"Sie werden immer seltener" fuhr er fort. "Es handelt sich um Wiesenvögel. Die Messer der Mähdrescher sind gnadenlos, und die Pestizide, die die Bauern auf Feldern und Wiesen ausbringen, tun das ihrige- sie töten Insekten. Und ohne Insekten keine Nahrung für die Vögel. Hört gut zu, das ist der Klang des Sommers. Man wird ihn nicht mehr lange hören. Vielleicht auch hier in den Bergen nicht.“ ("Rückkehr", Willi Achten, S.28)
Jakob Kilv, der Protagonist dieses bemerkenswerten, neuen Romans von Willi Achten kehrt nach über zwanzig Jahren zurück in das Alpendorf, wo er seiner Kindheit und Jugend verbracht hat. Seine Mutter und sein Vater leben nicht mehr. Er zieht in sein Elternhaus, das bereits eine ganze Weile leer stand und beginnt es zu renovieren. Will er bleiben?
Es gibt Klärungsbedarf für Jakob im Hinblick auf die Ereignisse, die einst zu seinem überstürzten Weggang aus dem Bergdorf führten, wo er enge Freunde hatte und wo auch seine Jugendliebe lebte. Alle, bis auf seine Eltern sind noch da.
Was haben die einstigen, fatalen Geschehnisse mit den Menschen gemacht und um welche Geschehnisse handelt es sich?
Jakob bewegt sich als Ich-Erzähler auf zwei Zeitebenen. Im Gestern und im Heute. Im Gestern lernen wir u.a. seinen Vater, einen Vogelliebhaber, der ornithologische Schriften anfertigt, kennen. Dessen berufliche Aufgabe besteht darin, Flugzeuge und deren Passagiere vor Vogelschwärmen zu schützen. Bei einem Falkner in den Alpen sucht er nach einer natürlichen Möglichkeit, Singvögelschwärme von den Triebwerken der Flugzeuge zu vertreiben.
Man wird Zeuge von dem, was sich beim Falkner zuträgt, lernt die Grausamkeit der Natur kennen, erfährt aber im weiteren Handlungsverlauf auch von der Liebe Jakobs Mutter zur klassische Musik und von den unausgesprochenen Spannungen, die sich aufgrund der unterschiedlichen, vielleicht über Gebühr gerittenen Steckenpferde der Eltern auf Dauer für sie ergeben. Diese, viel Zeit verschlingenden Steckenpferde treiben die Eheleute schließlich auseinander.
Naturschutz ist für Jakobs Vater und Jakobs Freunde ein zentrales Thema. Dabei steht sein Freund Bruno seinem Vater wohl am nächsten, vielleicht weil dieser so ist wie er selbst gerne noch wäre.
Auch Jakobs Mutter fühlt sich zu dem Abenteurer Bruno hingezogen und geht schließlich ein Verhältnis mit ihm ein. Das hat tragische Folgen, denn Jakobs Vater glüht vor Eifersucht…
Jakob ahnt von diesen Verwicklungen, ist aber zu sehr mit sich und seiner Liebe zu Liv beschäftigt und natürlich mit seinen Umweltaktivitäten, die er gemeinsam mit seinen Freunden unternimmt. An diesen spannend beschriebenen Aktivitäten nimmt der Leser teil. Sie nehmen einen erfreulich breiten Raum der Romanhandlung ein und lassen Bewusstsein für das entstehen, was in den Alpen schief läuft.
Zwei Skigebiete sollen zusammengelegt werden. Deshalb möchte der "geschäftstüchtige" Bolltner die Kuppe des "Weißkogels" wegsprengen. Hundert Höhenmeter sollen "wegradiert" werden und dabei "einhundertneunzigtausend Kubikmeter Stein und Erde ins Tal donnern". Darüber hinaus soll das neu entstehende Plateau zu einer fahrbaren Hangfläche ausgebaut werden, "inklusive neuer Seilbahnen, Restaurants und Bars oben auf dem geschundenen Berg."
Der Kampf mit Bolltner radikalisiert die Freunde. Das hindert Jakob aber nicht daran, weiterhin in Liv unsterblich verliebt zu sein und es über die Zeiten hinweg zu bleiben. "Sie war die Schöne, die keiner vergisst, die bleibt. In den Träumen.", wird er, zurückgekehrt, denken. Doch er weiß auch "Ich bin ein Gast hier im Dorf, nicht mehr. Wer ist im Leben eines anderen schon mehr als ein Gast? Niemand, der uns bleibt vom ersten bis zum letzten Tag. Niemand, der uns kennt an allen Tagen. Wir teilen bestenfalls ein paar Jahre, Jahrzehnte der Freundschaft, der Liebe, bevor wir uns verlieren. Auf die ein oder andere Art."
Jakob erkennt- zurückkehrt - genau dies aber auch, was einst zu dem Unheil führte, das ihn all das, was seine Kindheit und Jugend ausmachte, verlieren ließ und ihn mithin seines einstigen Lebensmittelpunktes beraubte. Die Rückkehr hat ihn befreit vom Zweifel eines ungeklärten Gestern.
Maximal empfehlenswert
Helga König