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Rezension:Aufruhr: Eine Liebesgeschichte (suhrkamp taschenbuch) (Taschenbuch)

Ein nicht uninteressant konstruierter Roman, durch dessen Inhalt wohl primär die komplexen Ursachen der sozialen Spannungen innerhalb Indiens beleuchtet werden sollen. Man erfährt schon mancherlei über indische Mythen und religiöse Legenden, aber man wird auch mit historischen Fakten konfrontiert und begreift auf diese Weise den Ist-Zustand dieses Landes besser.

Auch weist der Autor auf Probleme hin, die sich aus dem indischen Kastensystem ergeben und spricht in diesem Zusammenhang vom, in seinen Folgen nicht zu unterschätzenden Analphabetismus breiter Bevölkerungsgruppen.

Wie leicht die ungebildete, nicht aufgeklärte Masse in die Arme religiöser Fundamentalisten geraten kann, zeigt der Roman "Aufruhr" sehr dezidiert und spricht auch von den verheerenden Folgen religiöser Indoktrination, so etwa im Hinblick auf die leider noch immer wenig erfolgreiche Geburtenregulierung und der daraus resultierenden Festschreibung der Unterdrückung von Frauen, wie auch der Zementierung der Armut innerhalb der stark religiös eingebundenen, unteren Gesellschaftsschichten.

Anhand der diffusen, tragisch endenden Liebes-Affäre zwischen einer amerikanischen Studentin und einem hohen, indischen Regierungsbeamten verdeutlicht der Autor, wie schwer es selbst für gebildete Menschen ist, über die landesspezifisch-gesellschaftlichen Konventionen hinweg, tatsächlichen Zugang zueinander zu finden.

"Aufruhr" ist ein sehr empfehlenswertes Buch, durch das wirklich klar wird, dass im Zeitalter der Globalisierung für religiöse Fundamentalisten kein Platz mehr ist und man außerdem gut daran tut, sich mit der Verschiedenheit kultureller Entwicklungen einzelner Länder und Kontinente intellektuell zu befassen, um so vielleicht eine vernünftige, auf gegenseitige Achtung beruhende Basis für gemeinsame Interaktionen zu schaffen.

Rezension:Der letzte Bruder: Roman (Gebundene Ausgabe)

Der Roman der auf Mauritius geborenen Autorin Nathacha Appanah wurde in mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt und war in Frankreich ein Bestseller. Dem Handlungsgeschehen liegt ein historisches Ereignis zu Grunde. Sein Ziel besteht darin ein Kapitel der Weltgeschichte, das kaum bekannt ist, einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen.

Am 26.12.1940 wurden 1500 Juden - Österreicher, Polen und Tschechen -, die seit Herbst 1939 vor den Nazis auf der Flucht waren, nach Mauritius deportiert. Die Insel war zu diesem Zeitpunkt eine britische Kolonie. Das Reiseziel der Juden war Palästina. Da sie keine vorschriftsmäßigen Reisepapiere hatten, wurden sie beim Eintreffen in Haifa seitens des British Foreign Office und vom British Colonial Office als illegale Einwanderer eingestuft und nach Mauritius verbracht. Dort internierte man sie bis zum bis August 1945 im Gefängnis von Beau-Bassin. Während der vier Jahre des Exils starben 127 inhaftierte Juden.

Der Ich-Erzähler Ray, ein ehemaliger Lehrer, erinnert sich seiner Kindheit auf Mauritius. Er berichtet von der Armut und der Kinderhölle, die er erlebt, weil sein Vater ihn, seine beiden Geschwister und seine Mutter im alkoholisierten Zustand immerfort schwer misshandelte. Seine Brüder, denen er herzlich verbunden ist, kommen in ihrer Kindheit ums Leben. Das macht Rays Vater noch unausstehlicher. Er wird zum Peiniger seiner Frau und seines nunmehr einzigen Kindes.


Der gewalttätige Trinker arbeitet als Aufseher im Gefängnis von Beau-Bassin. Dort ist u .a . auch das jüdische Kind David eingesperrt, dem während eines Zyklons, der auf der Insel tobt, die Flucht gelingt. Zwischen David und Ray, die sich im Gefängnis kennengelernt haben, ist eine enge Freundschaft entstanden. Ray begreift David als seinen letzten Bruder. Gemeinsam mit seiner Mutter versteckt Ray den Freund und flüchtet schließlich mit ihm in den Dschungel, nicht zuletzt um der Grausamkeit seines Vaters zu entkommen, die dieser sicher auch hätte David spüren lassen. Ray hat Angst um seinen geliebten Freund. Er weiß zu diesem Zeitpunkt nichts von dem, was mit den Juden in Europa durch die Nazis geschehen ist. Erst Jahrzehnte später wird Ray begreifen, was sich damals auf Mauritius zugetragen hat, wird das Unrecht an den Juden in seiner Gesamtheit erfassen.

David überlebt die gemeinsame Flucht nicht. Ray kann fortan den Freund nicht mehr vergessen. Er bleibt Teil seiner Seele. Als Ray erwachsen ist, sucht er unermüdlich in Büchern, Filmen und Archiven, um in Erfahrung zu bringen, wie David in den Jahren zuvor in Europa lebte, welche Ängste der Freund hat aushalten müssen.

Ray, ein durch seinen Vater gepeinigtes Kind, bleibt mit dem ebenfalls gepeinigten Freund auf ewig verbunden....

Ein sehr leiser, ungemein berührender Text, der die Zartheit von Kinderseelen und die liebvolle Zuwendung zweier ganz junger Menschen thematisiert, die sich in einer falschen Zeit und am falschen Ort begegnet sind und deshalb nur eine kurze Weile ihre Freundschaft leben konnten.

Rezension:Das Buch von Blanche und Marie (Gebundene Ausgabe)

Der schwedische Autor Enquist erzählt die tragischen Lebensläufe der zweimaligen Nobelpreisträgerin Marie Curie und ihrer Assistentin Blanche Wittmann, die ein Jahrzehnt früher Patientin im "Salpetiere" war. Beide Frauen lebten nach den Maßstäben ihrer Zeit untypisch. Beide waren sie Berühmtheiten. Beide wurden sie zu Strahlenopfern, hervorgerufen durch ihre Arbeit mit dem Mineral "Pechblende". Beide hatten eine Liebesbeziehung zu einem verheirateten Mann. Beide konnten die Beziehung in der Öffentlichkeit nicht ausleben, weil die gesellschaftliche Moral dagegen stand. Daran litten beide seelisch. Letztlich zermürbte dieser Umstand beide auf Dauer.

Die Affäre der verwitweten Marie Curie - sie war einst eine von nur zwei Frauen unter 9000 Studenten an der Sorbonne!!! - mit dem Wissenschaftler Paul Langevin kam der Presse zu Ohren. Unaufhaltsam folgte der übliche Skandal. Fortan war die Chemikerin gesellschaftlich stigmatisiert und die Verleihung ihres zweiten Nobelpreises in Frage gestellt.


Blanche Wittmann, engste Vertraute der bedeutenden Wissenschaftlerin, schreibt über ihr gemeinsames Leben mit Marie und stellt Betrachtungen über das Wesen der Liebe an. Sie reflektiert insbesondere die Zusammenhänge zwischen Liebe und Schuld, sowie Liebe und Tod. Zu diesem Zeitpunkt hat man Blanche bereits in einen Kasten gepackt, weil man ihre Beine und einen ihrer Arme amputiert hat, sie nunmehr nur noch eine Miniatur ihrer selbst ist, wie sie sagt. Die Hände Maries sind auch schon verkrüppelt. Das Radium hat auch seine Entdeckerin nicht verschont. "Wann verschwand das Selbstbewußtsein des zwanzigsten Jahrhunderts, der Fortschrittsoptimismus, die Arroganz?", fragt der Autor an irgendeiner Stelle dieses Buches mit Blick auf diese beiden Frauen, die zum Schluss ihres Lebens die ersten Opfer gerade jener Geister waren, die man voller Sehnsucht herbeigerufen hatte.


Blanche Wittmann "die Königin der Hysterikerinnen" war zu Ende des vorvergangenen Jahrhunderts Patientin im berüchtigten Krankenhaus "Salpetiere". Der Neurologe Jean Martin Charcot behandelt die junge Frau dort wegen ihrer vermeintlichen Hysterie. Er unternimmt Experimente mit Hypnose. Sigmund Freud ist eine Zeitlang einer seiner Mitarbeiter. Erbärmlich, präziser, menschenunwürdig geht man mit den 6000 Frauen im "Salpetiere " um, dem "Schloss der verrückten Frauen". Man führt sie dem gebildeten, männlichen Bürgertum vor und ergötzt sich lüstern an deren "Veitstänzen". Wie Ratten sind die armen Frauen eingesperrt und wie Affen dressiert man sie. Der verklemmte Professor Charcot hat zu Ende seines Lebens eine Affäre mit seiner Patientin Blanche. Später gibt sich die nachdenkliche Schönheit die Schuld am Ableben des von ihr geliebten Mannes.


Die beiden tüchtigen Frauen Blanche und Marie wurden Opfer einer prüden, unduldsamen, doppelmoraligen Gesellschaft. Nie hätte man Albert Einstein, aufgrund seiner zahllosen Liebesaffären mit gesellschaftlichen oder gar beruflichen Sanktionen belegt. Für Männer galten andere Maßstäbe. Marie Curie kannte Einstein persönlich, kannte Becquerel und viele andere Wissenschaftler auch. Trotz ihrer Nobelpreise hat man sie in ihrer Zeit nie auf die gleiche gesellschaftliche Stufe mit ihren männlichen Kollegen gestellt. Sie war eben eine Frau. Die mutige Emmeline Pankhurst - eine britische Frauenrechtlerin- war befreundet mit Madame Curie. Doch die Bewegung steckte noch in den Kinderschuhen. Noch war man nicht soweit, Mann und Frau die gleichen Rechte zuzubilligen. Vielleicht ist man es ja heute immer noch nicht.....
Ein zutiefst berührendes Buch.


Rezension:Mein ärgster Feind: Roman - Mit einem Nachwort von Antje Rávic Strubel (Gebundene Ausgabe)

Die Pulitzerpreisträgerin Willa Cather (1873- 1947) ist die Verfasserin dieses kleinen, gedanklich äußerst subtilen Romans, der sich mit dem Schicksal Myra Driscolls befasst. Diese sehr schöne, dazu noch intelligente Frau kam aus vermögendem Hause. In jungen Jahren stand ihr die Welt in jeder Beziehung offen, doch sie verzichtete aus Liebe zu Oswald Henshawe auf eine Zukunft, die sie zu einer pekuniär unabhängigen Frau gemacht hätte. Der Mann, den sie als junge Frau zu lieben glaubte, wird am Ende ihres Lebens zu ihrem "ärgsten Feind". Wie konnte dies geschehen?

Nellie, die Ich-Erzählerin, ist zu Beginn ihrer Erzählung 15 Jahre alt. Sie lebt in der Kleinstadt Parthia, wo einst auch Myra Driscoll ihre Jugend verbracht hatte. Myra ist dort nach Jahren immer noch das Gesprächsthema, nicht zuletzt, weil sie aus Liebe zu Oswald auf ihr großes Erbe verzichtet hatte.
Oswald, der Sohn einer jungen Deutschen aus guter Familie und eines Protestanten aus Ulster war in Sicht von Myras Onkel kein potentieller Ehekandidat für seine Nichte.
Der Vater des jungen Mannes und Myras steinreicher Onkel, bei dem sie aufwuchs, hassten sich. Als dem Onkel gewahr wurde, dass sich zwischen Oswald und Myra eine Liebesbeziehung entwickelt hatte, drohte er mit der Enterbung seiner Nichte und machte die Drohung schließlich wahr als sie den Sohn seines Feindes ehelichte. Myra lebt fortan mit Oswald in New York. Als Nellie zu studieren beginnt besucht sie die beiden und ist begeistert von dieser kultivierten, liebenswürdigen und dabei lebhaften Frau, die viele Freude und Bewunderer hat. Von ihrem Ehemann wird diese Frau abgöttisch geliebt, doch sie neigt zur Eifersucht und daraus resultierend zu latent gehässigem Verhalten. Oswald ist in jeder Beziehung voller Nachsicht und duldet ihre Aufgeregtheiten und sprachlichen Entgleisungen.


Finanziell geht es den beiden zu diesem Zeitpunkt gut. Für Dritte verkörpern sie ein ausnehmend glückliches Paar. Als Nelly die beiden Jahre später wieder trifft sind sie verarmt, da Oskar keine geeignete, lukrative Position findet, nachdem die Firma, in der er tätig war, Pleite ging. Myra ist krank und sehr unzufrieden. Sie bereut ihr Leben, hauptsächlich ihre Entscheidung Oswald zum Mann genommen zu haben, weil sie glaubt schon immer eine habgierige, unzufriedene, oberflächliche Frau gewesen zu sein, die große Wünsche an das Leben hatte und zudem der Ansicht ist ihren Mann letztlich an der freien Entfaltung seines Lebens gehindert zu haben. Ihr unvernünftiger Erbverzicht hat sie an ihren Gatten gebunden und die Liebe zu ihm untergraben. Sie war in ihren Entscheidungen nicht mehr frei. Darin sieht sie am Ende ihres Lebens einen großen Fehler.


Alt fühlt sie sich, einsam aber auch enttäuscht und ist davon überzeugt, dass man im Alter alles, selbst die Kraft zu lieben verliert. Sie wendet sich der Religion zu und verbohrt sich in die Idee, dass ihr Gatte einen Keil zwischen sie und die Kirche getrieben habe. Ihren Unmut projiziert sie auf den Mann, den sie einst liebte und der ihr bis zu ihrem Ende auf das Herzlichste zugetan ist. Myra kann mit ihrem Altern und den veränderten ökonomischen Bedingungen nicht fertig werden. Die Liebe erweist sich in den Augen Myras letztlich als untaugliches Modell.

Auch wenn man selbst zu anderen Ansichten im Hinblick auf die Liebe kommen mag, tut es der Qualität dieses Romans keinen Abbruch. Er ist exzellent geschrieben und dabei packend von der ersten bis zur letzten Zeile.

Empfehlenswert.