit der Texte, die mittels künstlicher Intelligenz entstanden sind. Es ist mehr als bloß die Aneinanderreihung von Textbausteinen. Was man liest, ist tatsächlich "täuschend echt".

Wozu noch Autoren, wird sich die ein oder der andere fragen? Die Antwort: Der Poesie wegen! Sie scheint das Merkmal zu sein, das auf künstlichem Wege nach wie vor noch nicht produziert werden kann. Ob es so bleiben wird? 

Toller Roman. Sehr amüsant  und hintergründig.

Maximal empfehlenswert. 

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Rezension: Aua!- Die Geschichte meines Körpers-Axel Hacke-Dumont



Axel Hacke, der Autor dieses Buches, ist Schriftsteller und Kolumnist des Süddeutschen Zeitungsmagazins. Für seine Arbeiten wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 

Im vorliegenden Werk befasst er sich mit seinem Körper und zwar, weil er der uralten philosophischen Frage nachgeht, ob wir einen Körper haben oder ob wir ein Körper sind. 

Im Rahmen von 14 Kapiteln reflektiert er: Haut, Gedächtnis, Knochen, Ohr, Zeigefinger, Zähne, Bauch, Darm, Lunge, Knie, Nase, Penis, Fuß, Gehirn sowie Herz und hier auch seine jeweiligen persönlichen Gebrechen. 

Axel Hacke hat sich viel medizinisches Wissen angeeignet, schreibt über all seine Arztbesuche und erinnert bei allem an einen ziemlich ausgeprägten Hypochonder, wirkt wie ein Mann, der in die Jahre gekommen, sich so verhält, wie man dies eher ihm altersgleichen Frauen nachsagt, die egal, wo sie stehen und gehen, ununterbrochen, über ihre vielen Wehwehchen und Arztbesuche schwadronieren und sich mit viel Fleiß im Internet zu Spezialisten in Sachen "Aua" ausbilden, hier einfach alles zu wissen scheinen. 

Allerdings macht der Autor das mit einem nötigen Abstand zu sich selbst, nicht jammernd, sondern sich letztlich auf die Schippe nehmend, ob nun gewollt oder auch nicht.

Für viele Menschen ab einem bestimmten Alter gibt es offensichtlich nichts spannenderes als pausenlos über ihre Befindlichkeiten zu reden und genau dieses Verhalten bildet Hacke  mit dem nötigen Humor in seinen vorliegenden Texten ab. 

Hilfreich ist übrigens die Info auf Seite 123 für all jene mit Panikattacken:"Im Internet herumstromernd, las ich einen Satz von David Spiegel, Direktor des Zentrums für Stress und Gesundheit an der Standford University: "Regelmäßiges Seufzen hilft schnell sich selbst zu beruhigen. Viele Leute fühlen sich, wenn sie es dreimal hintereinander tun, sofort erlöst von Angstgefühlen und Stress."

Bei all den aufgelisteten Auas gibt es viel zu seufzen und so bleibt nur das Einatmen durch die Nase und Ausatmen durch den Mund im stoischen Rhythmus. Das hilft auch, wenn man täglich die Nachrichten verfolgt, so meine Erfahrung. 

Maximal empfehlenswert, weil auf subtile Art erheiternd. 

Helga König

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Rezension: Im Gespräch- Wie wir einander begegnen-Kersten Knipp. Klampen Essay


Kersten Knipp, der Autor dieses Werkes, arbeitet für die Deutsche Welle, den WDR und andere Sender der ARD. Darüber hinaus schreibt er für verschiedene Printmedien. Schwerpunkt seines Tuns ist einerseits die Kulturgeschichte der romanischen Welt, andererseits die politische Zeitgeschichte des Nahen Ostens. Zu diesen beiden Themen verfasste er bereits  mehrere Bücher. 

Auf "Buch, Kultur und Lifestyle" hat Kersten Knipp  vor einiger Zeit ein Interview gegeben zu seinem von mir rezensierten Buch "Die Erfindung der Eleganz:"

Seine neue Publikation - "Im Gespräch“-  enthält neben der Einleitung acht Essays, die sich mit besagter kultureller Technik befassen, die uns, wie der Autor bekundet, "im besten Fall bis in den Himmel hebt.“ 

Im Gespräch gehe es ganz wesentlich auch darum: "neue Ideen zu entwickeln, Ungesagtes zu sagen, Übersehenes sichtbar zu machen, neue Perspektiven aufzuzeigen,(...) ihre Plausibilität offenzulegen, den Gedanken, ja sogar die Überzeugung zu wecken, das Gesagte finde tatsächlich seinen Weg in die Welt und könne sie verändern.“ 

Das Gespräch stehe am Anfang aller Wandlung. Vermutlich sei es sogar der Grund aller Veränderung. In unserer von Krisen und Kriegen geplagten Zeit ist das Gespräch wichtiger denn je, denn es ist die Chance zur Veränderung, wie Kersten Knipp, gewiss nicht grundlos, hervorhebt. 

Wie er sagt, sprechen wir nicht um der Dinge wegen, sondern nicht selten, um den Austausch mit anderen zu pflegen. Das ernsthafte Gespräch sei indessen eine Gnade. Das sehe ich auch so und meine, man sollte sich dieser Gnade auch bewusst werden. Die Essays helfen dabei. 

Das Gespräch schenke uns Freiheiten. Sprache befreie und Schweigen-Müssen sei eines der großen Unglücke, denen sich ein Mensch gegenübersehen kann. (Man fragt sich, weshalb dies nicht allen Menschen bewusst ist, dass man durch ernsthafte Gespräche Licht ins Dunkel bringt und Platz für Hoffnung geschaffen wird, ohne die Veränderung nicht möglich ist.) 

Kersten Knipp thematisiert in diesem Buch auch die "dröhnende Stille" in den sozialen Netzwerken, deren Ziel es ist, der Einsamkeit zu entfliehen, deren Sehnsucht das Gespräch zu sein scheint, das auf diese Weise nicht entstehen kann. 

Der Autor erwähnt Denis Diderot, für den klar war, dass der Mensch in der Einsamkeit untergeht.Weshalb werden solch kluge Erkenntnisse über die Zeiten hinweg wieder vergessen?

Allerdings gäbe es auch eine Sprache der absoluten Verachtung. Sie schaffe eine eigene Realität. Kein Töten, dem nicht Verachtung vorausginge. Auch darüber schreibt Knipp Wissenswertes, indem er historische Beispiele heranzieht. Doch auch von Fällen liest man, wo der totalitären Sprache ihr Gegenteil entgegengebracht wurde, liest von den Rissen, die genutzt wurden, um Hoffnung ins Dunkel zu bringen, liest von dem Neurologen Victor E. Frankl, der im KZ Auschwitz durch die Kraft der Worte, den Insassen zum Durchhalten verhalf, bis sie seitens der Alliierten gerettet werden konnten. 

Ein Essay ist dem Gespräch der Verliebten gewidmet, wobei die Sprache der Liebe nicht ausschließlich, so doch zu großen Teilen eine körperliche sei. Verlaufe sie über Worte, transportiere sie allerdings primär Affekte. 

Die unvergesslichen Gespräche, seien jene, in denen wir uns aufgehoben, ermutigt ja sogar gerettet fühlten. In diesem Zusammenhang erwähnt der Autor Martin Buber und seinen Essay "Ich und Du". Es geht im Gespräch um wirkliche Begegnung, darum sich auf den anderen einzulassen. Auf diese Weise entfalte ein Gespräch "eine essentielle Kraft, ein gegenseitiges Verständnis, eine Hilfsbereitschaft, die weitreichende Folgen haben kann, nicht zuletzt, dass ich mich einem anderen Menschen sehr nahe fühle." Buber resümiert, dass der Mensch am Du zum Ich werde und Kersten Knipp folgert, dass dies die tiefere, vielleicht eigentliche Bedeutung eines jeden Gesprächs sei. Das sehe auch ich so. 

Dies und vieles mehr eröffnet dem Leser den Horizont für sinnvolle Gespräche. Dabei wird der Schrecken der Phrase nicht vergessen, die es zu meiden gilt. 

Wie es sich mit Small-Talk verhält, erfährt man  übrigens im letzten Essay. 

Ein wirklich gelungenes Werk, das über den Sinn eines guten Gesprächs aufklärt und für dessen Leichtigkeit sensibilisiert. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Maktub –Paulo Coelho –Diogenes

Paulo Coelho, der Autor dieses Buches ist in Brasilien geboren und lebt derzeit in Genf. Seine Weltbestseller hat er über 320 Millionen Mal verkauft. Übersetzt wurden sie in 88 Sprachen. 

Das vorliegende Buch enthält Kolumnen, die Paulo Coelho zwischen dem 10. Juni 1993 und dem 11.Juni 1994 geschrieben hat. Diese Kolumnen sind zumeist nicht länger als eine Seite und befassen sich inhaltlich mit Gedanken über die kleinen Wunder des Alltags, über die Liebe, über Angst aber auch über Mut. 

Die Kopfzeile der jeweiligen Kolumne deutet stets an, worum es inhaltlich geht. So liest man zu Beginn der Kolumne auf Seite 55 in der Kopfzeile die Frage "Macht Glück Angst?" und wird neugierig auf den dann folgenden kleinen Text. 

Coelho entlarvt mit den Worten "Aus Angst, an Größe zu verlieren, wachsen wir nicht. Aus Angst davor, zu weinen, hören wir auf zu lachen" das vielleicht wahre Motiv jener, die sich dem stoischen Denken verschrieben haben: die Angst. 

Vergebung ist für den Autor ein wichtiges Thema aber auch die Großzügigkeit mit sich selbst. Kritik nimmt er an der obsessiven Sinnsuche, die daran hindere zu handeln und er schreibt auch Kluges über Vorahnungen und über Disziplin. Hier bringt er es auf den Punkt, wenn er formuliert: "Bestimmte Dinge müssen im richtigen Maß und im richtigen Rhythmus geschehen." Das wird in heutiger Zeit leider oft vergessen. 

Auf Seite 110 liest man am Ende einer Kolumne den Satz "Der ist ein weiser Mann, der eine Haltung aufgeben kann, wenn die Umstände ihn dazu zwingen." Dieser Gedanke hat mir ebenso gefallen wie jener auf Seite 111 "Man muss darauf achten, die Energie frei fließen zu lassen. Behältst du das Alte, hat das neue keinen Platz sich zu manifestieren." Feng Shui lässt grüßen.

Coelhos kurze Geschichten und daraus resultierende Merksätze zeugen von einer vortrefflichen Beobachtungsgabe und von viel Lebenserfahrung. Dass er ein Meister der Spiritualität ist, steht außer Frage. 

Vielleicht noch folgenden Gedanken Coelhos, um neugierig auf das Buch zu machen: "Sie erlauben sich häufig nicht, Fehler zu machen. Dahinter steht aber die Angst voranzuschreiten. Die Angst davor, Fehler zu machen, ist die Tür, die uns den Weg aus der Burg der Mittelmäßigkeit versperrt. Gelingt es uns die Angst zu überwinden, tun wir damit einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Freiheit."

Maximal empfehlenswert. 
Helga König 

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Rezension: Die Suche nach der Gegenwart- Stefan Hertmans-Diogenes Tapir S

Stefan Hertmans ist Belgier und gilt als einer der wichtigsten niederländisch-sprachigen Autoren der Gegenwart. Seine hier vorliegenden 19 Essays wurden von Ira Wilhelm aus dem Niederländischen übersetzt und beginnen mit einem Vorwort Hertmans, in dem er bekundet, dass wir in einer Zeit des Übergangs lebten und auf etwas zusteuerten, was wir erst in Ansätzen begreifen würden. Weil manches verschwände und anderes entstehe, sei es sinnvoll, Gedanken und Perspektiven gegeneinander abzuwägen. 

Genau das geschieht in den 19 spannend zu lesenden Essays. Sie beginnen mit dem Satz:"Unsere Zeit wird von drei großen Themen bestimmt: vom Klimawandel, von der Krise der neoliberalen Weltordnung und von der Migration."

Alsdann geht der Autor auf diese Themen näher ein. Im Grunde sähe alles geradezu bedrohlich aus. So fänden sich in den Gewässern selbst an den Enden der Welt Spuren von Medikamenten, deren Auswirkungen auf die DNA vieler Tierarten noch nicht abzusehen seien. Dies könne sich auf die ärmere Bevölkerung des globalen Südens verheerend auswirken, weil sich durch das Massenaussterben von Tieren eine Katastrophe für die Nahrungskette anbahne. Erkannt werden müsse, dass das Ausbeutungsmodell- der Verbrauch sämtlicher Ressourcen seitens der Industrieländer- nicht mehr funktioniere und der Mensch begreifen müsse, dass es keinen Planeten B für ihn gibt. Wie recht er doch hat!

Sehr lesenswert auch ist der 2. Essay mit dem Titel "Intimität und Ausgeliefertsein". Hier zeigt der Autor auf, welche Folgen die totale Öffentlichkeit habe, in der dem kontrollierenden Blick nichts mehr entgehe. Die Intoleranz gegenüber der Andersartigkeit der anderen wachse auch deshalb zusehends. Der soziale Raum verkomme zu einer"Arena für das Ego", das sich weigere den Unterschied zwischen dem Eigenen und Anderen zu erkennen. Dahinter stehe das Versprechen des Neoliberalismus, wonach nur noch die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zählten. Wenn die eigene Wohnung überhaupt nicht mehr verlassen werden müsse, man nur noch online shoppe, weil man die Existenz des anderen nicht mehr ertragen könne, sei das Ziel erreicht: der Mensch sei dort, wo er sein soll, in einer Welt ohne die anderen, in einer Welt in der man alles kaufen könne außer dem Menschsein.“ 

Unmöglich, im Rahmen der Rezension nun alle 19 Essays zu streifen! So erfährt man im Essay "Himmelshaken und irdische Kräne" u.a., dass Wissen dem Vermögen, Wissen zu ordnen entspränge und der Kunst, das Denken nicht losgelöst von der Erfahrung zu betrachten. Wissen sei nicht, was man wisse, sondern wie man wisse. Wissen entstehe mithin durch Erkenntnis. Das sehe ich auch so. 

Auch stimme ich Hertmans Gedanken zu, dass der Zugang zur Kultur durch die Fähigkeit bestimmt werde, lesen und schreiben, allerdings auch kritisch lesen zu können. 

Wichtig: Komplexe soziologische Verschiebungen fänden derzeit statt, erfährt man in einem weiteren Essay. Von Blasen ist die Rede, in der man geformt und beeinflusst werde und es sei ausgerechnet diese scheinbare Zusammengehörigkeit, die unsere große Einsamkeit verursache. Wie fühlt man diese? Macht sie depressiv?

Analysiert wird in einem der folgenden Essays die sogenannte "Klick-Politik" und hier liest man den spannenden Satz: "Der Tanz der Algorithmen ist auch dafür verantwortlich, dass sich orientierungslose Menschen, die ziellos im Netz surfen, radikalisieren". Beobachtungen dieser Art habe ich im Laufe der Jahre auch immer wieder gemacht und mich nur noch gewundert über die Wandlung vermeintlicher Gesinnung..

Ach ja, ... und man liest weiter, dass Freiheit neuerdings nicht nur die gleiche Freiheit für alle, sondern zudem auch einen Kampf um kulturelle Souveränität bedeute und dies nicht geringe Probleme mit sich brächte. Wo endet die Freiheit in einer gut funktionierenden Demokratie?

Es führt zu weit auf all die komplexen Themen des Buches an dieser Stelle einzugehen. Folgte ich meinen vielen Notizen dazu, wäre die Rezension mehr als nur zu umfangreich. 

Soviel nur: Das Werk ist ein Leckerbissen für Intellektuelle. 

Fast am Ende liest man von der "Heilstätte der Seele", deren dort angesammeltes Wissen für unsere Weltkultur einst verloren ging, weil sie Vandalen zum Opfer fiel, die kaum oder gar nicht lesen konnten. Verursacht wurde dieser Verlust wie man liest durch die Gleichgültigkeit und mangelndes Geschichtsbewusstsein. Das sollte zu denken geben.

Helga König

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Rezension: BLEIB-Adeline Dieudonné-dtv


Adeline Dieudonné, Autorin des vorliegenden Romans, wurde für vorangegangene Werke mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Ihre Bücher wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt. Diese Tatsache allein macht neugierig auf ihre jüngste Publikation. 

Dabei handelt es sich um einen reichlich skurrilen Liebesroman, dessen Protagonistin mich immer wieder an "Johanna die Wahnsinnige" erinnerte, die vor vielen Jahrhunderten, nach dem Tod ihres von ihr abgöttisch geliebten Ehemannes überzogene Trauer zeigte und monatelang mit dem Sarg durch Kastilien zog. 

Die Protagonistin von "Bleib" ist nicht mit "M." verheiratet. Sie ist seine außereheliche Beziehung. In ihren Augen ist das allerdings gut so, denn sie möchte sich nach einer gescheiterten Ehe und wenig erfreulichen Affären keineswegs mehr an einen Mann durch Vertrag binden. "M" ist ihre große Liebe und ihr Freund. Das genügt ihr.

Die Protagonistin- sie ist die Ich-Erzählerin des Romans – lässt die Leser im Rahmen von Briefen, die sie unmittelbar nach "M´s" Ableben an dessen Frau schreibt, mehr von der Beziehung zu "M", auch von seinem unerwarteten Tod wissen, zudem vermittelt sie in besagten Briefen auch den Respekt, den sie der Ehefrau gegenüber hat. Sie sieht in "M´s" Frau keine Rivalin, wollte ihr den Ehemann nie nehmen. Stattdessen macht sie diese Frau gedanklich zu ihrer Freundin.

Bei allem hat die namenlose Protagonistin große Probleme loszulassen als sie ihren Geliebten ertrunken aus dem See birgt, der sich in der Nähe des Chalets befindet, wo sie das Wochenende mit "M" verbracht hat. Sie meldet den Tod nicht der Polizei, sondern lebt mit der Leiche noch tagelang, selbst als die Verwesung fortgeschritten ist…fährt mit ihm durch die Berge, nimmt Abschied.  

Was alsdann geschieht, möchte ich nicht verraten, um die Spannung nicht zu mindern. 

Dass sie schließlich während ihrer Reise durch die Berge einen Zahn des Geliebten unter ihre Haut operiert bekommt, will ich aber nicht unerwähnt lassen, weil dies mich an eine unvergessene Szene im Film "Havanna" erinnerte. Allerdings ging es dabei um einen Brillanten. 

Wie auch immer, Loslassen ist das Thema. Merke: Nichts bleibt wie es ist.  Zersetzungsprozesse drohen immer.

Ein Zahn unter der Haut als Andenken an einen toten Geliebten mag eine Option sein, die bessere scheint allerdings darin zu bestehen, sich allem zu entziehen, was vergangen und  tot ist.  

Empfehlenswert
Helga König

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Rezension: Elyssa-Königin von Karthago- Irene Vallejo-Diogenes


Die Philologin Irene Vallejo ist als Autorin des Bestsellers "Papyrus" bekannt geworden. In Spanien wurde sie mit diesem Sachbuch mit den wichtigsten Literaturpreisen ausgezeichnet. Das Werk "Papyrus" wurde in 37 Sprachen übersetzt. Jetzt erzählt die Kennerin der Antike in ihrem Roman "Elyssa" die "Aeneis" von Vergil aus weiblicher Sicht. 

Dies  vorab: Vergleiche anzustellen, liegt mir fern, da ich Vergils Publikation in ihrer Gesamtheit nur aus Buchzusammenfassungen kenne. 

Aeneas, der Gründungsvater Roms,  ist der Sohn des trojanischen Königs Anchises und der Göttin Aphrodite. Der mutige trojanische Kämpfer entkommt aus dem brennenden Troja mit seinem kleinen Sohn Iulus und Gefolgsleuten, verliert zu Beginn der Flucht seine Frau Kreusa und leidet an Schuldgefühlen.

Beschützt von den Göttern, muss er sein Schicksal erfüllen. Dieses besteht darin, eine neue Stadt zu errichten, die zur Blüte gelangen soll. Bei dieser Stadt handelt es sich wie schon erwähnt um Rom, was er zu diesem Zeitpunkt nicht weiß. 

Auf seinen Irrfahrten erleidet der Königssohn Schiffbruch vor der neu gegründeten afrikanischen Stadt Karthago und wird von der dortigen Königin Elyssa gerettet, entgegen den Wünschen ihrer argwöhnischen Untertanen, die die Schiffbrüchigen töten wollen, weil sie Feinde in ihnen sehen. Für sie sind Schiffbrüchige nicht sakrosankt.

Elyssa erkennt in Aeneas allerdings einen königlichen Leidensgenossen, weil auch sie einst als Königstochter aus ihrer Heimat fliehen musste und erst in der Folge- in einem Kraftakt- Karthago erbaute. 

Die Karthager sind ein kriegerisches Volk, das wird im Buch sehr gut aufgezeigt. Aeneas hat durch seine schrecklichen Kriegserfahrungen anderes im Sinn als Menschen niederzumetzeln. Er weiß, dass durch Kriege keine blühenden Städte entstehen können. Dazu benötigt man eine friedliche Haltung.

Im Buch kommen abwechselnd Aeneas und seine Sicht der Dinge, Elyssa, ihre Halbschwester Anna, eine Hellsichtige, der Dichter Vergil und der Gott Eros und deren Sichtweise zur Sprache. Dieser Wechsel an Perspektiven finde ich überaus spannend.

Aeneas und Elyssa werden vorübergehend zum Liebespaar, doch das Schicksal befördert durch Neid, Missgunst und Niedertracht seitens von Gefolgsleuten der Königin trennen die beiden Liebenden und führen letztlich zum Selbstmord Elyssas. Auch Aeneas stirbt als Opfer von Schwerter und Zwietracht nachdem er die Ufer des Tiber erreichte, "doch einige Zeit später erblühte nicht weit von dem Grabmal auf den sieben Hügeln von Latinum eine Zivilisation, an die man sich ob der grandiosen Architektur ihrer Gesetze erinnert, eine Zivilisation, die den gesamten Mittelmeerraum unter ihrer Herrschaft vereint und Brücken und Straßen erbaut hat, um die von ihr niedergezwungene Völker zu verbinden." (315) Ihren Bewohner, so liest man zu Ende des Romans,  galt Aeneas als "der Vater von Roms". 

Die sehr dicht geschriebene, beklemmende Geschichte von Liebe und Tod beinhaltet eine Stelle in einem Kapitel, die der Sichtweise von Eros gewidmet ist. Hier liest man: "Die Menschen lieben einander auf unvorhergesehene Weise… Warum führen die Hindernisse dazu, sich auf ein Ziel zu versteifen, während sie andere dazu bringen aufzugeben? Warum entsteht Liebe zwischen zwei Sterblichen nie mit gleicher Intensität? Warum spürt der eine seine tiefe Sehnsucht so klar, während der andere Schwäche zeigt, sein Herz mutlos wird und strauchelt? Merkwürdiges Paradox der Vergänglichen: Liebe ist eine verbreitete Erfahrung, aber nur selten im gleichen Maß, die Waage ruht nie im Gleichgewicht.“ (279) 

Darüber nachzudenken, scheint mir lohnenswert. Verhält es sich stets in dieser Weise wie Eros annimmt? Fast scheint es so, wie viele berühmte, historische Beispiele zeigen.

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Von nahen Dingen und Menschen-Hanns-Josef Ortheil-Dumont


Hanns-Josef Ortheil, der Autor dieses Buches, ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Literarisches Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. 

Sein jüngstes Werk enthält eine Vielzahl kleiner Prosatexte, deren Inhalt das Zeitgeschehen der letzten fünf Jahre berührt. Ein Tagebuch ist es nicht, obschon die Inhalte auch Privates streifen und viel von Ortheils Art und Weise den Alltag zu bewältigen -selbst in Krisenzeiten- offenbaren. 

Man lernt den Autor als Musikkenner und –liebhaber kennen, der diesbezüglich auch ein Buch empfiehlt, gemeint das Nachschlagwerk "Musik" von Roger Willemsen im Rahmen des Textes „Begegnung mit Roger Willemsen". In diesem Text geht Ortheil in seinen Erinnerungen zunächst zurück in das Jahr 1987, wo er Roger Willemsen erstmals begegnete und wandert in wenigen Sätzen hin, zu weiteren zufälligen Begegnungen mit seinem ihm geistig offenbar sehr verwandten Kollegen. Der Text, eine Verbeugung vor dem viel zu früh verstorbenen Intellektuellen, die spürbar von Herzen kommt...

Hanns-Josef Ortheil scheint ein Einzelgänger mit vielen Freunden zu sein. Ist so etwas möglich? Ja!  Und es muss kein Widerspruch sein. Das beweist er in seinen Texten.

Ob seine Liebe für gute Speisen und Getränke ihn zum Waldspaziergänger gemacht haben, kann man nur vermuten. Als Einzelgänger ist er dort "einfach nur unterwegs" und am liebsten wäre er -  wie in den alten stillen Tagen - allein. Das aber kann er in Zeiten der "Waldbadenden" und Jogger vergessen. Doch Ortheils Interessen sind so vielfältig, dass er immer wieder Momente der Selbstversunkenheit erleben kann, eben nicht nur im Wald. 

So liest man irgendwann die Sätze des Pianisten Ortheil wie etwa "Klavierüben ist kein ödes Pflichtprogramm für Menschen, die sich eine fade Disziplinierung antun wollen. Im Gegenteil: Als Übender und Spielender berührt man ein Instrument, und diese Berührung ist ein extrem libidinöser Vorgang. Spielt man mit Freude, ist immer auch Liebe im Spiel. Man spielt mit dem Instrument, man spielt für andere, man spielt mit dem Universum." Soweit Ortheils Anteilnahme an allem in stillen Stunden am Klavier.

Der Autor lebt und erlebt die Coronazeit, die Veränderung seiner Freunde in dieser Zeit und natürlich die Gespräche, die ums Impfen kreisen. Seine Freunde übrigens empfinden das Leben in den Twitter- oder Instagram-Rhythmen der sozialen Medien inzwischen nicht mehr als lebenswert, da Themen und Kommentare für wenige, flüchtige Momente eine Scheinbedeutung erhielten, die sich lautstark darstellen müssten, weil sie am nächsten Tag wieder verpufft seien. Wen wundert es, dass  Hanns-Josef Ortheil sich in diesem Metier nicht erkennbar bewegt? Von Freunden gut beraten...

Und immer wieder ist Köln ein Thema, dann u.a. auch Frankfurt und hier beschenkt er die Leser mit einer Anekdote, in der der Philosoph  Adorno eine Rolle spielt. Adorno, schon lange tot, doch seine Bücher begeistern noch immer, vielleicht heutzutage nicht mehr alle jungen, intellektuell aufgeschlossenen Menschen... Diese aber finden gewiss an der Aneinanderreihung von Emojis Freude, sofern sie wie Ortheil anmerkt, eine kleine Geschichte des Empfindens, sogar im Diminuendo erzählen. 

Kaum ist man relaxt durch den einen oder anderen Prosatext des Autors, weil man sich dabei wie auf einem kurzweiligen Spaziergang fühlte, wird man aus den Träumereien gerissen durch Texte wie "Putins Krieg" und "Lagerbildungen seit Kriegsbeginn". Der Krieg ist (eben) immer allgegenwärtig und legt sich mit seinen Nachrichten und Bildern wie ein nicht fassbares Zweitleben auf den gegenwärtigen Alltag“(S.206) Dem kann man nicht widersprechen. 

Nachdenklich stimmen die "Vierzehn Kapitel über Gott" (es sind eigentlich nur Tweets von der Länge her) nachdenklich speziell in Zeiten der Kriege, gemeint in der Ukraine und in Israel. Was tun in diesen Tagen?

Ich empfehle: Ortheils "Von nahen Dingen und Menschen"  zu  lesen und sich zu Herzen nehmen, was der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Salman Rushdie eindringlich in Frankfurt sagte und womit Josef Ortheil seinen letzten Prosatext enden lässt: "Auf Hass mit Liebe antworten und nicht die Hoffnung aufgeben, dass sich Wahrheit selbst in einer Zeit der Lügen durchsetzen kann."

Maximal empfehlenswert

Helga  König

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Rezension: Comandante- Edoardo de Angelis/Sandro Veronesi- Zsolnay


Auf dem Cover des vorliegenden Buches, auf dem das Meer zu sehen ist, entdeckt man weit unten, gewissermaßen auf dem angedeuteten Meeresgrund, den Beginn eines Zitats, das da lautet "Man muss diesen Roman lesen…". Die Begründung des Verfassers, es ist der italienische Schriftsteller und Journalist Roberto Saviono, erfährt man leider nicht. Grund genug, sich selbst kundig zu machen. 

Die Autoren des Romans sind der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Edoardo de Angelis und der Schriftsteller Sandro Veronesi, der auch die Einleitung zum Roman geschrieben hat. Die Motivation der beiden zu diesem Buch, lernt der Leser in besagter Einleitung kennen. Es sind die Geschehnisse des Sommers 2018 als eine Vielzahl von afrikanischen Migranten aus den lybischen Lagern übers Meer flohen und zum Teil in Schlauchbooten havarierten, die Flüchtigen also zu Schiffbrüchigen wurden, die seitens nichtitalienischer Rettungsschiffe, die in den Gewässern kreuzten, gerettet wurden, man allerdings die Geretteten in den italienische Häfen nicht aufnehmen wollte, mit der Begründung, die Rettungsschiffe würden mit lybischen Bootsführern zusammenarbeiten. Nicht wenige wollten die Schiffbrüchigen niederträchtiger Weise "absaufen" lassen. Offenbar hatte man vergessen, dass Schiffbrüchige von alters her sakrosankt sind. Mitmenschlichkeit? Fehlanzeige.  

Im vorliegenden Roman erzählen die Autoren eine Geschichte, die sich im Zweiten Weltkrieg auf dem italienischen U-Boot "Cappellini" in der Nähe von Madeira abspielt. Man lernt den U-Boot- Kommandanten Salvatore Todaro kennen, ein Mann mit gebrochenem Rückgrat, dessen Körper durch ein Metallkorsett stabil gehalten wird und der durch Morphium seine Schmerzen erträglicher macht. Dieser Mann ist ein echter Krieger nach Art der alten Römer, der solange  kämpft, bis er siegt und keine Gnade mit dem Gegner hat, wenn es darum geht, Schiffe zu versenken. Sein Job ist es eben, Schiffe zu versenken und genau in diesem Job geht er trotz seiner schweren Verletzung auf, etwa wie ein Dichter beispielsweise im Schreiben von Liebesgedichten. Ihm vertraut seine Mannschaft, weil sie weiß, dass er das Leben seiner Besatzung keinen Moment vergisst, deshalb auch viel von ihnen abfordert, denn das U-Boot-fahren in Kriegszeiten, bedeutet den Tod mit an Bord zu haben. Ein Held zu sein oder zu werden, ist Programm. Dieses Programm wird nicht in Frage gestellt.

Als Leser*in erlebt man den Alltag und die Gefahren auf dem U-Boot,  erlebt hautnah den Kampf mit gegnerischen Schiffen, schließlich den Untergang eines belgischen Handelsschiffes, das von der "Cappelini" beschossen wurde und das dortige Flammenmeer, dem sich die Besatzung durch einen Sprung ins eiskalte Meer zu retten sucht. 

Der Comandante der "Cappelini" entscheidet sich, die Schiffbrüchigen zu retten, selbst auf die Gefahr hin, dass er vors Kriegsgericht gestellt wird, weil für ihn Schiffsbrüchige unantastbar sind und gerettet werden müssen, auch selbst auf die Gefahr hin, dass durch die Mehrbelastung und die Gefahren durch gegnerische Schiffe, sein U-Boot für immer auf dem Meeresgrund landet. 

Todaro ist so sehr von seiner Mission überzeugt, dass er Funkkontakt mit einem britischen Schiff aufnimmt und um freies Geleit bittet, damit er die 26 belgischen Seeleute an Land bringen kann. Der britische Kapitän akzeptiert die Bitte, vielleicht berührt von der an Verrücktheit grenzenden Mitmenschlichkeit des Comandante inmitten all der Unmenschlichkeit, die jeder Krieg mit sich bringt.

Mich erinnert die Mitmenschlichkeit Todaros an  den  legendären Weihnachtsfrieden von 1914 und daran, dass Mitmenschlichkeit immer möglich ist, wenn man nur genügend Mut aufbringt, sie an erste Stelle zu setzen. Einige Szenen im Buch erinnern an Ernst Jüngers "Stahlgewitter", ohne allerdings in irgendeiner Weise Krieg zu verherrlichen. Gezeichnet wird präzise, was geschieht, wenn Mars Geist und Psyche von Menschen beherrscht.
 
Ein beeindruckender Roman. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Als der Sturm kam- Anja Marschall- Roman -Piper



Die Autorin dieses packend geschriebenen Romans ist Anja Marschall. Vor ihrer schriftstellerischen Karriere hat sie u.a. als Journalistin und Pressereferentin gearbeitet. Bei Piper ist zuletzt ihre Erfolgsserie "Töchter der Speicherstadt" erschienen. Laut Vorankündigung des Verlags sollen es in diesem Jahr noch einige andere bewegende Romane von ihr auf den Markt kommen. Soviel schon jetzt: Man darf sich freuen. 

Vor einigen Jahren habe ich den Roman "Sturmflut" von Margriet di Moor auf “Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert. Diese auf realen Geschehnissen beruhende Romanhandlung spielt in den Niederlanden im Jahre 1953. Die damalige Sturm-Katastrophe forderte  übrigens 1835 Tote. 

1962 nun erlebten die Hamburger eine ähnliche Katastrophe als aufgrund einer Sturmflut, - übrigens ebenfalls im Februar-, sich das Leben dort als furchterregende Höllenfahrt erwies. 

Anja Marschall arbeitet in ihrem Buch mit fiktiven, aber auch  mit zum Zeitpunkt der Katastrophe real existierenden Personen, so wie man das aus Büchern des Weltbestsellerautoren James A. Michener kennt. Eine gute Vorgehensweise.

Indem die Autorin fiktive Gestalten in die Erzählung einbaut, erweckt sie durch die dargestellten persönlichen Schicksale das, was damals in Hamburg geschah, erneut zum Leben, ohne ein Zuviel an Theatralik erkennen zu lassen.  Das macht sich wirklich  überzeugend.

Was geschah damals konkret? Unerwartet brachen unzählige Deiche. Die Flut überschwemmte die Straßen rasend schnell und  drang in die Häuser vieler Bewohner der Stadt ein. 1/6  Hamburgs war überflutet. Das hatte furchtbare Folgen, wie man sich-ohne große Fantasie besitzen zu müssen-  vorstellen kann.

Die Autorin lässt erkennen, dass nicht wenige ihrer Protagonisten noch traumatisiert waren von den Ereignissen des 2. Weltkriegs, speziell von der Flucht aus dem Osten oder von der schlimmen Bombennacht 1943 in Hamburg.  Ihre konkreten  Probleme werden dadurch nicht einfacher.

Nicht alle können sich auf die Dächer ihrer Häuser retten und nicht alle von dort gerettet werden. Der Tod ist der Begleiter der Flut.

Man wird mit spannenden Familienschicksalen vertraut gemacht, lernt sehr mutige Helfer kennen, die übrigens hervorragend charakterisiert werden, ohne dass man sie heroisch überzeichnet. 

Die Rolle von Helmut Schmidt, dem späteren Bundekanzler und damals noch verhältnismäßige jungen Polizeisenator wird sehr gut in die Romanhandlung verwoben, ohne ihn zum eigentlichen Helden des Romans zu machen. Gezeigt wird, dass Helmut Schmidt die Hilfsaktion damals hervorragend koordinierte.  Lobenswert sachlich dargestellt von A. Marschall.

Wie geht man mit Katastrophen wie der hier vielschichtig beleuchteten um? Diese Frage muss man sich stellen.

Bedingungsloses Helfen ist angesagt, aber auch rasches Reagieren und kluges Koordinieren der Hilfsaktion. Wäre dies in heutiger Zeit so möglich? Die Ereignisse an der Ahr sagen NEIN.

Vielleicht noch dies: Im Anschluss an den Roman wird man mit Fakten, Fiktion und Hintergründen, den tatsächlichen Personen und der Chronologie der damaligen Geschehnisse vertraut gemacht.  Auch das ist wichtig, um den Roman in seiner Tiefe zu begreifen

Ein wirklich gelungener Roman. 

Maximal empfehlenswert.

 Helga König

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