Ilija Trojanow, der Autor dieses bemerkenswerten Buches wurde in Sophia geboren und floh als Kind mit seiner Familie 1971 nach Deutschland. Dort erhielten sie politisches Asyl. Ein Jahr später gingen sie nach Kenia und wohnten danach in Paris. Trojanow studierte Jura und Ethnologie in München, wurde Verlagsgründer, zog 1998 nach Bombay, 2003 nach Kapstadt und lebt heute, wenn er nicht reist, in Wien. Als Autor hat er viele Bestseller verfasst und zahlreiche Preise erhalten.
Im vorliegenden Buch, das eine Aneinanderreihung von teilweise sehr poetischen Eindrücken und essayistischen Reflektionen eines Flüchtlings ist, macht er begreifbar, was einen Menschen, der geflohen ist, von anderen ein Leben lang unterscheidet. Ganz zu Anfang schreibt Trojanow zwei Schlüsselsätze "Der Flüchtling ist meist Objekt" und "Der Geflüchtete ist eine eigene Kategorie Mensch". Was es mit dem Inhalt dieser Sentenzen auf sich hat, wird in seinen Texten dann klar.
Als Kind von Vertriebenen kann ich diese Gedanken bestätigen und auch den ebenfalls im "Vorab" zu lesenden Satz "Doch die Flucht wirkt fort, ein Leben lang. Unabhängig von den jeweiligen individuellen Prägungen, von Schuld, Bewusstsein, Absicht, Sehnsucht."
Der Autor hat sein Buch in zwei Teile untergliedert. Im ersten Teil schreibt er "Von den Verstörungen" und stellt hier nicht zuletzt Überlegungen zur Sprache an. Die Scham, in der fremden Sprache nach der Flucht noch nicht zuhause zu sein und als Kind noch nicht zu wissen, dass Sprache Ermächtigung ist, führt bei vielen Flüchtlingskindern dazu, in ihr zu brillieren, - möglicherweise unterbewusst primär, um sich selbst verteidigen zu können -.
Die Fluchterfahrung lehrt den Wert von Sprachkenntnissen zu schätzen."In fernen Ländern schneidet manch ein Geflüchteter dem eigenen Namen einige Konsonanten ab." Das geschieht nicht von Ungefähr.
Es ist unmöglich all die Eindrücke und Reflektionen im Buch in wenigen Sätzen zu skizzieren. Bestätigen kann ich u. a. auch aufgrund unzähliger Beobachtungen den Satz: "Die Irrungen und Wirrungen eines Menschen, der sich aussondert, selbst wenn er von niemandem ausgeschlossen wird, weil er eine unbändige Sehnsucht empfindet, einer unter vielen zu sein" (S.21).
"Menschen fliehen aus Angst, verlieren alles, ihr Leben ist gefährdet, doch fühlen sich jene, wo der Flüchtling ankommt, nicht selten von ihm bedroht." Ist das nicht paradox?
Trojanow macht begreifbar, dass der Flüchtling auf der Flucht Gemeinschaft kennenlernt, er später aber ein einsames Individuum sei. Auch das hängt mit der Sprache zusammen, weil selbst die perfekt erlernte Fremdsprache nicht die Muttersprache sei. Von Seite zu Seite wird immer ersichtlicher, wie unmöglich es für den Geflüchteten ist, jemals wieder wirklich sesshaft zu werden. Der Bewegungsdrang bleibt für immer, man sieht es an Trojanows Lebenslauf.
Dann erfährt man von dem Verlust der Autorität des Vaters von Flüchtlingskindern. Auch dieses Phänomen hängt mit der fremden Sprache zusammen, die Kinder rascher lernen.
Trojanow reflektiert zudem die Nostalgie von Geflüchteten, die in allen Familien immer wieder sonderbare Blüten treibt. Dem Autor erscheint sie mittlerweile als "höchste Form der Ignoranz", "als ichgefällige Empfindung". Genau so ist es.
Im zweiten Teil schreibt der Weltbürger "Von den Errettungen" und beginnt seine Reflektionen hier mit dem Satz "Heimatlosigkeit muss nicht falsch sein". Hier auch schreibt er, dass der Geflüchtete Bewegung verkörpere und kulturelle Entfaltung Bewegung ohne Geländer sei. Wie wichtig Vielfalt ist und weshalb man Entfremdung trainieren kann, ist auch nicht uninteressant zu erfahren und man nickt als Kosmopolit natürlich eifrig bei Sätzen wie: "Die Vielfalt der Sprachen ist an sich schon Poesie" oder "Der Akzent ist die Handschrift der Zunge" oder auch "Die Gefahr ist nicht, dass wir überfremdet werden, sondern dass uns die Fremde ausgeht."
Worin die Vorteile eines Flüchtlings liegen? Es ist wohl die Sprachvielfalt und die kulturelle Bewegungsfreiheit, die man durch die Flucht erwirbt und die auch Grenzen im Kopf leichter überwinden lässt. Vielleicht besteht darin das Tröstende des Verlusts.....
Ein großartiges Buch, das ich sehr gerne empfehle
Helga König
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