Gestern Abend hatte ich Gelegenheit im Literaturhaus in Frankfurt im Rahmen der Veranstaltung "Streitfall- Autoren in der Kontroverse", Erhellendes zu Tilmann Spenglers spannend zu lesendem Buch "Wahr muss es sein, sonst könnte ich es nicht erzählen", seitens des Autors und der Mitdiskutanten auf dem Podium zu hören. Das Buch hatte ich die Vortage ausführlich gelesen, um dem Redefluss der Diskussionsteilnehmer besser folgen zu können.
Nicht unerwähnt möchte ich dabei lassen, dass Tilman Spengler, ein hochironischer Zeitgenosse mit trockenem Humor ist, der mich aufgrund seiner umfassenden Bildung, die alles andere als bildungsbürgerlich daherkommt, beeindruckt. Der promovierte Sinologe hat übrigens am Max-Planck-Institut für Sozialwissenschaften sowie an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften geforscht.
Seinem Buch liegen fünfzehnminütige Fernsehsendungen des BR-Alpha zugrunde, die ich leider bislang noch nicht gesehen habe. Dort versucht Spengler offenbar jeden Montagabend einem, wie er im Vorwort schreibt, "erinnerungswilligen Publikum", ein paar Glücksfälle der Literatur ins Gedächtnis zu rufen. Im Buch wird eine Vielzahl der Glücksfälle wiedergegeben. Geordnet geht es dabei tatsächlich nicht zu. Das allerdings gefällt mir gerade.
Tilmann Spengler begreift sich bei seinen Autoren- und Buchvorstellungen, in denen er stets sehr viel Anekdotisches über die Autoren einfließen lässt, als "Schwungbursche" für Literatur. Er möchte durch seine Essays Menschen zum Wiederlesen motivieren, wobei sein Buch weit mehr darstellt als eine Lesehilfe, denn es ist für sich genommen bereits ein erzählerisches Highlight.
Der am Starnberger See lebende "Schwungbursche" macht neugierig auf:
Miguel de Cervantes" und "Don Quijote von der Mancha", Emily Bronte und "Sturmhöhe", Rainer Maria Rilke und "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge", Virginia Woolf und "Mrs. Dalloway", Jonathan Swift und "Gullivers Reisen", Molière und "Der eingebildete Kranke", Arthur Schnitzler und "Sterben", "Leutnant Gustl" sowie "Reigen", Émile Zola und "Die Rougon-Macquart", Lew Tolstoi und "Kindheit und Jugend", "Krieg und Frieden" sowie "Anna Karenina", Marcel Proust und "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", Hermann Melville und "Mobby Dick", "Bartleby der Schreiber", Nikolai Gogol und "Der Revisor", "Die Toten Seelen", Theodor Fontane und "Effi Briest", Wolfram von Eschenbach und "Parzifal", Dante Alighieri und "Die Göttliche Komödie", Sophokles und "Antigone", Johann Wolfang Goethe und "Die Leiden des jungen Werther", "Novelle", Bettine von Arnim und "Goethes Briefwechsel mit einem Kinde", Franz Kafka und "Die Verwandlung", "Der Prozess" sowie "Das Schloss", Fjodor Dostojewski und "Arme Leute", "Schuld und Sühne/Verbrechen und Strafe", Graham Green und "Die Kraft und die Herrlichkeit", "Der dritte Mann", "Unser Mann in Havanna", Oscar Wilde und "Das Bildnis des Dorian Gray", "Ernst sein ist alles", Thomas Mann und "Buddenbrooks", "Betrachtungen eines Unpolitischen" sowie "Doktor Faustus", Michel de Montaigne und "Essais", Anton Tschechow und "Die Möwe", Luigi Pirandello und "Sechs Personen suchen einen Autor","Einer, keine hunderttausend", Albert Camus und "Die Pest", Oskar Maria Graf und "Wir sind Gefangene", "Das Leben meiner Mutter", James Joyce und "Dubliner", "Ulysses", William Faulkner und "Schall und Wahn" sowie "Licht im August".
Ich habe die fokussierten Autoren und Werke bewusst alle aufgelistet, damit Sie wissen, wozu hier motiviert werden soll. Tilmann Spengler erzählt immer voller Esprit, auf hohem Niveau, in bemerkenswert schnörkelloser, schöner Sprache. Dabei deckt sich sein Auftritt im Literaturhaus übrigens mit seinen geschriebenen Worten. Das will ich nicht unerwähnt lassen.
Neugierig auf die Werke machen nicht zuletzt die zum Teil recht kuriosen Charakterisierungen der Autoren. Ich zitiere mal, ein Beispiel aufzeigend, den Beginn des Essays zu Rainer Maria Rilke und "Die Aufzeichungen des Malte Laurids Brigge":"Was hält man wohl von einem jungen Dichter, der einen Brief an seinen Verleger mit den Worten schließt: "Ich selbst spreche nicht ins Telephon...Wenn sie aber telephonisch antworten, so kann ja der Portier die Antwort für mich aufnehmen."
Man mag vielleicht denken: So ganz bei Trost kann dieser Kerl nicht sein. Oder man denkt neidvoll: So ein Selbstbewusstsein hätte auch ich gerne, vielleicht nicht immer, doch in den entscheidenden Momenten. Vielleicht aber denkt man auch: Ein Dichter muss so etwas dürfen." (Zitat: S.36)
Ja, ein Dichter darf Allüren haben, er benötigt sie sogar, um sich abzugrenzen vom Alltäglichen, wenn er Nichtalltägliches schaffen will. Uns Lesern steht es nicht an, über die Allüren von Künstlern zu richten, bewundern allerdings müssen wir Allüren und Verschrobenheit auch nicht. Hinnehmen genügt.
Ich kenne zwar alle Autoren im Buch, aber nicht alle Werke. "Anna Karenina" auf so wenige Worte zusammenzustutzen, hat mir fast den Atmen geraubt. Hier bewundere ich das Selbstbewusstsein Spenglers besonders bei seinem saloppen Urteil "Anna Karenina bleibt am Ende nur noch Selbstmord". Ach, ja? Diese Ansicht muss man nicht teilen, oder?
Mein ganz großes Lob gilt Spenglers Essay über Oskar Wilde und zwei seiner Werke, (siehe oben). Dass der hochironische Spengler, Wilde in seiner differenzierten Substanz besonders gut auszuloten vermag, kann ich sehr gut verstehen, denn die beiden sind, was den Wortwitz angeht, ganz klar Wahlverwandte im Geiste.
Empfehlenswert.
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