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Rezension: Die Tage mit Jantien- Max Kruse

Der renommierte Schriftsteller Max Kruse erzählt eine feinsinnige Liebesgeschichte, die am 28.August 1947 ihren Anfang nimmt. Der Protagonist Florian ist ein junger, musisch begabter Mann, der u.a. Gedichte schreibt, aber aus Vernunftsgründen seinen Neigungen nicht beruflich nachgeht, sondern stattdessen die Tuchfabrik seiner Eltern wieder aufbaut.

Verheiratet ist er mit der hübschen, lebenstüchtigen Anne, die ihm beim Aufbau der Firma tatkräftig zur Seite steht. Anlässlich Goethes Geburtstag sind die beiden bei einem Grafen, dem sie geschäftlich viel zu verdanken haben, eingeladen. Der Graf verehrt Goethe und trägt ihm zum Gedenken einige seiner Gedichte vor. Da in der romantisch verschlafenen Stadt Torbruggen kulturelle Veranstaltungen selten stattfinden, sind die Gelegenheiten gering, mit Menschen zusammenzukommen, die etwas anderes denken und von etwas anderem sprechen als von ihren Geschäften, den Affären der Nachbarn und den eigenen Unpässlichkeiten, (vgl.: S.10). Trifft man auf einen Gleichgesinnten anderen Geschlechts ist die Gefahr natürlich groß, dass es funkt, nicht nur im einstmals verschlafenen Torbruggen.

Auf dieser Goethe-Gedenkveranstaltung, die Florian und Anna zunächst mit gemischten Gefühlen aufsuchen, ist auch die schöne Jantien zu Gast. Florian kennt die Kindheitsfreundin seiner Ehefrau bislang noch nicht und verliebt sich sofort in sie, weil er fühlt, dass sie ihm seelenverwandt ist. Dieser Eindruck verstärkt sich, je länger sie miteinander an dem Abend Gedanken austauschen und sich hingerissen voneinander in die Augen sehen.

Von da an entspinnen sich in den nächsten Tagen höchst subtile seelische Verwicklungen bei Klängen von Chopin und Versen von Rilke. Anne beobachtet, was mit ihrem Mann und ihrer Jugendfreundin geschieht. Anne ist recht liberal und dabei sehr bodenständig, denkt an das Geschäft und greift deshalb erst ein als sie merkt, dass Florian von seinen Emotionen davongetragen wird.

Wird die Vernunft über das Verliebtsein siegen?

Max Kruse hat einen Text verfasst, der eine beinahe lyrische Sprachmelodie enthält. Er skizziert das kleinstädtische Bildungsbürgertum der Nachkriegszeit sehr kritisch und verdeutlicht, dass in der Welt des Aufbaus nach dem Kriege eine gelebte Liebe zwischen zwei Bohemiens ein Wagnis war, das einzugehen sehr viel Mut bedurfte. .....

Empfehlenswert.


Rezension: Anatolin: Roman (Gebundene Ausgabe)

Der Autor Hans-Ulrich Treichels befasst sich in seinem neuesten biographischen Roman abermals mit seiner Kindheit und der Vergangenheit seiner Eltern, wie auch seiner Entwicklung als Schriftsteller. Indem der Westfale östlicher Herkunft das frühe Gestern gedanklich abzuwehren sucht, kann er sich davon nicht lösen. So wird es auf diese Weise zum Dauerthema. "Denn nichts rückt mir so nah auf den Leib wie das, was ich fortlaufend abzuwehren suche",(S.85), ist sich der Ich-Erzähler durchaus bewusst.
Wieso eigentlich diese Abwehr, fragt sich der Leser und ist neugierig, welche Antwort Treichel bereithält.
Obschon ich beim Lesen anfangs dachte - Mensch, Junge, jetzt ist aber genug. Der Stoff ist ausgelutscht-, wurde mir nach ein paar Seiten klar, dass das Anliegen dieses Schriftstellers auch noch ein viertes Buch vertragen kann. Unabhängig von Treichels Fans, die ihn nicht grundlos aus stilistischen Gründen schätzen, dürfte das Klientel, das sich von der Thematik angesprochen fühlt, aber nicht sehr groß sein. Leider.

Auf dem Ich-Erzähler liegt die Qual einer Kindheit in den Fünfziger Jahren, die für viele Knaben an sich schon kein Zuckerschlecken war, wegen der zumeist schwarz getünchten, braunen Despotenväter. Auch der Vater des Erzählers züchtigt seine Kinder, die sich vor seinen Grobheiten fürchten. In dieser Kindheit ist Sparsamkeit das oberste Gebot und in der Folge auch die eifrige Mithilfe im Laden der Eltern. Diese haben im Osten Hab und Gut verloren und übertragen die Ängste - nicht bestehen zu können - auf ihre Kinder. Umsatzeinbußen im Geschäft des Vaters lassen bei dem Ich-Erzähler sofort Existenzpanik aufkommen. Als Kind von Heimatvertriebenen wird der Erzähler in Westfalen nur bedingt akzeptiert. Das war normal in jener Zeit, erwies sich aber nicht als Nachteil für die Kinder von so genannten Flüchtlingen, weil sie sich in der Regel intellektuell besser entwickelten als die Kinder der Verwurzelten, so meine Beobachtung.

Noch heute geistern Wörter, wie etwa "Lastenausgleich" durch den Kopf des Erzählers, weil sie einst von den Eltern pausenlos im Munde geführt wurden. Auch das war normal, weil die Menschen aus dem Osten sich finanziell benachteiligt fühlten. Gut das er diese Normalitäten benennt, so werden sie wenigstens nicht vergessen. Optisch lies sich der vergangene Krieg an dem amputierten Arm seines Vaters festmachen.

Kriegversehrte gab es in jenen Tagen noch viele. Sie hinterließen in Kindern allgemein einen Eindruck, den Treichel leider zu wenig beschrieben hat. Darüber nachzudenken und zu recherchieren ist gewiss sehr ergiebig.
Die Eltern übermittelten dem Kind offenbar keine historischen Familienfakten, schwiegen sich, aus welchen Gründen auch immer, aus. Wo lebten seine Großeltern? Weshalb kannte er sie nicht? Was war mit den Vorgenerationen? Jahrelang hat er diese Fragen weggedrängt. Er leidet an biographischer Entleerung, wie er konstatiert.

Die unbewältigte Vergangenheit seiner Eltern holt den Ich-Erzähler heute ein. Es geht nicht darum sich die so genannte "alte Heimat" seiner Vorfahren aufzusuchen oder seinen, während der Vertreibung verloren gegangenen, älteren Bruder wieder zu finden. So lässt sich sein Vergangenheitsproblem nicht bewältigen. Deshalb auch ist es notwendig für ihn abermals zur Feder zu greifen. Die Frage, die sich stellt, ist: Macht es Sinn in einer globalisierten Welt beinahe fiebrig nach alten Verwurzelungen zu forschen? Mir scheint, der Ich-Erzähler sucht etwas anderes als er vorgibt zu suchen.

Bin neugierig auf Treichels vierten Roman zum Thema. Er wird den Leser sicher nicht im Ungewissen lassen.
Stilistisch ist auch diesen Buch wieder superb.


Rezension:Sturmflut- Margriet de Moor

Margriet de Moor erzählt in diesem spannend geschriebenen Roman die Viten zweier eng miteinander verbundener Schwestern, deren beider Leben aufgrund einer verheerenden Naturkatastrophe plötzlich einen dramatischen Verlauf nimmt.

Im Winter 1953 kommt eine der beiden Frauen - Lidy - gemeinsam mit rund 2000 anderen Menschen an der Küste Hollands ums Leben. Dort tobt zu dieser Zeit ein alles zerbersten wollender Orkan. Aufgrund widriger meteorologischer Bedingungen, sowie überalterter Deichbau- Konstruktionen wird das Poldergebiet von Zealand überflutet. Nun holt das bebende Meer sich das zurück, was die Menschen dort über viele Generationen der Nordsee mühsam abgerungen hatten.

Kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Alles geht zu Bruch. Menschen und Tiere sterben. Schließlich zerbröselt das Land aufgrund der herein brechenden Wassermassen. De Moor erzählt einfühlsam von den letzten Stunden Lidys und der Personen, mit denen sie zufällig diese Zeit teilt. Die Autorin zeigt die Angstfreiheit dieser Menschen und deren Bereitschaft miteinander, die sich pausenlos neu stellenden komplexen Probleme anzupacken. Auf diese Weise füllt sie den Begriff "Schicksalsgemeinschaft" beeindruckend mit Inhalt.

Eigentlich hätte Armanda anstelle ihrer Schwester Opfer der Ereignisse werden müssen, denn Lidy entschließt sich spontan zum Geburtstagsfest des Patenkindes ihrer Schwester nach Schouwen- Duiveland zu reisen, damit diese stattdessen zu einer Fete nach Amsterdam gehen kann. Als Folge der Ereignisse verändert sich die Lebensplanung der Studentin Armanda völlig. Sie heiratet den Mann ihrer verstorbenen Schwester und zieht deren Tochter auf. Obgleich Armanda von Sjoerd noch zwei eigene Kinder bekommt, steht ihr die Tochter ihrer Schwester immer am nächsten. Nadja bleibt stets ihr tatsächliches Kind. Armanda fühlt, dass sie im Grunde Lidys Leben weiterlebt und ihre Persönlichkeit im Jahr 1953 zu existieren aufgehört hat. Sie wird depressiv. Die Ehe mit Sjoerd zerbricht, weil der Geist ihrer Schwester immer präsent bleibt.

Armanda wird zum bedauernswerten Sekundär- Opfer der Sturmflut, denn sie glaubt das Recht auf eine selbstbestimmte Existenz verwirkt zu haben, nachdem ihre Schwester auf so unfaire Weise aus dem Leben gerissen worden ist. Armanda kann nicht aufhören sich für den Tod ihrer Schwester verantwortlich zu fühlen, vielleicht weil sie letztlich mehr an Selbstbestimmung als an eine irgendwie geartete Fremddisposition glaubt. Das ist Armandas Tragödie. Ein nachdenklich stimmender, empfehlenswerter Roman.

Überall im  Fachhandel erhältlich.