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Rezension: Maktub –Paulo Coelho –Diogenes

Paulo Coelho, der Autor dieses Buches ist in Brasilien geboren und lebt derzeit in Genf. Seine Weltbestseller hat er über 320 Millionen Mal verkauft. Übersetzt wurden sie in 88 Sprachen. 

Das vorliegende Buch enthält Kolumnen, die Paulo Coelho zwischen dem 10. Juni 1993 und dem 11.Juni 1994 geschrieben hat. Diese Kolumnen sind zumeist nicht länger als eine Seite und befassen sich inhaltlich mit Gedanken über die kleinen Wunder des Alltags, über die Liebe, über Angst aber auch über Mut. 

Die Kopfzeile der jeweiligen Kolumne deutet stets an, worum es inhaltlich geht. So liest man zu Beginn der Kolumne auf Seite 55 in der Kopfzeile die Frage "Macht Glück Angst?" und wird neugierig auf den dann folgenden kleinen Text. 

Coelho entlarvt mit den Worten "Aus Angst, an Größe zu verlieren, wachsen wir nicht. Aus Angst davor, zu weinen, hören wir auf zu lachen" das vielleicht wahre Motiv jener, die sich dem stoischen Denken verschrieben haben: die Angst. 

Vergebung ist für den Autor ein wichtiges Thema aber auch die Großzügigkeit mit sich selbst. Kritik nimmt er an der obsessiven Sinnsuche, die daran hindere zu handeln und er schreibt auch Kluges über Vorahnungen und über Disziplin. Hier bringt er es auf den Punkt, wenn er formuliert: "Bestimmte Dinge müssen im richtigen Maß und im richtigen Rhythmus geschehen." Das wird in heutiger Zeit leider oft vergessen. 

Auf Seite 110 liest man am Ende einer Kolumne den Satz "Der ist ein weiser Mann, der eine Haltung aufgeben kann, wenn die Umstände ihn dazu zwingen." Dieser Gedanke hat mir ebenso gefallen wie jener auf Seite 111 "Man muss darauf achten, die Energie frei fließen zu lassen. Behältst du das Alte, hat das neue keinen Platz sich zu manifestieren." Feng Shui lässt grüßen.

Coelhos kurze Geschichten und daraus resultierende Merksätze zeugen von einer vortrefflichen Beobachtungsgabe und von viel Lebenserfahrung. Dass er ein Meister der Spiritualität ist, steht außer Frage. 

Vielleicht noch folgenden Gedanken Coelhos, um neugierig auf das Buch zu machen: "Sie erlauben sich häufig nicht, Fehler zu machen. Dahinter steht aber die Angst voranzuschreiten. Die Angst davor, Fehler zu machen, ist die Tür, die uns den Weg aus der Burg der Mittelmäßigkeit versperrt. Gelingt es uns die Angst zu überwinden, tun wir damit einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Freiheit."

Maximal empfehlenswert. 
Helga König 

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Rezension: Die Suche nach der Gegenwart- Stefan Hertmans-Diogenes Tapir S

Stefan Hertmans ist Belgier und gilt als einer der wichtigsten niederländisch-sprachigen Autoren der Gegenwart. Seine hier vorliegenden 19 Essays wurden von Ira Wilhelm aus dem Niederländischen übersetzt und beginnen mit einem Vorwort Hertmans, in dem er bekundet, dass wir in einer Zeit des Übergangs lebten und auf etwas zusteuerten, was wir erst in Ansätzen begreifen würden. Weil manches verschwände und anderes entstehe, sei es sinnvoll, Gedanken und Perspektiven gegeneinander abzuwägen. 

Genau das geschieht in den 19 spannend zu lesenden Essays. Sie beginnen mit dem Satz:"Unsere Zeit wird von drei großen Themen bestimmt: vom Klimawandel, von der Krise der neoliberalen Weltordnung und von der Migration."

Alsdann geht der Autor auf diese Themen näher ein. Im Grunde sähe alles geradezu bedrohlich aus. So fänden sich in den Gewässern selbst an den Enden der Welt Spuren von Medikamenten, deren Auswirkungen auf die DNA vieler Tierarten noch nicht abzusehen seien. Dies könne sich auf die ärmere Bevölkerung des globalen Südens verheerend auswirken, weil sich durch das Massenaussterben von Tieren eine Katastrophe für die Nahrungskette anbahne. Erkannt werden müsse, dass das Ausbeutungsmodell- der Verbrauch sämtlicher Ressourcen seitens der Industrieländer- nicht mehr funktioniere und der Mensch begreifen müsse, dass es keinen Planeten B für ihn gibt. Wie recht er doch hat!

Sehr lesenswert auch ist der 2. Essay mit dem Titel "Intimität und Ausgeliefertsein". Hier zeigt der Autor auf, welche Folgen die totale Öffentlichkeit habe, in der dem kontrollierenden Blick nichts mehr entgehe. Die Intoleranz gegenüber der Andersartigkeit der anderen wachse auch deshalb zusehends. Der soziale Raum verkomme zu einer"Arena für das Ego", das sich weigere den Unterschied zwischen dem Eigenen und Anderen zu erkennen. Dahinter stehe das Versprechen des Neoliberalismus, wonach nur noch die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zählten. Wenn die eigene Wohnung überhaupt nicht mehr verlassen werden müsse, man nur noch online shoppe, weil man die Existenz des anderen nicht mehr ertragen könne, sei das Ziel erreicht: der Mensch sei dort, wo er sein soll, in einer Welt ohne die anderen, in einer Welt in der man alles kaufen könne außer dem Menschsein.“ 

Unmöglich, im Rahmen der Rezension nun alle 19 Essays zu streifen! So erfährt man im Essay "Himmelshaken und irdische Kräne" u.a., dass Wissen dem Vermögen, Wissen zu ordnen entspränge und der Kunst, das Denken nicht losgelöst von der Erfahrung zu betrachten. Wissen sei nicht, was man wisse, sondern wie man wisse. Wissen entstehe mithin durch Erkenntnis. Das sehe ich auch so. 

Auch stimme ich Hertmans Gedanken zu, dass der Zugang zur Kultur durch die Fähigkeit bestimmt werde, lesen und schreiben, allerdings auch kritisch lesen zu können. 

Wichtig: Komplexe soziologische Verschiebungen fänden derzeit statt, erfährt man in einem weiteren Essay. Von Blasen ist die Rede, in der man geformt und beeinflusst werde und es sei ausgerechnet diese scheinbare Zusammengehörigkeit, die unsere große Einsamkeit verursache. Wie fühlt man diese? Macht sie depressiv?

Analysiert wird in einem der folgenden Essays die sogenannte "Klick-Politik" und hier liest man den spannenden Satz: "Der Tanz der Algorithmen ist auch dafür verantwortlich, dass sich orientierungslose Menschen, die ziellos im Netz surfen, radikalisieren". Beobachtungen dieser Art habe ich im Laufe der Jahre auch immer wieder gemacht und mich nur noch gewundert über die Wandlung vermeintlicher Gesinnung..

Ach ja, ... und man liest weiter, dass Freiheit neuerdings nicht nur die gleiche Freiheit für alle, sondern zudem auch einen Kampf um kulturelle Souveränität bedeute und dies nicht geringe Probleme mit sich brächte. Wo endet die Freiheit in einer gut funktionierenden Demokratie?

Es führt zu weit auf all die komplexen Themen des Buches an dieser Stelle einzugehen. Folgte ich meinen vielen Notizen dazu, wäre die Rezension mehr als nur zu umfangreich. 

Soviel nur: Das Werk ist ein Leckerbissen für Intellektuelle. 

Fast am Ende liest man von der "Heilstätte der Seele", deren dort angesammeltes Wissen für unsere Weltkultur einst verloren ging, weil sie Vandalen zum Opfer fiel, die kaum oder gar nicht lesen konnten. Verursacht wurde dieser Verlust wie man liest durch die Gleichgültigkeit und mangelndes Geschichtsbewusstsein. Das sollte zu denken geben.

Helga König

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Rezension: BLEIB-Adeline Dieudonné-dtv


Adeline Dieudonné, Autorin des vorliegenden Romans, wurde für vorangegangene Werke mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Ihre Bücher wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt. Diese Tatsache allein macht neugierig auf ihre jüngste Publikation. 

Dabei handelt es sich um einen reichlich skurrilen Liebesroman, dessen Protagonistin mich immer wieder an "Johanna die Wahnsinnige" erinnerte, die vor vielen Jahrhunderten, nach dem Tod ihres von ihr abgöttisch geliebten Ehemannes überzogene Trauer zeigte und monatelang mit dem Sarg durch Kastilien zog. 

Die Protagonistin von "Bleib" ist nicht mit "M." verheiratet. Sie ist seine außereheliche Beziehung. In ihren Augen ist das allerdings gut so, denn sie möchte sich nach einer gescheiterten Ehe und wenig erfreulichen Affären keineswegs mehr an einen Mann durch Vertrag binden. "M" ist ihre große Liebe und ihr Freund. Das genügt ihr.

Die Protagonistin- sie ist die Ich-Erzählerin des Romans – lässt die Leser im Rahmen von Briefen, die sie unmittelbar nach "M´s" Ableben an dessen Frau schreibt, mehr von der Beziehung zu "M", auch von seinem unerwarteten Tod wissen, zudem vermittelt sie in besagten Briefen auch den Respekt, den sie der Ehefrau gegenüber hat. Sie sieht in "M´s" Frau keine Rivalin, wollte ihr den Ehemann nie nehmen. Stattdessen macht sie diese Frau gedanklich zu ihrer Freundin.

Bei allem hat die namenlose Protagonistin große Probleme loszulassen als sie ihren Geliebten ertrunken aus dem See birgt, der sich in der Nähe des Chalets befindet, wo sie das Wochenende mit "M" verbracht hat. Sie meldet den Tod nicht der Polizei, sondern lebt mit der Leiche noch tagelang, selbst als die Verwesung fortgeschritten ist…fährt mit ihm durch die Berge, nimmt Abschied.  

Was alsdann geschieht, möchte ich nicht verraten, um die Spannung nicht zu mindern. 

Dass sie schließlich während ihrer Reise durch die Berge einen Zahn des Geliebten unter ihre Haut operiert bekommt, will ich aber nicht unerwähnt lassen, weil dies mich an eine unvergessene Szene im Film "Havanna" erinnerte. Allerdings ging es dabei um einen Brillanten. 

Wie auch immer, Loslassen ist das Thema. Merke: Nichts bleibt wie es ist.  Zersetzungsprozesse drohen immer.

Ein Zahn unter der Haut als Andenken an einen toten Geliebten mag eine Option sein, die bessere scheint allerdings darin zu bestehen, sich allem zu entziehen, was vergangen und  tot ist.  

Empfehlenswert
Helga König

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Rezension: Elyssa-Königin von Karthago- Irene Vallejo-Diogenes


Die Philologin Irene Vallejo ist als Autorin des Bestsellers "Papyrus" bekannt geworden. In Spanien wurde sie mit diesem Sachbuch mit den wichtigsten Literaturpreisen ausgezeichnet. Das Werk "Papyrus" wurde in 37 Sprachen übersetzt. Jetzt erzählt die Kennerin der Antike in ihrem Roman "Elyssa" die "Aeneis" von Vergil aus weiblicher Sicht. 

Dies  vorab: Vergleiche anzustellen, liegt mir fern, da ich Vergils Publikation in ihrer Gesamtheit nur aus Buchzusammenfassungen kenne. 

Aeneas, der Gründungsvater Roms,  ist der Sohn des trojanischen Königs Anchises und der Göttin Aphrodite. Der mutige trojanische Kämpfer entkommt aus dem brennenden Troja mit seinem kleinen Sohn Iulus und Gefolgsleuten, verliert zu Beginn der Flucht seine Frau Kreusa und leidet an Schuldgefühlen.

Beschützt von den Göttern, muss er sein Schicksal erfüllen. Dieses besteht darin, eine neue Stadt zu errichten, die zur Blüte gelangen soll. Bei dieser Stadt handelt es sich wie schon erwähnt um Rom, was er zu diesem Zeitpunkt nicht weiß. 

Auf seinen Irrfahrten erleidet der Königssohn Schiffbruch vor der neu gegründeten afrikanischen Stadt Karthago und wird von der dortigen Königin Elyssa gerettet, entgegen den Wünschen ihrer argwöhnischen Untertanen, die die Schiffbrüchigen töten wollen, weil sie Feinde in ihnen sehen. Für sie sind Schiffbrüchige nicht sakrosankt.

Elyssa erkennt in Aeneas allerdings einen königlichen Leidensgenossen, weil auch sie einst als Königstochter aus ihrer Heimat fliehen musste und erst in der Folge- in einem Kraftakt- Karthago erbaute. 

Die Karthager sind ein kriegerisches Volk, das wird im Buch sehr gut aufgezeigt. Aeneas hat durch seine schrecklichen Kriegserfahrungen anderes im Sinn als Menschen niederzumetzeln. Er weiß, dass durch Kriege keine blühenden Städte entstehen können. Dazu benötigt man eine friedliche Haltung.

Im Buch kommen abwechselnd Aeneas und seine Sicht der Dinge, Elyssa, ihre Halbschwester Anna, eine Hellsichtige, der Dichter Vergil und der Gott Eros und deren Sichtweise zur Sprache. Dieser Wechsel an Perspektiven finde ich überaus spannend.

Aeneas und Elyssa werden vorübergehend zum Liebespaar, doch das Schicksal befördert durch Neid, Missgunst und Niedertracht seitens von Gefolgsleuten der Königin trennen die beiden Liebenden und führen letztlich zum Selbstmord Elyssas. Auch Aeneas stirbt als Opfer von Schwerter und Zwietracht nachdem er die Ufer des Tiber erreichte, "doch einige Zeit später erblühte nicht weit von dem Grabmal auf den sieben Hügeln von Latinum eine Zivilisation, an die man sich ob der grandiosen Architektur ihrer Gesetze erinnert, eine Zivilisation, die den gesamten Mittelmeerraum unter ihrer Herrschaft vereint und Brücken und Straßen erbaut hat, um die von ihr niedergezwungene Völker zu verbinden." (315) Ihren Bewohner, so liest man zu Ende des Romans,  galt Aeneas als "der Vater von Roms". 

Die sehr dicht geschriebene, beklemmende Geschichte von Liebe und Tod beinhaltet eine Stelle in einem Kapitel, die der Sichtweise von Eros gewidmet ist. Hier liest man: "Die Menschen lieben einander auf unvorhergesehene Weise… Warum führen die Hindernisse dazu, sich auf ein Ziel zu versteifen, während sie andere dazu bringen aufzugeben? Warum entsteht Liebe zwischen zwei Sterblichen nie mit gleicher Intensität? Warum spürt der eine seine tiefe Sehnsucht so klar, während der andere Schwäche zeigt, sein Herz mutlos wird und strauchelt? Merkwürdiges Paradox der Vergänglichen: Liebe ist eine verbreitete Erfahrung, aber nur selten im gleichen Maß, die Waage ruht nie im Gleichgewicht.“ (279) 

Darüber nachzudenken, scheint mir lohnenswert. Verhält es sich stets in dieser Weise wie Eros annimmt? Fast scheint es so, wie viele berühmte, historische Beispiele zeigen.

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Von nahen Dingen und Menschen-Hanns-Josef Ortheil-Dumont


Hanns-Josef Ortheil, der Autor dieses Buches, ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Literarisches Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. 

Sein jüngstes Werk enthält eine Vielzahl kleiner Prosatexte, deren Inhalt das Zeitgeschehen der letzten fünf Jahre berührt. Ein Tagebuch ist es nicht, obschon die Inhalte auch Privates streifen und viel von Ortheils Art und Weise den Alltag zu bewältigen -selbst in Krisenzeiten- offenbaren. 

Man lernt den Autor als Musikkenner und –liebhaber kennen, der diesbezüglich auch ein Buch empfiehlt, gemeint das Nachschlagwerk "Musik" von Roger Willemsen im Rahmen des Textes „Begegnung mit Roger Willemsen". In diesem Text geht Ortheil in seinen Erinnerungen zunächst zurück in das Jahr 1987, wo er Roger Willemsen erstmals begegnete und wandert in wenigen Sätzen hin, zu weiteren zufälligen Begegnungen mit seinem ihm geistig offenbar sehr verwandten Kollegen. Der Text, eine Verbeugung vor dem viel zu früh verstorbenen Intellektuellen, die spürbar von Herzen kommt...

Hanns-Josef Ortheil scheint ein Einzelgänger mit vielen Freunden zu sein. Ist so etwas möglich? Ja!  Und es muss kein Widerspruch sein. Das beweist er in seinen Texten.

Ob seine Liebe für gute Speisen und Getränke ihn zum Waldspaziergänger gemacht haben, kann man nur vermuten. Als Einzelgänger ist er dort "einfach nur unterwegs" und am liebsten wäre er -  wie in den alten stillen Tagen - allein. Das aber kann er in Zeiten der "Waldbadenden" und Jogger vergessen. Doch Ortheils Interessen sind so vielfältig, dass er immer wieder Momente der Selbstversunkenheit erleben kann, eben nicht nur im Wald. 

So liest man irgendwann die Sätze des Pianisten Ortheil wie etwa "Klavierüben ist kein ödes Pflichtprogramm für Menschen, die sich eine fade Disziplinierung antun wollen. Im Gegenteil: Als Übender und Spielender berührt man ein Instrument, und diese Berührung ist ein extrem libidinöser Vorgang. Spielt man mit Freude, ist immer auch Liebe im Spiel. Man spielt mit dem Instrument, man spielt für andere, man spielt mit dem Universum." Soweit Ortheils Anteilnahme an allem in stillen Stunden am Klavier.

Der Autor lebt und erlebt die Coronazeit, die Veränderung seiner Freunde in dieser Zeit und natürlich die Gespräche, die ums Impfen kreisen. Seine Freunde übrigens empfinden das Leben in den Twitter- oder Instagram-Rhythmen der sozialen Medien inzwischen nicht mehr als lebenswert, da Themen und Kommentare für wenige, flüchtige Momente eine Scheinbedeutung erhielten, die sich lautstark darstellen müssten, weil sie am nächsten Tag wieder verpufft seien. Wen wundert es, dass  Hanns-Josef Ortheil sich in diesem Metier nicht erkennbar bewegt? Von Freunden gut beraten...

Und immer wieder ist Köln ein Thema, dann u.a. auch Frankfurt und hier beschenkt er die Leser mit einer Anekdote, in der der Philosoph  Adorno eine Rolle spielt. Adorno, schon lange tot, doch seine Bücher begeistern noch immer, vielleicht heutzutage nicht mehr alle jungen, intellektuell aufgeschlossenen Menschen... Diese aber finden gewiss an der Aneinanderreihung von Emojis Freude, sofern sie wie Ortheil anmerkt, eine kleine Geschichte des Empfindens, sogar im Diminuendo erzählen. 

Kaum ist man relaxt durch den einen oder anderen Prosatext des Autors, weil man sich dabei wie auf einem kurzweiligen Spaziergang fühlte, wird man aus den Träumereien gerissen durch Texte wie "Putins Krieg" und "Lagerbildungen seit Kriegsbeginn". Der Krieg ist (eben) immer allgegenwärtig und legt sich mit seinen Nachrichten und Bildern wie ein nicht fassbares Zweitleben auf den gegenwärtigen Alltag“(S.206) Dem kann man nicht widersprechen. 

Nachdenklich stimmen die "Vierzehn Kapitel über Gott" (es sind eigentlich nur Tweets von der Länge her) nachdenklich speziell in Zeiten der Kriege, gemeint in der Ukraine und in Israel. Was tun in diesen Tagen?

Ich empfehle: Ortheils "Von nahen Dingen und Menschen"  zu  lesen und sich zu Herzen nehmen, was der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Salman Rushdie eindringlich in Frankfurt sagte und womit Josef Ortheil seinen letzten Prosatext enden lässt: "Auf Hass mit Liebe antworten und nicht die Hoffnung aufgeben, dass sich Wahrheit selbst in einer Zeit der Lügen durchsetzen kann."

Maximal empfehlenswert

Helga  König

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Rezension: Comandante- Edoardo de Angelis/Sandro Veronesi- Zsolnay


Auf dem Cover des vorliegenden Buches, auf dem das Meer zu sehen ist, entdeckt man weit unten, gewissermaßen auf dem angedeuteten Meeresgrund, den Beginn eines Zitats, das da lautet "Man muss diesen Roman lesen…". Die Begründung des Verfassers, es ist der italienische Schriftsteller und Journalist Roberto Saviono, erfährt man leider nicht. Grund genug, sich selbst kundig zu machen. 

Die Autoren des Romans sind der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Edoardo de Angelis und der Schriftsteller Sandro Veronesi, der auch die Einleitung zum Roman geschrieben hat. Die Motivation der beiden zu diesem Buch, lernt der Leser in besagter Einleitung kennen. Es sind die Geschehnisse des Sommers 2018 als eine Vielzahl von afrikanischen Migranten aus den lybischen Lagern übers Meer flohen und zum Teil in Schlauchbooten havarierten, die Flüchtigen also zu Schiffbrüchigen wurden, die seitens nichtitalienischer Rettungsschiffe, die in den Gewässern kreuzten, gerettet wurden, man allerdings die Geretteten in den italienische Häfen nicht aufnehmen wollte, mit der Begründung, die Rettungsschiffe würden mit lybischen Bootsführern zusammenarbeiten. Nicht wenige wollten die Schiffbrüchigen niederträchtiger Weise "absaufen" lassen. Offenbar hatte man vergessen, dass Schiffbrüchige von alters her sakrosankt sind. Mitmenschlichkeit? Fehlanzeige.  

Im vorliegenden Roman erzählen die Autoren eine Geschichte, die sich im Zweiten Weltkrieg auf dem italienischen U-Boot "Cappellini" in der Nähe von Madeira abspielt. Man lernt den U-Boot- Kommandanten Salvatore Todaro kennen, ein Mann mit gebrochenem Rückgrat, dessen Körper durch ein Metallkorsett stabil gehalten wird und der durch Morphium seine Schmerzen erträglicher macht. Dieser Mann ist ein echter Krieger nach Art der alten Römer, der solange  kämpft, bis er siegt und keine Gnade mit dem Gegner hat, wenn es darum geht, Schiffe zu versenken. Sein Job ist es eben, Schiffe zu versenken und genau in diesem Job geht er trotz seiner schweren Verletzung auf, etwa wie ein Dichter beispielsweise im Schreiben von Liebesgedichten. Ihm vertraut seine Mannschaft, weil sie weiß, dass er das Leben seiner Besatzung keinen Moment vergisst, deshalb auch viel von ihnen abfordert, denn das U-Boot-fahren in Kriegszeiten, bedeutet den Tod mit an Bord zu haben. Ein Held zu sein oder zu werden, ist Programm. Dieses Programm wird nicht in Frage gestellt.

Als Leser*in erlebt man den Alltag und die Gefahren auf dem U-Boot,  erlebt hautnah den Kampf mit gegnerischen Schiffen, schließlich den Untergang eines belgischen Handelsschiffes, das von der "Cappelini" beschossen wurde und das dortige Flammenmeer, dem sich die Besatzung durch einen Sprung ins eiskalte Meer zu retten sucht. 

Der Comandante der "Cappelini" entscheidet sich, die Schiffbrüchigen zu retten, selbst auf die Gefahr hin, dass er vors Kriegsgericht gestellt wird, weil für ihn Schiffsbrüchige unantastbar sind und gerettet werden müssen, auch selbst auf die Gefahr hin, dass durch die Mehrbelastung und die Gefahren durch gegnerische Schiffe, sein U-Boot für immer auf dem Meeresgrund landet. 

Todaro ist so sehr von seiner Mission überzeugt, dass er Funkkontakt mit einem britischen Schiff aufnimmt und um freies Geleit bittet, damit er die 26 belgischen Seeleute an Land bringen kann. Der britische Kapitän akzeptiert die Bitte, vielleicht berührt von der an Verrücktheit grenzenden Mitmenschlichkeit des Comandante inmitten all der Unmenschlichkeit, die jeder Krieg mit sich bringt.

Mich erinnert die Mitmenschlichkeit Todaros an  den  legendären Weihnachtsfrieden von 1914 und daran, dass Mitmenschlichkeit immer möglich ist, wenn man nur genügend Mut aufbringt, sie an erste Stelle zu setzen. Einige Szenen im Buch erinnern an Ernst Jüngers "Stahlgewitter", ohne allerdings in irgendeiner Weise Krieg zu verherrlichen. Gezeichnet wird präzise, was geschieht, wenn Mars Geist und Psyche von Menschen beherrscht.
 
Ein beeindruckender Roman. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Als der Sturm kam- Anja Marschall- Roman -Piper



Die Autorin dieses packend geschriebenen Romans ist Anja Marschall. Vor ihrer schriftstellerischen Karriere hat sie u.a. als Journalistin und Pressereferentin gearbeitet. Bei Piper ist zuletzt ihre Erfolgsserie "Töchter der Speicherstadt" erschienen. Laut Vorankündigung des Verlags sollen es in diesem Jahr noch einige andere bewegende Romane von ihr auf den Markt kommen. Soviel schon jetzt: Man darf sich freuen. 

Vor einigen Jahren habe ich den Roman "Sturmflut" von Margriet di Moor auf “Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert. Diese auf realen Geschehnissen beruhende Romanhandlung spielt in den Niederlanden im Jahre 1953. Die damalige Sturm-Katastrophe forderte  übrigens 1835 Tote. 

1962 nun erlebten die Hamburger eine ähnliche Katastrophe als aufgrund einer Sturmflut, - übrigens ebenfalls im Februar-, sich das Leben dort als furchterregende Höllenfahrt erwies. 

Anja Marschall arbeitet in ihrem Buch mit fiktiven, aber auch  mit zum Zeitpunkt der Katastrophe real existierenden Personen, so wie man das aus Büchern des Weltbestsellerautoren James A. Michener kennt. Eine gute Vorgehensweise.

Indem die Autorin fiktive Gestalten in die Erzählung einbaut, erweckt sie durch die dargestellten persönlichen Schicksale das, was damals in Hamburg geschah, erneut zum Leben, ohne ein Zuviel an Theatralik erkennen zu lassen.  Das macht sich wirklich  überzeugend.

Was geschah damals konkret? Unerwartet brachen unzählige Deiche. Die Flut überschwemmte die Straßen rasend schnell und  drang in die Häuser vieler Bewohner der Stadt ein. 1/6  Hamburgs war überflutet. Das hatte furchtbare Folgen, wie man sich-ohne große Fantasie besitzen zu müssen-  vorstellen kann.

Die Autorin lässt erkennen, dass nicht wenige ihrer Protagonisten noch traumatisiert waren von den Ereignissen des 2. Weltkriegs, speziell von der Flucht aus dem Osten oder von der schlimmen Bombennacht 1943 in Hamburg.  Ihre konkreten  Probleme werden dadurch nicht einfacher.

Nicht alle können sich auf die Dächer ihrer Häuser retten und nicht alle von dort gerettet werden. Der Tod ist der Begleiter der Flut.

Man wird mit spannenden Familienschicksalen vertraut gemacht, lernt sehr mutige Helfer kennen, die übrigens hervorragend charakterisiert werden, ohne dass man sie heroisch überzeichnet. 

Die Rolle von Helmut Schmidt, dem späteren Bundekanzler und damals noch verhältnismäßige jungen Polizeisenator wird sehr gut in die Romanhandlung verwoben, ohne ihn zum eigentlichen Helden des Romans zu machen. Gezeigt wird, dass Helmut Schmidt die Hilfsaktion damals hervorragend koordinierte.  Lobenswert sachlich dargestellt von A. Marschall.

Wie geht man mit Katastrophen wie der hier vielschichtig beleuchteten um? Diese Frage muss man sich stellen.

Bedingungsloses Helfen ist angesagt, aber auch rasches Reagieren und kluges Koordinieren der Hilfsaktion. Wäre dies in heutiger Zeit so möglich? Die Ereignisse an der Ahr sagen NEIN.

Vielleicht noch dies: Im Anschluss an den Roman wird man mit Fakten, Fiktion und Hintergründen, den tatsächlichen Personen und der Chronologie der damaligen Geschehnisse vertraut gemacht.  Auch das ist wichtig, um den Roman in seiner Tiefe zu begreifen

Ein wirklich gelungener Roman. 

Maximal empfehlenswert.

 Helga König

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Rezension: Das späte Leben- Bernhard Schlink- Diogenes

Der von mir sehr geschätzte Autor des vorliegenden Romans ist der Jurist Bernhard Schlink, der weltweit bekannt wurde durch seinen Roman "Der Vorleser" Diesen Weltbestseller und weitere Bücher des Schriftstellers habe ich auf "Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert.

Martin, der Protagonist des neuen Romans, war vor seiner Pensionierung Hochschullehrer. Zu Beginn der Romanhandlung ist er 77 Jahre alt und Vater eines sechsjährigen Sohnes. Seine Frau, einige Jahrzehnte jünger als er, hat er an der Uni kennengelernt. Sie war keine Studentin von ihm, aber einer Freundin einer seiner Studentinnen. Machtmissbrauch also ist hier kein Thema.

Trotz des Altersunterschiedes entwickelt sich eine enge Liebesbeziehung zwischen ihm und Ulla, die als Künstlerin viel Freiraum benötigt, um kreativ zu bleiben und die sich diesen auch selbstbewusst schafft. 

Martin, der Vielleser, hat mit Ulla eine Frau an seiner Seite, deren Metier nicht Worte, sondern das schöpferische Tun als Malerin ist. Worin bestehen ihre Gemeinsamkeiten? Sind Gemeinsamkeiten in einer Liebesbeziehung zwingend notwendig?

Bei einer Routineuntersuchung stellt Martins Arzt fest, dass der 77 jährige Bauchspeichelkrebs hat und nur noch wenige Monate leben wird. Martin überlegt wie er mit dieser Hiobsbotschaft umgehen soll und entscheidet sich Ulla und seinen Sohn David nicht zu verschweigen, dass er nicht mehr lange leben wird. 

Die Leser lernen den Krankheitsprozess von Martin im Laufe des Romans kennen, zunächst seine Müdigkeitssymptome, die ihn immer wieder Schach matt setzen. Für den nicht lebensmüden Mann sind die Symptome nicht einfach in sein agiles Leben zu integrieren.

Bernhard Schlink schreibt berührend wie der kleine David sich mit dem baldigen Tod des alten Vaters auseinandersetzt und auch wie die junge Ehefrau mit diesem baldigen Ableben umgeht, vor allem, dass sie zunächst aufgrund ihrer jungen Jahre vielleicht nicht wirklich versteht. Noch geht sie ins Atelier, noch hat sich an ihrem Alltag wenig geändert. 

Martin überlegt, was er seinem Sohn über den Tod hinaus mitgeben kann und schreibt einen fast schon philosophischen Brief, von dem er hofft, dass Daniel ihn später lesen und die Gedanken seines Vaters verstehen wird. So schreibt er u.a. anderem über Gott, die Liebe und die Gerechtigkeit und über die Balance im Leben. Er schreibt auch über den Tod und resümiert, dass dieser nicht gerecht sei. Dies stellt er, ohne anzuklagen fest. 

Neben diesen Reflexionen unternimmt er viel mit seinem kleinen Sohn, während Ulla geschäftig ihren Dingen nachgeht. Der Zufall will es, dass Martin entdeckt, dass seine Frau offenbar einen jungen Geliebten hat. Er recherchiert und seine Vermutungen verdichten sich... 

Martin geht sehr sachlich mit den Gegebenheiten um, macht Ulla keine Vorwürfe, sondern besucht stattdessen diesen Mann, um mit ihm zu reden. Er ist besorgt um seinen Sohn und seine Frau und möchte sie nach seinem Ableben in guten Händen wissen…..Ihn treibt weder Wut noch Rache um, sondern die Liebe, die letztlich alles vergibt. Vielleicht ist diese Form des Liebens nur abgeklärten Menschen vorbehalten. Martin ist abgeklärt.

Diese und eine weitere Recherche im Hinblick auf Ullas Vater beschäftigen den todkranken Mann so sehr, dass er fast seine Krankheit vergisst und nur durch immer heftigere Schmerzen daran erinnert wird. Er begreift sich als Behüter in dieser letzten Lebensphase, was ihn nicht schwach erscheinen lässt. 

Was an diesem Buch fasziniert, ist die Art, wie der Protagonist sich zurücknimmt und stattdessen den Fokus auf seine Lieben legt, deren Wohlergehen ihm auch nach seinem Ableben am Herzen liegt. Martin ist frei von Larmoyanz. Ein Mann, der Herausforderungen annimmt und mit ihnen sehr erwachsen und reif umzugehen vermag...

Ob diese eine Altersfrage ist, weiß ich nicht, gewiss aber eine Frage der Nachdenklichkeit im Hinblick auf das eigene Ego.

Ein sehr packender Roman. 

Maximal empfehlenswert,

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Rezension: Lost & Found- Vom Verlieren und Finden der Liebe- Kathryn Schulz- S. Fischer




Kathryn Schulz, die Autorin dieses Buches ist Trägerin des National Magazine Award und wurde 2016 mit dem Pulitzer –Preis ausgezeichnet. Verheiratet ist sie mit der Autorin Casey Cep. Mit ihr lebt sie an der Ostküste von Maryland. 

Der vorliegende Text- ich begreife ihn als Essay, auch wenn er 300 Seiten umfasst-, ist eine Liebeserklärung an ihren verstorbenen Vater und an ihre Frau zugleich.

Im ersten Teil des Buches schreibt sie über "das Verlieren" einen geradezu philosophischen Text von großer Wortgewalt. Sie reflektiert, während sie vom Tod ihres Vaters schreibt und sein Leben den Lesern nahebringt, den Begriff "Verlust". Dabei benennt sie "das gierige Wesen" des Verlusts, von dem sie weiß, dass er unterschiedslos das Triviale und Folgerichtige, das Abstrakte und Konkrete, das lediglich Verlegte und endgültig Verschwundene umfasst. 

Wie sie an anderer Stelle weiterschreibt, empfehle es sich bei alltäglichen Verlusten, Ausgeglichenheit zu kultivieren, um eines Tages in der Lage zu sein, eine ähnliche Gelassenheit aufzubringen, wenn wir etwas Wichtigeres verlören. Ganze spirituelle Traditionen beruhten auf der Idee, sich an nichts zu binden, aus der Überzeugung heraus, dass wir lernen könnten, selbst unseren schwersten Verlusten mit Akzeptanz, Ausgeglichenheit und Anstand zu begegnen. 

Kathryn Schulz schreibt auch über das allgemein schräge, ja absurde Verhalten, das man an den Tag legt, wenn man etwas verlegt hat und es trotz langem Suchen nicht wiederfindet und begründet auch, weshalb das so ist. Etwas zu verlieren, sei etwas zutiefst Demütigendes, dass uns zwinge, unsere eigenen Grenzen anzuerkennen. Verlust könne auch Verheerung bedeuten, die auf unterschiedliche Art ganze Gemeinschaften, ja sogar große Teile der Welt treffen kann und im Vergleich alles andere unbedeutend erscheinen lassen. 

Die vielen Verluste, die mit Krankheit und Alter einhergingen, so mutmaßt die Autorin, letztlich auch am Beispiel ihres Vaters, würden uns unter Umständen helfen, mit dem letzten Verlust Frieden zu schließen. 

Immer wieder umkreist sie mit dem Verlustdenken, den Tod ihres geliebten Vaters und verarbeitet dabei diesen schweren Verlust des von ihr geliebten Menschen. Sie schreibt von ihrer Verwirrtheit, Ängstlichkeit und anderen Seelenzuständen, die sie nach dessen Tod durchlebte, zudem wie sie eine Zeitlang vieles mied, so etwa Bücher und Freude aber auch die Realität in ihrer Gesamtheit. 

Sie fühlte sich im Verlust- so als wäre der Verlust ein Ort innerhalb der physischen Welt, ein Ort an dem die Kompassnadel durchdreht. 

Kathryn Schulz denkt des Weiteren über das Trauern und die Traurigkeit, Gefühlszustände, die  Folge eines Verlustes sind, nach und ist sich bewusst, dass dann, wenn man nicht zu trauern aufhört, der Mensch, den man liebte, irgendwann nur noch aus Trauer bestehe. 

Einen geliebten Menschen zu verlieren, sei eine Erfahrung, die sich nicht auf einen Schlag verarbeiten lasse. Es gäbe Intervalle des Trauerns, doch irgendwann verändert sich etwas und es begänne die Zeit des Findens. 

Dabei gäbe es zwei Möglichkeiten, etwas zu finden: man sucht oder man hat  Glück. Diese beiden Möglichkeiten schlössen sich gegenseitig nicht aus. 

Nun reflektiert die Autorin analog zum Verlust das Phänomen des Findens und Wiederfindens und dass beim Wiederfinden es nicht nur intellektuelle, sondern auch emotionale Hinweise sind, die uns dabei helfen. Sie fragt an einer Stelle dann wie wir die Liebe finden sollen. Sie selbst hat sie immer nur durch Zufall gefunden und sie ist sich sicher, dass es sich bei ihrer großen Liebe, die sie C. nennt nicht um ihr Gegenstück handelt, sondern um einen Menschen, der in seiner Ganzheit besticht.

Mit C. endet die Trauer um den Verlust ihres Vaters. Sie überdenkt Platon, auch Dante, der das Verlieben auf den ersten Blick, modern habe wirken lassen. Kathryn Schulz, deren große Liebe eine Frau ist, macht diese Tatsache nicht zum Thema, sondern schreibt von dem geliebten Menschen, den sie gefunden hat. Dabei ist dessen Geschlecht für den Text unerheblich. 

Sie weiß; "Liebe hat, wie Trauer, die Eigenschaft einer Flüssigkeit. Sie fließt überall hin, füllt jedes Gefäß, sättigt alles." Kathryn Schulz beschreibt, wie sich die Liebe zu C. in beider Leben ausbreitet, schreibt über die Verlustängste, aber auch über die fatale Fähigkeit die Liebe zu verletzen oder zu behindern. 

Wie lässt sich die Liebe bewahren? Auch das ist ein Thema und was man tun kann, um dem Entwurf des Universums, der im Verlieren bestehe, zu entkommen. Vielleicht ist es ja die Erkenntnis, die man auf der letzten Seite des fast 300 Seite umfassenden Essay lesen kann: 

"Unser Weg ist zu kurz und wir verbringen ihn am besten damit, Zeugnis abzulegen von allem, was wir sehen: Wir ehren, was wir für wertvoll halten, wir kümmern uns, um das, was unserer Fürsorge bedarf und wir erkennen, dass wir untrennbar mit allem verbunden sind – auch mit dem, was noch nicht da ist, auch mit dem, was bereits vergangen ist. Wir sind hier, um zu wachen, nicht um zu behalten:" 

Ein großartiges Buch, das man nicht mehr aus der Hand nehmen kann, sobald man es zu lesen begonnen hat.

 Maximal empfehlenswert. 

 Helga König 

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Rezension: Rauch und Schall- Charles Lewinsky- Diogenes


Der Autor dieses psychologisch ausgeklügelten, überaus witzigen Romans ist der in Zürich lebende Charles Lewinsky. Der Schriftsteller hat bereits zahlreiche Preise gewonnen, darunter den französischen "Prix du meilleur livre étanger". Sein umfangreiches Werk erscheint in 16 Sprachen. 

Worum geht es in "Rauch und Schall"? Um den in die Jahre gekommenen  Dichterfürsten von Weimar, sprich um Johann Wolfgang von Goethe. Nach seiner Rückreise aus der Schweiz leidet er unter einer Schreibblockade und ist noch nicht einmal in der Lage ein simples Festtagsgedicht zu Ehren seines Herzogs zu Papier zu bringen. Die Zeit drängt und mit ihr wachsen die Ängste zu versagen, ja sogar schlimmstenfalls seine Privilegien zu verlieren. 

Man erlebt Goethe in seinem häuslichen Umfeld, wird mit seinem Dünkel - speziell gegenüber seinem Schwager Christian August Vulpius- konfrontiert, der zwar auch Schriftsteller aber als solcher Vielschreiber ist und sich noch dazu als Lohnschreiber verdingen muss. Goethe verachtet dessen Tun, verachtet auch dessen sozialen Status, dessen Abhängigkeiten, obschon er, wie die Schreibblockade zeigt, trotz seines Bekanntheitsgrades selbst ebenfalls nicht wirklich frei ist. 

Um keinen Ärger mit seinem Herzog zu bekommen, nimmt er das Angebot seines Schwagers an, für ihn - inkognito - das Festtagsgedicht zu schreiben, - macht sich also gemein mit Christian- ohne allerdings seine Überheblichkeit  ihm gegenüber zu minimieren. 

Im Verlauf der der Handlung lernt man  Goethes "Bettschätzchen", sprich die  geschickte Drahtzieherin Christiane näher kennen, die das Leben ihres Mannes  sehr gut managt und ihn - zwar an der langen Leine- zu seinem Vorteil "Hoppchen" machen lässt. Goethe springt letztlich brav über jedes Stöckchen, das sie ihm lächelnd hinhält...

Natürlich wird man auch immer wieder mit dem geschwätzigen Leben bei Hofe konfrontiert, wo jeder fast alles über den anderen weiß, lernt die  Machenschaften am Theater kennen und die Hofintrigen, bei denen Goethe, er ist ja nicht nur Dichter, sondern auch Staatsminister, mitunter subtil die Strippen zieht. 

Das alles stresst den Vielbegabten so sehr, dass er ausgepumpt und von sich stets Höchstleistungen erwartend, meint, nichts mehr wirklich Gutes zu Papier bringen zu können und holt sich  in seiner Verzweiflung Rat bei Christian, der es dank seiner Lebensklugheit versteht, sich und anderen aus so mancher Patsche zu helfen.  

Insofern gibt Christian auch seinem Schwager einen wirklich guten Rat, den jeder, der eine Schreibblockade hat, befolgen sollte. (Ich werde diesen Rat im Rahmen der Rezension  natürlich nicht verraten). 

Was dann folgt ist spannend zu lesen und teilweise wirklich sehr komödiantisch... 

Dass die allseits bekannten Persönlichkeitsdefizite Goethes - Selbstverliebtheit und Dünkel -  in diesem Roman charmant in Szene gesetzt werden, amüsiert gewiss viele Goethefans, die ihn wegen seiner Alterswehwehchen, die im Buch auch zur Sprache kommen, zwar amüsiert, so doch gerne bemitleiden und ihn als Gesamtkunstwerk trotz seiner Macken  gewiss weiterhin lieben werden.

PS: Schon lange nicht mehr einen solch witzigen, brillant geschriebenen Roman gelesen.

Maximal empfehlenswert
Helga König

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