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Rezension: Die Berühmten- Römischen Schriftsteller - Lesebuch

In diesem Lesebuch werden die 30 bedeutendsten Vertreter der Literatur des alten Roms vorgestellt.

Beleuchtet werden: Plautus, Ennius, Cato d.Ä., Terenz, Varro, Cicero, Caesar, Lukrez, Catull, Sallust, Vergil, Vitruv, Horaz, Livius, Properz und Tibull, Sulpicia, Ovid, Phaedrus, Seneca, Apicius, Petron, Plinius d. Ältere, Martial, Tacitus, Juvenal, Plinius d. J. , Sueton, Gellius und Hygin.

Man erfährt immer den genauen Namen, die Lebensdaten, die literarische Gattung in der der Autor schrieb und seine Werke. Anschließend wird man darüber aufgeklärt, wer der jeweilige Autor war und was er inhaltlich verfasste. Man hat Gelegenheit, in eigens für den Band übersetzte Texte hineinzulesen, liest wie alles überliefert wurde und auch was jeweils bleibt.

Im Rahmen einer Rezension über alle 30 Autoren etwas zu schreiben, führt zu weit. Properz und Tibull beispielsweise standen für eine ganze lyrische Gattung: die subjektive Liebeselegie. Sie veröffentlichten ihre Bücher etwa 27/26. v. Chr. Eifersucht, Liebeskummer und Sehnsucht sind die Folgen von Liebe bei den beiden Dichtern. Tibull schreibt nicht grundlos: "Böser Amor! Ich wünschte, ich könnte einmal deine Pfeile, womöglich/ Auch noch den Bogen zerbrochen sehen/seine Fackeln erloschen!/Du folterst mich..."(Zitat: S. 94). Mir war bislang nicht bekannt, dass Goethe in seinen "Römischen Elegien" das Versmaß von Properz und Tibull übernahm und auch Rilke in seinen "Duineser Elegien" Anleihen bei Properz und Tibull genommen hat.

Wer Ovid war, wissen nicht nur jene, die Lateinunterricht hatten. In seinem Lehrgedicht "Liebeskunst" (Ars Amandi), erschienen im Jahre 1, lehrte der Dichter den Leser, wie und wo er beispielsweise ein Mädchen kennenlernt, wie man es für sich gewinnt und wie die Liebe bestehen und spannend bleibt, (vgl.: S. 102). Man hat Gelegenheit auch hier Auszüge aus dem Lehrgedicht zu lesen und wird mit dem letzten Vers der "Metamorphosen" konfrontiert. Ich ahnte nicht, wie stark der Einfluss der Werke Ovids auf die Kunst und Literatur des Mittelalters, der Renaissance, der Neuzeit und der Moderne war. Nicht nur in der Literatur, sondern auch in der bildenden Kunst und in der Musik kommt der Einfluss Ovids zur Geltung.

Mir gefällt, wie mit wenigen Sätzen Senecas Philosophie, die bekanntermaßen eine angewandte Ethik ist, dem Leser zugänglich gemacht wird.

Die Tatsache, dass man Gelegenheit hat, in viele Originaltextübersetzungen hineinzulesen, macht für mich das Buch besonders reizvoll, denn mir waren nicht alle Texte der Autoren geläufig. Nach der Leküre der Textauszüge werde ich gewiss den ein oder anderen Text vollständig lesen und auch rezensieren. Allen voran die Lyrik der Dichter Properz und Tibull.

Von den eingestreuten Sentenzen hat mir jene von Sallust am besten gefallen. Sie lautet: "Glück macht einen Menschen froh, Widrigkeiten machen ihn groß". Ich denke, die Sentenz ist heute so wahrhaftig wie vor über 2000 Jahren.

Empfehlenswert.

Rezension: Die Berühmten- Liebschaften der Antike- Ein Lesebuch

In diesem wirklich schönen Lesebuch werden die 28 wichtigsten Liebsbeziehungen der griechisch-römischen Antike vorgestellt, dennoch beginnt das Buch nicht mit einem griechischen oder römischen Liebesgedicht, sondern mit den "Terzinen über die Liebe" von Berthold Brecht, die ich selbst sehr schätze und an anderer Stelle bereits zitiert habe.

In der Einleitung erfährt man, dass die Autorin Angela Dierichs durch die Lebensgeschichten der antiken Liebespaare beabsichtigt, den Lesern im Hinblicks auf ihre aktuellen Liebesbefindlichkeiten Tipps zu vermitteln und dass, obschon die skizzierten Paare keineswegs heutigen Vorstellungen entsprechen.


Thematisiert werden: Alkestis und Admetos, Alkmene und Zeus, Amphitrite und Poseidon, Aphrodite und Adonis, Aphrodite und Achises, Aphrodite und Ares, Arethusa und Alpheios, Ariadne und Dionysos, Aspasia und Perikles, Baucis und Philemon, Breseis und Archill, Eurydike und Orpheus, Helena und Paris, Hera und Zeus, Hero Leander, Kalypso und Odysseus, Kleopatra und Caesar, Medea und Iason, Penelope und Hades, Poppaea und Nero, Psyche und Eros, Rhodopis und Charaxos, Roxane und Alexander, Selene und Endymion, Theodora und Justinian.


Jedes dieser Paare steht für für eine bestimmte Problematik, Kleopatra beispielsweise für die Symbiose von Erotik und Politik, Poppaea und Nero für eine Beziehung, die ein Gemisch aus Liebe, Frevel und Intrige darstellt.


Zu den einzelnen Liebespaaren erhält man konkrete Daten. Zum einen erfährt man, wer die Protagonisten sind, wie die Art ihrer Beziehung war, wieviel Kinder sie hatten und wer ihre Eltern waren. Des Weiteren werden ihr Erscheinungsbild sowie die unveränderlichen Kennzeichen skizziert und es werden die jeweiligen Wohnsitze genannt.


Anschließend wird die Liebesgeschichte vorgetragen und in der Folge kurze nachantike Seitenblicke festgehalten. Zu guter Letzt schließlich erhält man Leseproben aus Texten antiker Schriftsteller und Philosophen, die sich mit den jeweiligen Liebespaaren gedanklich befasst haben.


So schreibt Plutarch im Hinblick auf Kleopatras Reize: "Denn an und für sich war ihre Schönheit, wie man sagt, gar nicht so unvergleichlich und von der Art, dass sie beim ersten Anblick berückte, aber im Umgang hatte sie einen unwiderstehlichen Reiz und ihre Gestalt, verbunden mit der gewinnenden Art ihrer Unterhaltung und der in allem sie umspielenden Anmut, hinterließ einen Stachel. Ein Vergnügen war es auch, ihrer Stimme zu lauschen."(Zitat: S. 93)


Dieses Zitat von Plutarch macht deutlich, dass es nicht zwingend die Schönheit sein musste, um in antiken Liebesbeziehungen den weiblichen Part eingeräumt zu bekommen. Schön, attraktiv und gebildet allerdings war Aspasia aus Milet. Zwischen ihr und Perikles entwickelte sich eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, die mehr als 10 Jahre andauerte. Weil sie anders war als die Athenerinnen ihrer Zeit, versuchte man sie auszugrenzen. Sie strebte einen Salon geistvoll plaudernder Damen an, was nicht jedem gefiel. Perikles war fasziniert von ihrer intellektuellen Wachheit und ihrer charmanten Austrahlung. Linda Marie Günter, die im Buch zitiert wird, schreibt in ihrer Analyse 1994 eindeutig, dass Aspasia keine Hetäre war, (vgl.:S.49). Frauen wie ihr wurde solches in alles Zeiten gerne angedichtet.


Am berührendsten empfinde ich die Geschichte von "Eurydike und Orpheus", vielleicht weil sie so traurig ist und wie keine zweite die Geschichte einer wirklichen Liebessehnsucht zu erzählen vermag.


Das Buch lehrt uns, dass wir in Herzensdingen auf unser Herz hören sollten und dass Liebesglück selten von Dauer ist.
Empfehlenswert.


Rezension : Massimo Marini- Rolf Dobelli

Der Schriftsteller Rolf Dobelli (Top 10 Rezensent bei Amazon) setzt seinem Roman ein Zitat aus Georg Büchners "Woyzeck", 5. Szene voran:" "Süd-Nord! Ha! Ha! Ha!. O er ist dumm, ganz abscheulich dumm. Woyzeck, er ist ein guter Mensch, ein guter Mensch- aber er hat keine Moral! Moral ist das, wenn man moralisch ist." Nach dem Romanende folgt abermals ein Zitat aus Büchners Drama "Gut Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zu viel, das zehrt, du siehst immer so verhetzt aus. Der Diskurs hat mich ganz schön angegriffen. Geh`jetzt und renn nicht so; langsam, hübsch langsam die Straße hinunter."

Noch bevor ich das Buch zu lesen begann, machten mich die Zitate neugierig. Was haben diese beiden Zitate mit dem Inhalt des Buches zu tun? Gibt es Parallelen zwischen Dobellis Protagonisten und dem von Büchners Drama?

Wikipedia fasst Büchners Drama wie folgt zusammen: "Der einfache Soldat Franz Woyzeck, der seine Freundin Marie und das gemeinsame uneheliche Kind, die genau wie er am Rande der Gesellschaft leben, zu unterstützen versucht, arbeitet als Laufbursche für seinen Hauptmann. Außerdem lässt er sich von einem skrupellosen Arzt als Versuchsperson auf Erbsendiät setzen, um einen zusätzlichen Verdienst zu seinem mageren Sold zu erhalten, den er restlos an Marie (und sein Kind) abgibt. Hauptmann und Arzt nutzen Woyzeck physisch und psychisch aus und demütigen ihn in der Öffentlichkeit. Marie beginnt eine Affäre mit einem Tambourmajor. Woyzecks aufkeimender Verdacht wird durch ihm nicht freundlich gesinnte Mitmenschen geschürt, bis er Marie und den Nebenbuhler beim Tanz im Wirtshaus ertappt. Er hört Stimmen, die ihm befehlen, die treulose Marie umzubringen. Weil sein Geld für den Kauf einer Pistole nicht ausreicht, besorgt er sich ein Messer und ersticht Marie in einem Wald nahe einem See."


Noch immer hatte ich das Buch nicht zu lesen begonnen, blätterte, suchte nach einer knappen erhellenden Zusammenfassung dessen, was darüber entscheiden sollte, ob ich mich mit diesem Roman befassen werde, oder eher nicht und fand auf Seite 358 das, wonach ich suchte: "Massismos lebenslanges Experiment in Standhaftigkeit. Seine erstaunlichen Wandlungen dabei. Vom italienischen Immigrantenkind zum Züricher Gesellschaftslöwen. Vom Opernhausdemonstranten zum Opernhaussponsor. Vom Existenzphilosophen zum Bauunternehmer. Vom Tunnelbohrer zum Stradivari-Besitzer. Vom Linken zum Rechten. Vom Tiefen zum Hohen. Vom Süden zum Norden. Seine monströse Bewegung auf dem Koordinatennetz des Lebens. Und dann das Aufblitzen einer Frau, die alles zerstörte. Die Größe seines Aufstiegs und Falls. Die Chronologie der Schrecken."


Oh, dachte ich, das klingt interessant. Diesen Roman werde ich lesen.


Die Lebensgeschichte des Protagonisten Massimo Marini wird von dessen Anwalt erzählt, der von seinem Klienten fasziniert ist, weil dessen Leben alles andere als gradlinig verlaufen ist, auch weil Massimo von der Natur so viele Vorzüge geschenkt bekam- Schönheit, Intelligenz, Intellektualität, Kampfgeist, wenn es darum ging, seine Ideale oder auch einfach nur seine Ziele durchzusetzen.


Massimo ist das Kind italienischer Immigranten. Seine Kindheit in der Schweiz erlebt er in materiell schwierigen Verhältnissen. Seine fleißigen, aufstiegsbewussten Eltern schaffen es, die Schweizer Staatsbürgerschaft zu erhalten. Sein Vater macht sich alsdann als Bauunternehmer selbstständig. Massimo ist ein exzellenter Schüler- einer der besten seines Jahrgangs- , interessiert sich für Philosophie, Literatur und ist in der Schule in der Theatergruppe der Star. Mit der Rolle als Woyzeck beginnt sein Links-Rutsch. Sein Vater sieht diese Entwicklung nicht gerne, denn er möchte, dass sein Sohn, sein Unternehmen weiter- und zu noch nicht geahnten Höhen führt.


Massimo schreibt sich nach dem Abitur nicht in Architektur ein, wie er zu Hause vorgibt, sondern stattdessen heimlich in Philosophie. 1979 verlässt er Zürich, studiert ein Semester an der Sorbonne und hofft dort auf ein Wiederaufflammen von 1968. Massimo ist ein Idealist, der gegen Unrecht kämpfen möchte, der nach Sartre, Camus und Cohn-Bendit Ausschau hält und sich nach Straßenbarrikaden und Tränengas sehnt, (vgl.: S. 153). Dies alles findet er in Paris nicht und geht zurück nach Zürich, wird dort wegen der Genehmigung der kostenträchtigen Renovierung des Opernhauses aktiv, weil er die Gelder lieber in ein autonomes Jugendzentrum investiert sehen würde. Es kommt zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, er wird verhaftet. Sein Vater ist enttäuscht von ihm. Massimo geht nun nach Berlin, um sich dort in Literatur und Philosophie einzuschreiben.


Es sind nicht seine politischen Erfahrungen, die er dort sammelt, die ihn verändern, sondern es ist das private Schicksal, das hier das erste Mal zuschlägt und ihm die Frau, in die er sich verliebt hat, auf tragische Weise nimmt. Als sein Vater stirbt, er daraufhin in der Schweiz eine tatkräftige junge Mitarbeiterin im Betrieb seines Vaters heiratet, nimmt er von allem, was davor war, vermeintlich Abschied und baut mit der diplomierten Bauingenieurin die Firma seines Vaters in der Weise auf, wie dieser sich dies erwünscht hat. Massimo gibt vor, Architekt zu sein. Doch nicht darin liegt seine größte Lebenslüge, sondern im Verleugnen all dessen, was ihm einst etwas bedeutet hat.


Dass er nach 20 Jahren seine Frau wegen einer Cellistin verlässt, hängt wohl weniger mit seinem Aufstiegsbewusstsein, nun endlich zur Schweizer Oberschicht zu gehören, zusammen, wie man ihm vorwirft, sondern wohl eher mit seiner verdrängten intellektuellen Berufung. Massimo ist kein wirklicher Tunnelbauer, seine Welt ist eine geistige. Dass seine beiden Ehefrauen ihn betrogen haben, macht deutlich, dass er im Leben versagt hat und das, weil er bei allem Besitz, den er erwarb, niemals er selbst war.


Es ist erschütternd, dass alle Frauen im Buch, mit Ausnahme von Massimos Mutter, nicht treu sein können. Die Untreue der Studentin Klara und seiner Ehefrauen Monika und Julia bilden die Ursache für Massimos tragischen Lebensverlauf. Wie ist es möglich, dass ein solch schöner, intelligenter Mann im Grunde so glücklos bei Frauen ist? Hängt es damit zusammen, dass Frauen ein feines Gespür dafür haben, wenn ein Mann neben sich steht?


Die Charaktere im Buch sind sehr gut herausgearbeitet. Das trifft im besonderen Maße auch auf Julia zu, die im Alter von 35 Jahren von dem 15 jährigen Raffael, dem vermeintlichen Sohn Massimos, geschwängert wird und auch für den Anwalt, der nicht grundlos an Depressionen leidet.

Höchst interessant ist es, all die Sachinformationen zum Tunnelbau zu lesen. Hoch,- Tief- und Untertagebau war für mich bislang ein Buch mit sieben Siegeln.

Woyzeck hat weit mehr mit Massimo gemeinsam als man denkt. Nicht nur, dass beide mit der Treulosigkeit von Frauen konfrontiert werden, sondern auch, dass beide in ihrer Eigentlichkeit gedemütigt werden, macht sie einander verwandt, wenn auch nicht zu Zwillingsbrüdern.


Sehr empfehlenswert.


Das rezensierte Buch ist überall im Handel erhältlich


Rezension: Anklage - Markus Schollmeyer

Dem Klappentext dieses hervorragenden, überaus spannend zu lesenden Buches, dass ich vor allem Jurastudenten ans Herz lege, allerdings nicht nur diesen, kann man entnehmen, dass der Autor Markus Schollmeyer Rechtswissenschaften in Los Angeles, Hamburg und München studiert hat. Er arbeitet als Anwalt und betreibt neben seiner rechtlichen Arbeit Gerechtigkeitsforschung.

In seinem Buch berichtet er von einem jungen Anwalt, der mit viel Idealismus nach seinem Studium in einer großen Kanzlei zu arbeiten beginnt. Noch glaubt er an sich, noch ist er hungrig nach Gerechtigkeit. Schon bei seinem ersten Fall, bei dem es um vielfachen Kindesmissbrauch geht, überwindet er seine Ideale, weil er in erster Linie siegen möchte. Der Sieg erhöht seinen Bekanntheitsgrad, vergrößert damit auch die Chance irgendwann einmal Teilhaber in der Kanzlei zu werden. Als er den Prozess tatsächlich gewinnt, geht sein Stern in der Kanzlei auf.

Schollmeyer beschreibt den Fall des Kindesmissbrauchs und auch weitere Fälle, wie etwa den eines Menschenhändlers, dessen Interessen der junge Anwalt ebenfalls vertritt, sehr präzise und verdeutlicht, dass Mandanten, die über große materielle Möglichkeiten verfügen, sich stets erstklassige Verteidigung kaufen können, egal, was sie getan haben und dass in Großkanzleien die Gerechtigkeit schon seit langer Zeit dem schnöden Mammon gewichen ist, (vgl,: S.26).

Der Autor erklärt Einzelheiten bei Gericht, verdeutlicht, worin die tägliche Arbeit von Anwälten besteht und zeigt immer wieder die Feigheit der Menschen und ihre Gier, die dazu führt, dass die Gerechtigkeit mit Füßen getreten wird.

Ein Headhunter vermittelt den erfolgreichen jungen Anwalt in eine andere renommierte Kanzlei. Dort allerdings erlebt er im Wesentlichen nichts anderes als zuvor. Es geht immer um Geld und ein gut zahlendes Klientel. Die Klienten werden nach ihrer Liquididät ausgesucht, nicht danach, ob ihnen Unrecht geschehen ist, von dem man sie befreien möchte. Die hohe Honorarrechnung steht im Vordergrund. Eine Kanzlei ist ein Wirtschaftsunternehmen und funktioniert nach den Gesetzen der Wirtschaft. Es geht also darum, den größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Moralische Skrupel hat kaum jemand dabei.

Der junge Anwalt in Schollmeyers Geschichte ist erschüttert als er feststellt, wie die Kanzlei bei einer Betriebsstillegung reagiert, wen sie zu vertreten bereit ist und wen nicht. Es kommt der Zeitpunkt, wo für ihn das Maß voll ist und wo er den Sprung in die Selbstständigkeit wagen will. Er fragt sich eines Abends: "Bist du das? Derjenige, der sich früher mit Professoren und überhaupt jedem angelegt hat, wenn ihm etwas unrecht erschien? Derjenige, der aus Berufung Anwalt wurde? Oder bist du nur noch das Zerrbild dieses Anwalts? Derjenige, der zu feige und schwach ist, sich gegen den Druck des Geldes zu wehren? Derjenige, der den Mut und damit sich selbst verloren hat? Und sich aufgibt und sich nicht traut, sein Leben mit seinen Idealen zu leben."(Zitat: Seite 170).

Wie sich in der Folge zeigt, ist es fast aussichtslos, den steinigen Weg eines idealistischen Anwalts zu gehen und sich fernzuhalten von dem Sog der gutdotierten, aus Sicht dieses Anwalts verwerflichen Mandate, von Geschachere um Strafminderung und von der Annährung an gebräuchliche, jedoch fragwürdigen Methoden, (vgl.: S. 215). Wird dieser junge engagierte Anwalt es schaffen, einen Platz zu finden, an dem man für die Menschen und die Menschlichkeit arbeitet, nicht nur für Geld? Wird er es schaffen "die in unserer Zeit herrschende unsägliche Gier"(Zitat: S. 221) vor der Tür zu lassen?

Ein dicht geschriebenes, wirklich großartiges Buch, von dem ich hoffe, dass es auf dem Gabentisch vieler Leser liegen wird.
Das rezensierte Produkt ist überall im Handel erhältlich.

Rezension: Die Heimkehr (Gebundene Ausgabe)

Peter Debauer, der Protagonist in Schlinks jüngstem Roman, begibt sich auf Spurensuche.
Will Debauer zu Anfang noch den Autor eines Heftchenromans , den er als Heranwachsender bei seinen Großeltern in der Schweiz gelesen hat, finden, sucht er schon bald darauf nach seinem tot geglaubten Vater, als er bemerkt, dass es sich um ein und diesselbe Person handelt.


Peter lebt von Kindheit an rückwärtsgewandt, weil er seine Wurzeln nicht wirklich kennt. Seine Mutter läßt ihn in vielem im Ungewissen und erzählt Halbwahrheiten, um ihn zu schonen. Schweizer Herkunft ist Peters Vater. Seine Mutter hatte ihn einst während der NS-Zeit in Breslau kennengelernt.


Wie Peter eruiert, hat Debauer senior im Laufe seines Lebens viele Identitäten angenommen. Den Nazis stand er nahe. Er schrieb damals Traktate, in denen Begriffe wie Ritterlichkeit sophistisch in ihr Gegenteil verkehrt und für ideologische Zwecke missbraucht wurden. Rechtswissenschaften hatte der alte Debauer in Deutschland studiert und mit Heftchenromanen sich über Wasser gehalten, bevor er in die USA ging und dort unter anderem Namen als Juraprofessor Karriere machte. Frau und Kind besorgte er zum Abschied einen Schweizer Pass.


Peter, selbst Jurist, will seinen Vater kennen lernen und ihn stellen. Der rechtschaffene Sohn ist empört über das chamäleonartige Wesen seines Vaters und auch aufgebracht darüber, dass dieser als Professor es spitzfindig immer noch schafft, Begriffe unentdeckt zu verbiegen, indem er ihnen wortverdreherisch einen neuen , völlig fragwürdigen Inhalt zuordnet.


Worin liegt der Nutzen von Gerechtigkeit? Bei wieviel Kälte, Hunger, Druck, Angst ist der Lack der Zivilisation ab? Ab wann verraten sich die Menschen? Was ist das Böse? Muss man dem Bösen ins Auge schauen, um es in sich selbst und in anderen zu erkennen? Hat das Böse im vergangenen Jahrhundert aufgehört zu existieren oder lebt es fort solange es Menschen gibt? Das sind die Fragen mit denen sich Peter auf der Suche nach der gedanklichen Ausrichtung seines Vaters auseinandersetzt. Während er die Antworten auf diese Fragen findet, beginnt der stets rastlose Sucher ruhiger zu werden.


Um wirklich heimzukehren, muss man eine Reise, die auch ein intellektueller Prozess sein kann, tatsächlich abgeschlossen haben. Das macht Barbara, Peters kluge Freundin, ihm immer wieder klar. Während Barbara ihm hilft sein ungeklärtes Gestern aufzuhellen und es Peter in diesem Zusammenhang gelingt, essentielle ethische Problemstellungen gedanklich zu durchforsten, ermöglicht er es sich zu der Frau, die er liebt, uneingeschränkt heimzukehren, ganz anders als Odysseus einst zu Penelope.



Rezension:Die Fabrikanten. Roman einer Familie (Gebundene Ausgabe)

Lis Kahn, die Ich- Erzählerin, ist Tochter aus einer weit verzweigten Unternehmerdynastie, die sich über Generationen mit der Verarbeitung von Holz beschäftigt. Damit der, zum Erzählzeitpunkt marode Betrieb eine Überlebenschance erhält, bricht Lis ihr Studium unmittelbar vor ihrem Examen ab, trennt sich von ihrer großen Liebe und übernimmt einen Teil der Schulden ihres Vaters, um fortan eine nicht sonderlich florierende Buchhandlung auf dem familiären Betriebsgelände, irgendwo im Schwarzwald zu betreiben.
Mit dieser selbstlosen Entscheidung befindet sie sich in guter Gesellschaft mit vielen anderen weiblichen Familienmitgliedern. So gab es u.a. eine talentierte Malerin, auch eine hervorragende Pianistin und eine Vorfahrin mit politischen Ambitionen, die sich dem Familiendiktat zu fügen hatten. Trotz sachkundig seelischer Betreuung seitens ihrer besten Freundin Emma, einer Psychologin, gelingt es Lis nicht, sich dem elterlichen Wunsch - zurück in den Schwarzwald zu gehen - zu entziehen und dies, obgleich sie als Tochter im Grunde nicht die erste Wahl verkörpert. Der eigentliche Favorit ihrer Eltern bleibt ihr Bruder Lazi, der "Stammhalter"! All zu sehr hat man Lis immer wieder eingetrichert, bloßes Glied einer Kette zu sein. Wird die junge Frau sich von ihrer Familie emanzipieren können?
Der Leser erfährt von der langen Geschichte des Kahn- Clans, der im Floßhandel Reichtum erwarb, später holzverarbeitend tätig wurde und es dann lange blieb. Konjunkturelle Schwankungen, Fehlentscheidungen, Höhen und Tiefen innerhalb der Firma werden immer wieder skizziert und machen Wirtschaftsgeschichte greifbar.
Außerdem wird von den lukrativen Erfindungen gesprochen, wie etwa dem Bierdeckel oder viel früher noch vom sogenannten "Nachttopfuntersetzer".
Wann ist "la Fortune perdu"? Gibt es diesbezüglich einen Zusammenhang zum wirklich persönlichen Wollen? Was bedeutet der Begriff "Segen"? Wodurch entsteht diese vielbeschworene Gnade? Welche Chance haben Familienunternehmen in einer Zeit, in der Familien im herkömmlichen Sinne sich aufzulösen beginnen? Das sind die Fragen, die Sybille Mulot in ihrem Roman anreisst, oder die sich aus ihm ableiten lassen.
Ein großartiger Roman, der sich kundig mit gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu Zeiten unterschiedlicher Epochen auseinandersetzt und vergnügliche Lesestunden bereitet.





Empfehlenswert!



Rezension:Das Bonus-Geheimnis: und andere Geschichten aus der Business Class (Gebundene Ausgabe)

Martin Suters ironische Kurzgeschichten aus dem gehobenen Management verdeutlichen, dass diese Hierarchieebene noch immer eine Männerdomäne ist, in der vermeintliche Alphamänner in einem geradezu neurotischen geführten Wettbewerb zueinander stehen und darum streiten, wer hier eigentlich der Erfolgreichste von allen ist.

Ihr Erfolg bemisst sich am Geld, an den Gehältern, bemisst sich aber auch an der Höhe ihres Bonus, den ein jeder am liebsten an die große Glocke hängen möchte. Schließlich möchte man zeigen, welch toller Hecht man ist. Statussymbole, wie entsprechende Automobile, klischeehaftes Verhalten - man raucht Cohibas und trinkt uralten Armagnac- sind den Jungs wichtig. Damit verdeutlichen sie, dass sie dazugehören. Ihr Habitus ist geradezu unerträglich stromlinienförmig. Wie Lemminge laufen sie alle in eine Richtung, weit davon entfernt, wirkliche Alphamänner zu sein.


Woran es ihnen fehlt ist Individualität und Kreativität, woran es mangelt ist die Fähigkeit, in der Krise ihren Mann zu stehen. Krisenmanagementaufgaben werden in der Regel an externe Berater vergeben. "Ab einem gewissen Gehaltsniveau stellt sich die Frage der Qualität nicht mehr."( Zitat: Suter)


Suter macht unmissverständlich klar, dass wirkliche Freundschaften unter Kollegen auf der leitenden Angestelltenebene nicht funktionieren. Alle strampeln um die Gunst des Eigentümers einer Firma, der, wenn er intelligent genug ist, es bestens versteht, seinen Vorteil aus dem Konkurrenzgerangel zu ziehen.


Frauen erlebt man in Suters Geschichten als Ehefrauen oder Sekretärinnen, denen sich die Jungs gerne unterwerfen, sofern sie ihr Leben organisieren und ihre Wunden lecken, welche oftmals sehr schmerzen, denn im Kampf um die Position in der Hierarchie sind alle Mittel erlaubt. Hinterhältigkeiten jedweder Art werden eingesetzt, um hierarchisch zu punkten. Kooperation scheint ein Fremdwort zu sein.


Gerade in Zeiten der Krise ist es aber notwendig, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und zwar in die gleiche Richtung. Suters wenig frohe Botschaft aus dem Buch lautet: Die Jungs haben es noch nicht begriffen. Sie haben leider nicht in erster Linie die Sache- das Wohl der Firma-, sondern nur die Befriedigung ihres Egos im Kopf. Die Ergebnisse solchen Handelns darf man derzeit täglich in den Wirtschaftnachrichten verfolgen.


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Rezension:Aussicht auf bleibende Helle: Die Königin und der Philosoph (Gebundene Ausgabe)

Renate Feyls Protagonisten in diesem historisch-philosophischen Roman sind die preußische Königin Sophie Charlotte und der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz.

Die beiden Personen verband eine intellektuelle Beziehung, die von der Autorin als "mariage mystique" stilisiert und vielschichtig thematisiert wird.

Vermählt war Sophie Charlotte mit dem preußischen König Friedrich I, den sie einst als Kurfürst Friedrich III von Brandenburg geheiratet hatte. Dieser Gatte war offensichtlich ein stark auf Prunk und Statussymbole fixierter Mensch, der der Wissenschaft und der Philosophie nur dann etwas abgewinnen konnte, wenn dadurch sein Ansehen bei anderen Herrschern vergrößert wurde. Als Zeitgenosse des Sonnenkönigs Ludwig XIV war er in Vielem ganz Kind seiner Zeit und erfreute sich am liebsten am Jagdvergnügen.

Sophies Sohn war der spätere Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. Schon während seiner Kindheit und Jugend irritierte er seine Mutter durch seine starke Neigung zum Militarismus und zum Geiz. Sophie unternahm aber keinen ernsthaften Versuch, ihren Sohn umerziehen zu lassen, sondern ließ den Dingen scheinbar ihren natürlichen Lauf.

Sowohl Sophies Gatte als ihr Sohn blieben ihr wesensfremd. Feyl läßt ihre Protagonistin resümieren, dass ihre Ehe weder glücklich noch fruchtbar gewesen sei.(vgl. S. 200)

Sophie Charlotte war geistig von anderem Kaliber als ihr königlicher Gemahl.

Die Hofzeremonie und all die Repräsentationsspiele, auch die barockenen Gourmetmartyrien ließ sie notgedrungen über sich ergehen, wie die Autorin breitgefächert und amüsant auszuführen weiß. Aber Sophie hatte darüber hinaus intellektuelle Erwartungen ans Leben. Ihr Tendre war die Philosophie.

Geistige Interessen lagen in ihrer Familie. Ihre hochgebildete Mutter hatte schon früh den Mathematiker und Philosphen Leibniz nach Hannover geholt, wo ihn Sophie kennengelernt hatte.

Gottfried Wilhelm Leibniz, der Begründer höherer Mathemathik hatte u.a. Studien vorgelegt, wie man den Seidenanbau entwickeln könne. Er hatte eine Abhandlung über Steuern und eine Denkschrift zur Aufhebung der Leibeigenschaft verfasst, Reformen für die zentrale Gemeindeverwaltung konzipiert und sogar ein Konzept für die Beleuchtung der Residenzstädte entworfen und sich dabei immer und immer wieder mit Philosophie beschäftigt.

Leibniz traf sich regelmäßig mit Sophie Charlotte in "Lietzenburg" und sprach dort mit ihr in erster Linie über philosophische Themen, wie die Autorin den Leser wissen lässt.

Das "Prinzip des Widerspruchs" und "das Prinzip des Grundes" werden im Roman von den beiden Intellektuellen ebenso erörtert, wie der Gottesbegriff. Beide möchten die Bestrebungen der Vernunft unterstützen und gründen in Berlin die "Societät der Wissenschaften". Kepler, Bruno, Galilei, Bacon, Decartes, Spinoza, Hobbes und Locke sind für sie ein Thema. Aber Sophie denkt auch über den Ursprung und die Macht von Vorurteilen nach. Ihr Ziel ist es bleibende Helle zu schaffen und sie ist überzeugt, dass ihr dies gemeinsam mit Leibniz gelingen wird.

Während ihr Gemahl mit seiner Protokollmaitresse täglich eine Stunde in der Öffentlichkeit spazieren geht, eröffnet Leibniz seiner Königin, dass er dabei sei, eine Theodicee zu schreiben, aus der u.a. hervorgehe, wie man die Übel der Welt überwinden könne. Der Philosoph verspricht Sophie alsbald ein druckfrisches Exemplar zukommen zu lassen......

Ein wunderbarer, gedanklich tiefgehender Roman.
Empfehlenswert!


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Rezension:»Ich hatte tausend Leben und nahm nur eins«: Ein Brevier (Gebundene Ausgabe)

Nootebooms Brevier "Ich hatte tausend Leben und nahm nur eins" beinhaltet bemerkenswerte Gedanken und Gedichte dieses sehr nachdenklichen niederländischen Schriftstellers.

Das mehrseitige Vorwort zum Buch hat Nootebooms langjähriger Freund Rüdiger Safranski geschrieben. Er auch hat die Texte ausgewählt. Das Vorwort endet mit der Bemerkung:

"Diese Auswahl präsentiert Nooteboom als Romantiker mit und ohne Ironie, als philosophierenden Poeten, als politisch wachen Zeitzeugen, als Liebhaber von Orten, als Reisenden und als Schriftsteller, der den Zusammenhang zwischen den wirklichen und den imaginären Reisen nicht nur bedenkt, sondern lebt. Auf Nootebooms Spuren kommt man jedenfalls weit herum."

Cees Notebooms Grundthemen in seinen Büchern und Reisebeschreibungen sind das Erleben der Zeit, der Tod und der Prozess des Schreibens als eine Möglichkeit zum Entwurf gleichsam neben der Realität gültiger Wirklichkeiten.

Bevor ich mich in seine Gedanken zu Bildern, Porträts, Charakteren, auch in seine Frage: "Warum Reisen? " und in weitere Gedanken zu Zeiten, Wegen, historischen Augenblicken, Europäischem, Schreiben, Lesen sowie Lieben vertieft habe, las ich zunächst seine Geistesblitze.

Zu jedem einzelnen Bonmot könnte man einen Besinnungsaufsatz schreiben, doch das würde an dieser Stelle zu weit führen.

Wie viel Dankbarkeit und positive Erfahrung mit der Liebe impliziert der Satz " Wer einmal die Gestalt eines Verliebten angenommen hat, isst und trinkt alles, Teller voll Disteln, Fässer voll Essig "? Wie viel Selbstbeobachtung aber auch gutmütige Akzeptanz gegenüber dem Eigenleben von Gedanken lässt die Sentenz " Die Erinnerung ist wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er will " erkennen?

Mit jedem einzelnen Geistesblitz zeigt Nooteboom wie tief er über Fragen des Lebens und anderes mehr reflektiert hat.

Wer in der Lage ist in einem knappen Satz all das zu äußern, wofür nicht wenige viele Seiten benötigen, beweist, dass er kein selbstdarstellerischer Schwätzer ist.

Nooteboom ist im Laufe seines Lebens weise geworden. Seine Weisheit beruht auf harter Arbeit an sich selbst und auf seiner brillanten Beobachtungsgabe. Das wird bei der Lektüre des Büchleins unzweifelhaft deutlich.

Der Niederländer beschreibt mit großem Einfühlungsvermögen Gemälde, Bilder und Filme. Besonders gefallen haben mir seine Gedanken zu einem Gemälde, auf dem die preußische Königin Luise von Preußen verewigt worden ist. Nooteboom sagt an einer Stelle, die mich sehr berührt hat, " Ich kenne keine Frau, die so schauen kann. Sehr verwirrend. Dieser Blick ist ausgestorben ". Vielleicht ist im 20. Jahrhundert der einstige Liebreiz von Frauen auf der Strecke geblieben, weil sich ihre Träume verändert haben, wer weiß... Vielleicht ist die Zeit der Unschuld vorbei, wer weiß....

Der Schriftsteller denkt über alte Fotographien nach und setzt sich u .a. mit Ingmar Bergmanns Film " Wilde Erdbeeren " auseinander, den ich vor kurzem rezensiert habe. Nootebooms subtile Betrachtungen zu dem Film haben mich begeistert.

Im Rahmen seiner Portraits und Charaktere bin ich auf eine gedankliche Miniatur gestoßen, die ich meinen Lesern nicht vorenthalten möchte, weil sie gewiss sehr neugierig auf das Buch macht: " Was machen wir mit den Menschen, denen wir begegnet sind? Sind sie es, die wir manchmal in unsren Träumen sehen? Gesichter, von denen der Name sich abgewetzt hat? Haben sich Spuren von ihnen erhalten?.........Wo bleibt das alles? "

Solche Fragen zu beantworten, fällt nicht leicht. Das setzt voraus, dass man sich mit der eigenen Psyche intensiv auseinandersetzt.

Nootebooms Reisebetrachtungen haben mich beeindruckt, auch seine Erinnerungen an historische Augenblicke.

Wie schade, lieber Herr Nooteboom , dass Sie Weimar in so unangenehmer Erinnerung behalten haben. Reisen Sie abermals nach Thüringen. Sie werden überrascht sein über das Neuerwachen der alten Dichtermetropole.:-)

Ich kannte den Lyriker Nooteboom bislang noch nicht und sehe jetzt, was ich versäumt habe.

"Alles von dir werd ich vergessen, außer dich/....Durch dein Bildnis hindurch seh ich die flehende Sehnsucht,/ aus der wir vertrieben sind./....

Ein wunderbarer Poet und überaus nachdenklicher Schriftsteller.




Rezension:Mouches Volantes: Die Leuchtstruktur des Bewußtseins (Taschenbuch)

Floco, der Ich- Erzähler, berichtet von seinen Erfahrungen, die er im Hinblick auf die Erweiterung seines Bewusstseins gemacht hat. Er lernt im Emmental in der Schweiz einen Mann namens Nestor kennen, der ihn über Jahre mit Methoden vertraut macht, deren Ziel es ist, das eigene Bewusstsein in eine intensivere Richtung zu entwickeln, um auf diese Weise offener und kreativer zu werden.

Zunächst lernt Floco mit seinen Körperenergien sinnvoller umzugehen. Floco ist ein Stadtmensch - er kommt aus Bern - und führt normalerweise ein völlig anderes Leben als Menschen, wie Nestor und seine Bekannten im Emmental. Floco stellt auf Anraten Nestors seine Ernährung um, bewegt sich intensiver und beginnt richtig zu atmen. Durch richtiges Atmen und intensivere Bewegung, wie etwa Tanzen jenseits des vorgegebenen Taktes, werden Energieblockaden aufgelöst. Neue Energie kann aufgebaut und dann wieder abgegeben werden.


Lebensenergie, so lehrt Nestor ihn, soll nicht an materielle Gedanken, Vorstellungen und Gefühle gebunden werden, vielmehr soll sie in das sogenannte Gesamtbild einfließen. Floco lernt die Grundstruktur dieses Gesamtbildes kennen, zweifelt jedoch stets an dem, was er von Nestor erfährt oder selbst sieht. Er nimmt diese Grundstruktur durch "Mouches Volantes", kleine Partikel, die sich durch Konzentrationsübungen in seinen Augen gebildet haben, wahr. Es handelt sich offenbar um Fäden und Kugeln, die als eine Art Leuchtstruktur zu den tieferen Schichten des Bewusstseins führen und begreifen lassen, dass hinter allem, was ist, das reine Licht steht, dessen Leuchtkraft und Glanz man um so intensiver sieht, je mehr man sich von allen Anhaftungen frei gemacht hat.


Der Autor hat die Landschaft des Emmental in ein ganz besonderes Licht getaucht, nicht zuletzt, weil er sie mit viel Liebe beschrieben hat. Darüber hinaus verdeutlicht er dem Leser, dass der Sinn des Seins nur darin bestehen kann, das ewige Licht als das hinter allem stehende zu erkennen und dass die persönliche kleine Welt der materiellen Gedanken, Vorstellungen und Gefühle im Grunde lächerlich sind im Verhältnis zu dem großen, ewigen, lichtdurchfluteten Gesamtbild.


Die Folge dieses spirituellen Erkennens kann im Grunde nur Demut sein!






Rezension: Alexandria 642. Roman des antiken Weltwissens

Der französische Astrophysiker Luminet hat einen Roman geschrieben über die berühmte Bibliothek von Alexandria. Dort haben tausend Jahre lang Naturwissenschaftler, Philosophen und andere Gelehrte sich bemüht, Kenntnisse jedwelcher Art zusammenzutragen. Durch dieses Wissen hat die Welt ein anderes Antlitz erhalten. 642 n. Chr. wurde die Bibliothek möglicherweise auf Geheiß eines ungebildeten, machthungrigen Kalifen in Brand gesetzt und zerstört. (Der Autor schreibt in seinem Nachwort, dass er sich ganz bewusst gegen die Form des historischen Essays entschieden habe, als er sich Gedanken darüber machte, wie er den Gegenstand der Betrachtung dem Leser nahe bringen solle, da letztlich "keine historische Wahrheit über jene ferne Zeit gesichert sei.")

Ausgangssituation des Romans ist die Eroberung Alexandrias duch Amr ibn al-As im Jahre 642 n. Chr. Dieser beduinische Feldherr soll im Auftrag seines Herrn die Bibliothek vernichten, weil sie den Allmacht - Vorstellungen des Kalifen zuwider läuft. Drei Gelehrte der Bibliothek versuchen eloquent und feinsinnig dem intelligenten Amr das geplante Vorhaben auszureden und ihn mit Argumenten zu versorgen, die ihn befähigen, seinen Herrn zu überzeugen von der Unsinnstat abzusehen.

So beginnen sie über die tausendjährige Geschichte der Bibliothek zu berichten, erzählen von den hochgeistigen Menschen, die sich dort über Jahrhunderte aufgehalten haben und erläutern welche Werke hier entstanden und beherbergt sind. Der Leser begegnet dem großen Mathematiker Euklid, hört von Aristarch von Samos, der lange vor Kopernikus erkannte, dass die Erde sich um ihre Achse und um die Sonne dreht. Archimedes und der Universalgelehrte Eratosthenes aus Kyrene bleiben nicht ausgespaart, letzterer hat u.a. die Primzahl entdeckt und die Grundlagen der Geographie erfunden. Dichter, wie Kallimachos und Aristophanes werden genannt, aber auch die Erkenntnisse des bedeutenden Astronomen Klaudios Ptolemaios kommen zur Sprache. Zudem ist von der Mathmatikerin und Philosophin Hypatia von Alexandria die Rede, die als Märtyrerin religiöser Intoleranz gegenüber den Naturwissenschaften ihr Leben lassen musste. Die Beschreibung dieser ungewöhnlichen Frau ist, nebenbei bemerkt, besonders beeindruckend. Unabhängig von den Glanzleistungen der vielen Denker, zeigt Luminet welchen Betrachtungswinkel die Herrscher der jeweiligen Zeit der Bibliothek gegenüber eingenommen haben. Die Klugen unter ihnen nutzten das in der Bibliothek aufbewahrte Wissen, um ihr Land zu modernisieren und zur Blüte zu bringen. Die Bornierten fügten, wenn sich ihre Dummheit mit Bosheit paarte, dem Ort des Wissens immer wieder Schaden zu. So auch 642 n.Chr., als es dem diesbezüglich glücklosen Amr, trotz stichhaltigster Argumentationskette, nicht gelang seinen Herrn davon zu überzeugen, dass diese Fülle von Kenntnissen für ihn von Vorteil sein könnte...

Der Untergang der Bibliothek von Alexandria wird von Jean- Pierre Luminet eindrucksvoll und spannend geschildert. Wer auch immer das antike Weltwissen zerstört haben mag, es muss ein boshafter, ignoranter Entscheider gewesen sein. Vielleicht sind Personen dieser Art in allen Jahrhunderten die schlimmste Heimsuchung für Menschen, die guten Willens sind.

Kurzer Nachtrag: Interessant sind im Anhang die sogenannten gelehrten Fußnoten, die längst Vergessenes aus dem Physikunterricht wieder in Erinnerung bringen.

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Rezension: Schattenhochzeit

Der auf der Insel Kreta geborene amerikanische Wissenschaftler Kyriakos Roussias besucht nach Jahrzehnten die Orte seiner Kindheit. Bei diesen handelt es sich um abgelegene Dörfer auf besagter griechischen Insel. Hier leben die Menschen primär von Schafzucht und weisen in ihrem Habitus offenbar noch recht archaische Züge auf. Roussias hat jene, ihm eigentlich nie vertraute Welt während seines Aufenthaltes in den USA allmählich verdrängt. Außer einigen folkloristischen Abenden mit entsprechender Musik und einer Menge "Raki", sowie sporadischen Telefonaten mit seiner alten Mutter hat er seine Herkunft aus seinem jetzigen Leben verbannt. Hierfür gibt es nachvollziehbare Gründe! Im Laufe der vergangenen fünfzig Jahre mußte Roussias Familie allein sieben Angehörige betrauern. Opfer der Blutrache sind sie alle geworden; mit anderen Worten sie haben sich gegenseitig umgebracht.

Die Autorin erzählt von kargen Landschaften und kleinen Ansiedlungen, von Hirten und deren Mühsal, von irritierender Rückständigkeit, von archaischer Lebensweise. Die geschilderten Menschen sprechen nur wenig miteinander. Missverständnisse werden insofern nicht aus dem Weg geräumt. Die Folge ist Streit, schon aus geringfügigem Anlaß; das Ergebnis: Familienfehde!

Die Männer dieser Region haben ein düsteres Auftreten, schwarzbekleidet, bis zu den Zähnen bewaffnet, gehören sie im Grunde einer vergangenen Welt an. Sie gehorchen frühzeitlichen Regeln, die im Widerspruch stehen zu den staatlichen Gesetzen. So verbringen sie einen Großteil ihres Lebens im Gefängnis, ohne sich tatsächlicher Schuld bewußt zu sein. Getrieben von rachelüsternen Frauen, gehorchen sie den alten Gesetzen der Familienfehden.

Auch Roussias Vater war Mörder und Opfer der Blutrache zugleich und stellt eine schwere moralische Bürde für den Sohn dar, der selbst mit seinem besten Freund über diesen Sachverhalt nicht sprechen kann. Das Inselgesetz fordert von ihm, dass er den Mord an seinem Vater rächt. Wie Roussias mit der an ihn gestellten Forderung umgeht, insbesondere als sich diese während seines Inselbesuchs erheblich verdichtet, lesen Sie auf den letzten Seiten des packend geschriebenen Romans....!

Ioanna Karystiani hat ein interessantes Buch geschrieben, das sich nicht zuletzt mit der Frage beschäftigt, ob man die mögliche Kluft zwischen Herkunft und späterem Leben so schließen kann, dass das Ergebnis Versöhnung zum Inhalt hat? Die Autorin findet eine Antwort, nachdem sie den Leser "mit Kreta", dem "Minenfeld verhängnissvoller Momente", vertraut gemacht hat.

Ein lesenswerter Roman!

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Rezension:Die Aspern-Schriften (Gebundene Ausgabe)


Ein amerikanischer Literaturwissenschaftler reist im vorletzten Jahrhundert nach Venedig, um dort Kontakt aufzunehmen mit der mittlerweile steinalten Muse eines berühmten, längst verstorbenen Dichters. Die hochbetagte Dame bewohnt gemeinsam mit ihrer blassen, auch nicht mehr taufrischen Nichte, die ihr gewissermaßen als Nurse zu Seite steht, einen morbiden Palazzo und hält sich ganz bewusst von ihren Mitmenschen fern. Die Greisin lebt mit ihren Erinnerungen, was konkret heißt, sie lebt mit den Briefen des toten Dichters Aspern. Dem jungen Literaturwissenschaftler gelingt es - inkognito - sich bei den verschrobenen Damen einzumieten. Auf diese Weise hofft er,  an die der Öffentlichkeit noch fremden Aspern-Schriften zu gelangen. Den Preis, den der Mann für die begehrte Habe zahlen soll, ist ungewöhnlich und erfordert eine baldige Gewissensentscheidung ...

Eine hervorragende Erzählung mit einem sehr interessanten Nachwort von Bettina Blumenberg. Sie lässt den Leser wissen, dass der Erzählung eine Anekdote aus Florenz zugrunde liegt und berichtet in der Folge über diese kleine Begebenheit. Auch weist Blumenberg darauf hin, dass Henry James durch seinen Text der Dichter Lord Byron, Shelley und Puschkin gedacht habe. Die Botschaft des Schriftstellers lautet,  ein Leben sei freudlos und verfehlt, wenn es sich fern von allem abspielt, was reizvoll sein könnte und so trete anstelle eines solchen Lebens die Kunst!

Ein empfehlenswertes Buch, das zum Nachdenken anregt.

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Rezension: Leviathan SZ-Bibliothek Band 43

Die in diesem Roman dargestellten Ereignisse finden in einer französischen Kleinstadt zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts statt. Der mittellose, völlig unscheinbare Hauslehrer Gueret verliebt sich in die junge, schöne Angele. Nachdem er erfährt, dass diese Frau für ihre Tante, einer in jeder Beziehung heruntergekommenen Restaurantbesitzerin, als Gelegenheitsprostituierte tätig ist, rast er vor Eifersucht und begeht, wie im Rausch, zwei schwere, kriminelle Straftaten.
Zunächst misshandelt er, ohne dies wirklich zu wollen, Angele folgenschwer. Dies führt dazu, dass sie dauerhaft ihre Schönheit verliert. Anschließend tötet er auf der Flucht vor seiner Tat einen alten Mann aus Panik. Dann versteckt er sich. Als ihm zu Ohren kommt, dass die von ihm erschlagen geglaubte Angele lebt, zieht es ihn erneut an den Ort des Geschehens zurück. Gueret erscheint das, was er getan hat, unwirklich. Der unwillentlich agierende Täter nimmt die Täterschaft nicht an und kann deshalb noch nicht einmal Reue empfinden. In gewisser Hinsicht verdrängt dieser Mann seine Taten sogar. Er möchte mit Angele zusammen sein und irgendwo in der Fremde gemeinsam mit ihr ein neues Leben beginnen. Diesen Wunsch unterbreitet er der jungen Frau, die ihn wegen seiner Tat zutiefst verabscheut, aber ihn dennoch nicht der Justiz ausliefert. Sie unterlässt dies wohl deshalb, weil sie sich von seiner Zuneigung trotz allem angezogen fühlt und ihn aufgrund dessen schützen möchte. Angele erbittet sich Bedenkzeit.....
Unterdessen bemühen sich die Kleinstadtbewohner darum, den Tatverdächtigen aufzuspüren. Zwei ortsansässige Damen, die mit ihrem Älterwerden nicht zu Rande kommen, haben persönliche Interessen die Ereignisse nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern den potentiellen Täter Gueret der Polizei ausliefern. Sowohl die selbstsüchtige Restaurantbesitzerin Madame Londe als auch die zum Sadismus neigende, unzufriedene Ehefrau des reichen Geschäftsmannes Grosgeorge bemühen sich aus nicht unbedenklichen Motiven Gueret hinter Gitter zu bringen. Das heisst, beiden geht es nicht darum, dass ein Täter für seine kriminellen Handlungen zur Verantwortung gezogen wird, sondern sie haben ausschliesslich Projektion, Rache und Genugtuung im Sinn.
Julien Green beschreibt in seinem dichten, bedrückenden Roman vor allem die Phänomene: Bosheit, Kälte und Mitleidslosigkeit. Diesen menschlichen Abgründen stellt er die Liebe als Hoffnungsträger gegenüber. Sie allein bietet die Möglichkeit zu verzeihen, selbst dort, wo es dem unbeteiligten Dritten mitunter kaum möglich ist, dies zu verstehen.


Ein brillant geschriebener, großer, zeitloser Roman.





Rezension:Das Paradies ist anderswo: Roman (Gebundene Ausgabe)

Vargas Llosa hat einen unglaublich facettenreichen Roman verfasst, über zwei außerordentliche Menschen, die im vorletzten Jahrhundert - jeder auf seine Weise - das Paradies auf Erden suchten, bzw. gestalten wollten.

Erzählt werden die Lebensgeschichten zweier unangepasster Personen: zum einen die Vita der Sozialreformerin und Frauenrechtlerin Flora Tristan, zum anderen das Leben ihres Enkelsohnes Paul Gauguin, dessen impressionistische Gemälde erst nach seinem Tode weltweite Anerkennung fanden.


Nach schwerer Kindheit in überaus ärmlichen Verhältnissen und einer fürchterlichen Ehe mit einem gewalttätigen, ihr gewissermaßen aufgezwungenen Mann, flieht Flora Tristan zunächst nach Peru, in das Land ihrer väterlichen, sehr begüterten Herkunftsfamilie. Doch sie findet dort keine wirkliche Ruhe und ist empört, ob der dort vorherrschenden sozialen Mißstände. Flora kehrt zurück nach Frankreich, engagiert sich in der Arbeiterbewegung und kämpft zeitgleich für die Emanzipation der Frau. Sie reist nach London, hält flammende Reden gegen die inhumanen Auswüchse der Früh -Industralisierung, so unter anderem in Paris, Lyon sowie Bordeaux und veröffentlicht 1835 "Weite Reisen einer Paria", 1840 "Spaziergänge in London", 1843 "Arbeiterkampf". Sie rebelliert gegen die Gesellschaft und nimmt die Ideen von Karl Marx vorweg. Als sie im Alter von einundvierzig Jahren an Erschöpfung stirbt, hat diese, sich keineswegs schonende Idealistin das Paradies auf Erden leider nicht gefunden...!


Ihr Enkelsohn Paul Gauguin arbeitet zunächst als Börsenmakler und ist in seinem bürgerlichen Beruf sehr erfolgreich. Er heiratet die Dänin Mette S. Gad. Aus dieser Ehe gehen fünf Kinder hervor. Durch Claude Emile Schuffenberger wird er an die Kunst herangeführt und beginnt zu malen. Sein Leben nimmt nun einen anderen Verlauf. Er trennt sich von Mette, erleidet, nachdem er seinen Brotberuf aufgegeben hat, finanzielle Not, lässt sich aber von seiner Leidenschaft nicht abbringen. Beeinflusst vom Maler Camille Pissarro versucht er Gesetzmäßigkeiten der Farbe analog der Musik aufzustellen. Er zieht sich in die bretonische Landschaft zurück und gelangt dort zu eigenständigen Ausdruckswerten. 1887 reist er mit seinem Freund Laval nach Panama und beginnt auf Martinique breitflächig zu malen. Er kehrt zurück nach Frankreich, trifft in Arles auf van Gogh. Die beiden Maler arbeiten zusammen, schätzen sich und doch kommt es zu Auseinandersetzungen, die dazu führen, dass Gauguin fluchtartig in die Bretagne zurückreist.


1891 geht der Künstler, der jetzt in Paris als Haupt der symbolistischen Schule gefeiert wird, für zwei Jahre nach Tahiti. Dort malt er die Eingeborenen, mit denen er zusammenlebt. Eine Affinität zu sehr jungen Mädchen wird deutlich. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten kehrt er nach Frankreich zurück und stellt seine Gemälde in Paris aus. Er errichtet ein Atelier in der Rue Vercingetorix, lebt mit einer Farbigen zusammen, die sich alsbald von ihm trennt, sein Atelier ausräumt und Gauguin mittellos zurücklässt. Nach der Notversteigerung vieler seiner Gemälde verlässt der Maler seine Heimat für immer. In Punaaia an der Westküste Tahitis nimmt er das Leben wieder auf und schafft Bilder voller Poesie, obwohl es ihm gesundheitlich und finanziell schlecht geht. Wiederholt äußert Gauguin Selbstmordgedanken. Schwierigkeiten mit der Kolonialverwaltung führen dazu, dass er auf die Insel Atuona ausweicht, wo er zwei Jahre später verstirbt. Seine Vorstellung vom Paradies zeigt sich vor allem im Bild "Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?". Die fortschreitende französische Kolonisation Polynesiens verändert allerdings schon zu Lebzeiten Gauguins die Authentizität der Eingeborenen. Das Paradies, das der Maler sucht, ist auch in Polynesien nicht zu finden. "Das Paradies", so stellt Gauguin resigniert fest, "ist anderswo!"


Ein hervorragend geschriebener, unendlich farbenprächtiger, spannender Roman, von großem Tiefgang!



Rezension:Jessica, 30 (Gebundene Ausgabe)

Die Protagonistin dieses Romans ist die dreißigjährige, promovierte Geisteswissenschaftlerin Jessica Sommer. Der Leser lernt die junge Frau im ersten Abschnitt des Buches näher kennen. Dort nämlich führt sie, währenddessen sie joggt, einen inneren Monolog. Man erfährt, dass Jessica keinen festen Job hat, gelegentlich als freie Mitarbeiterin bei einer Frauenzeitschrift arbeitet und mit ihrem Leben unzufrieden ist. Wie sich aus dem weiteren Kontext ergibt, scheint sie ein zutiefst verunsicherter Mensch zu sein, dessen Gedanken unenwegt um den eigenen Körper und das richtige Outfit kreisen.

Jessicas Affäre mit einem machtorientierten Staatssekretär endet nach einem gemeinsam verbrachten Abend in ihrer Wohnung. Aufgrund bestimmter sexueller Vorkommnisse fühlt Jessica sich gedemütigt und sinnt auf Rache. Sie weiß um die Beziehungen, die ihr ehemaliger Lover und andere Politiker auf Staatskosten zu osteuropäischen Prostiuierten pflegen und möchte diese skandalträchtige Angelegenheit der Öffentlichkeit zugänglich machen. Dabei soll ihr ein Mitarbeiter eines bekannten politischen Nachrichtenmagazins helfen.....


Die Autorin zeichnet das Bild einer wenig in sich ruhenden jungen Frau, die sowohl ihren geistigen Fähigkeiten, als auch ihrer körperlichen Attraktivität mißtraut. Indem Jessica versucht es allen recht zu machen, wird es für sie schwer, ihre eigene Mitte auszuloten. Streeruwitz gräbt nach, um zu erfahren, weshalb ihre Protagonistin ein so geringes Selbstwertgefühl hat und hält in der Folge mit harscher Gesellschaftskritik nicht hinter dem Berg....!


Ein exzellent, geschriebener, nachdenklich stimmender Text!



Rezension:Schiller zum Genießen (Broschiert)

Ein sehr schönes Lesebuch mit nachdenklichen Texten des Marbacher Genies zum Schillerjahr. Die Texte sind untergliedert in okkulte Schriften, Schriften zur Kriminalistik, historiographische Schriften sowie Schriften zur Nautik, dramaturgische Schriften, poetologische Schriften, Schriften zur Religion und kleinere Schriften zum Weib, zur Erziehung und zur Medizin.

Am Beginn von Schillers Schaffen stand der Freiheitsdrang gegen die autoritäre Ordnung und patriarchalische Macht, seine aufrichtige Empfindung gegen Manipulation und rationalem Kalkül des Politischen. Entscheidend für den Dichter wurde die Auseinandersetzung mit Kants Philosophie, die er selbstständig weiterentwickelte.

Für Schiller ist vollendete Sittlichkeit- Würde-, allein der Versöhnung von Pflicht und Neigung möglich, während Kant das Primat der Pflicht betont. In der Anmut erscheint geistige und leibliche Schönheit als ästhetische Harmonie vereint.
Schiller erweist sich als illusionsloser Psychologe, wie seine okkulten Schriften und die Schriften zur Kriminalistik deutlich machen.

Sehr lesenswert übrigens sind seine Betrachtungen über Wieland, Herder und Goethe. Über Goethe schreibt er u.a. "Er ist von mittlerer Größe, trägt sich steif und geht auch so, sein Gesicht ist verschlossen, aber seine Augen sind sehr ausdrucksvoll, lebhaft und man hängt mit Vergnügen an seinem Blick. Bei vielem Ernst hat seine Miene doch viel Wohlwollendes und Gutes. Er ist brünett, und schien mir älter auszusehen als er meiner Berechnung nach wirklich sein kann. Seine Stimme ist überaus angenehm, seine Erzählung fließend, geistvoll und belebt und man hört ihn mit überaus viel Vergnügen; und wenn er bei gutem Humor ist, welches diesmal so ziemlich der Fall war, sprich er gern und mit Interesse..."
Ich zitiere diese Charakterisierung, weil sie viel über die Persönlichkeit Schillers aussagt aufgrund seines fairen Blickes gegenüber einem anderen großen Dichter seiner Zeit. Darin zeigt sich Größe.

Bei allem ist Schiller Goethe gegenüber keineswegs unkritisch, denn er führt weiter aus "...ich glaube in der Tat, er ist ein Egoist in ungewöhnlicher Art. Er besitzt das Talent, die Menschen zu fesseln und durch kleine sowohl als große Attentionen sich verbindlich zu machen; aber sich selbst immer frei zu behalten....", und selbstreflektierend schreibt er weiter "Eine Mischung von Hass und Liebe ist es, die er in mir erweckt hat, eine Empfindung, die derjenigen nicht ganz unähnlich ist, die Brutus und Cassius gegen Caesar gehabt haben müssen; ich könnte seinen Geist umbringen und ihn wieder von Herzen lieben."

Beeindruckend finde ich seine Betrachtungen im Hinblick auf Moral, etwas überzogen sein Gedicht "Würde der Frauen" aber wirklich gelungen seine dramaturgischen Schriften.

Ein empfehlenswertes Buch, das dem Leser Friedrich Schiller etwas näher bringt und neugierig auf weitere Texte dieses Geistesmenschen macht.

Rezension: Königin Luise- Briefe

Dieses Buch enthält eine Auswahl der Briefe, die die preußische Königin Luise (1776-1810) verfasste. Den Briefen ist ein Vorwort vorangestellt, das auf wenigen Seiten ihr Leben skizziert. Ich erspare mir den kleinen Text an dieser Stelle gekürzt wiederzugeben, sondern verweise auf meine Rezension zum Buch Königin Luise von Preußen. Ein Stern in Wetterwolken, das sich sehr gut mit dem Leben der Preußin auseinandersetzt.

Luise hatte als Kind die französische Sprache und auch das Briefeschreiben als Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz erlernt. Dr. Sabine Anders, die Herausgeberin der Briefe, sagt in ihrem Vorwort nicht grundlos, dass die Liste der Personen, die Luise ihre Briefempfänger regelmäßig beauftragt zu grüßen und Grüße, die sie selbst ausrichtet, bisweilen den Eindruck vermitteln als hätten Briefe damals einen vergleichbaren Stellenwert und eine ähnliche Funktion gehabt wie das Social Networking mit der Auflistung von "Freunden" heutzutage. (vgl.: S.10)


Man erfährt im Vorwort, dass in jenen Tagen Menschen von Luises Stand jeden Tag oft mehrere Stunden mit Briefeschreiben zubrachten, um die Empfänger zu beeindrucken oder ihnen Respekt zu zollen.


Der Herausgeberin gelingt es, ein recht interessantes Bild von Luise zu zeichnen, indem sie Briefe an ihren Verlobten und späteren Gatten, an ihren Vater, ihren Bruder Georg, aber auch Briefe an die Kaiserin von Östereich, an Kaiser Alexander I., an Freiherrn von Stein, an Freiherrn von Hardenberg und auch an Napoleon sowie andere Persönlichkeiten mehr vorstellt. Diese Briefe decken sich allerdings mit dem Bild, dass in "Königin Luise von Preußen. Ein Stern in Wetterwolken" von der charmanten Preußin gezeichnet wird.


Alle diese Briefe ergeben den Eindruck, dass Luise eine bemerkenswerte, sehr nachdenkliche Frau war, die viele interessante charakterliche Facetten aufwies, die sie zu einer wirklich liebenswerten Person machten, ganz ungeachtet davon, dass sie die anmutige Königin von Preußen war. Luise war ein fabelhafter Mensch von großem Seelenadel. Eindeutig.

Rezension: Die Tage mit Jantien- Max Kruse

Der renommierte Schriftsteller Max Kruse erzählt eine feinsinnige Liebesgeschichte, die am 28.August 1947 ihren Anfang nimmt. Der Protagonist Florian ist ein junger, musisch begabter Mann, der u.a. Gedichte schreibt, aber aus Vernunftsgründen seinen Neigungen nicht beruflich nachgeht, sondern stattdessen die Tuchfabrik seiner Eltern wieder aufbaut.

Verheiratet ist er mit der hübschen, lebenstüchtigen Anne, die ihm beim Aufbau der Firma tatkräftig zur Seite steht. Anlässlich Goethes Geburtstag sind die beiden bei einem Grafen, dem sie geschäftlich viel zu verdanken haben, eingeladen. Der Graf verehrt Goethe und trägt ihm zum Gedenken einige seiner Gedichte vor. Da in der romantisch verschlafenen Stadt Torbruggen kulturelle Veranstaltungen selten stattfinden, sind die Gelegenheiten gering, mit Menschen zusammenzukommen, die etwas anderes denken und von etwas anderem sprechen als von ihren Geschäften, den Affären der Nachbarn und den eigenen Unpässlichkeiten, (vgl.: S.10). Trifft man auf einen Gleichgesinnten anderen Geschlechts ist die Gefahr natürlich groß, dass es funkt, nicht nur im einstmals verschlafenen Torbruggen.

Auf dieser Goethe-Gedenkveranstaltung, die Florian und Anna zunächst mit gemischten Gefühlen aufsuchen, ist auch die schöne Jantien zu Gast. Florian kennt die Kindheitsfreundin seiner Ehefrau bislang noch nicht und verliebt sich sofort in sie, weil er fühlt, dass sie ihm seelenverwandt ist. Dieser Eindruck verstärkt sich, je länger sie miteinander an dem Abend Gedanken austauschen und sich hingerissen voneinander in die Augen sehen.

Von da an entspinnen sich in den nächsten Tagen höchst subtile seelische Verwicklungen bei Klängen von Chopin und Versen von Rilke. Anne beobachtet, was mit ihrem Mann und ihrer Jugendfreundin geschieht. Anne ist recht liberal und dabei sehr bodenständig, denkt an das Geschäft und greift deshalb erst ein als sie merkt, dass Florian von seinen Emotionen davongetragen wird.

Wird die Vernunft über das Verliebtsein siegen?

Max Kruse hat einen Text verfasst, der eine beinahe lyrische Sprachmelodie enthält. Er skizziert das kleinstädtische Bildungsbürgertum der Nachkriegszeit sehr kritisch und verdeutlicht, dass in der Welt des Aufbaus nach dem Kriege eine gelebte Liebe zwischen zwei Bohemiens ein Wagnis war, das einzugehen sehr viel Mut bedurfte. .....

Empfehlenswert.


Rezension: Anatolin: Roman (Gebundene Ausgabe)

Der Autor Hans-Ulrich Treichels befasst sich in seinem neuesten biographischen Roman abermals mit seiner Kindheit und der Vergangenheit seiner Eltern, wie auch seiner Entwicklung als Schriftsteller. Indem der Westfale östlicher Herkunft das frühe Gestern gedanklich abzuwehren sucht, kann er sich davon nicht lösen. So wird es auf diese Weise zum Dauerthema. "Denn nichts rückt mir so nah auf den Leib wie das, was ich fortlaufend abzuwehren suche",(S.85), ist sich der Ich-Erzähler durchaus bewusst.
Wieso eigentlich diese Abwehr, fragt sich der Leser und ist neugierig, welche Antwort Treichel bereithält.
Obschon ich beim Lesen anfangs dachte - Mensch, Junge, jetzt ist aber genug. Der Stoff ist ausgelutscht-, wurde mir nach ein paar Seiten klar, dass das Anliegen dieses Schriftstellers auch noch ein viertes Buch vertragen kann. Unabhängig von Treichels Fans, die ihn nicht grundlos aus stilistischen Gründen schätzen, dürfte das Klientel, das sich von der Thematik angesprochen fühlt, aber nicht sehr groß sein. Leider.

Auf dem Ich-Erzähler liegt die Qual einer Kindheit in den Fünfziger Jahren, die für viele Knaben an sich schon kein Zuckerschlecken war, wegen der zumeist schwarz getünchten, braunen Despotenväter. Auch der Vater des Erzählers züchtigt seine Kinder, die sich vor seinen Grobheiten fürchten. In dieser Kindheit ist Sparsamkeit das oberste Gebot und in der Folge auch die eifrige Mithilfe im Laden der Eltern. Diese haben im Osten Hab und Gut verloren und übertragen die Ängste - nicht bestehen zu können - auf ihre Kinder. Umsatzeinbußen im Geschäft des Vaters lassen bei dem Ich-Erzähler sofort Existenzpanik aufkommen. Als Kind von Heimatvertriebenen wird der Erzähler in Westfalen nur bedingt akzeptiert. Das war normal in jener Zeit, erwies sich aber nicht als Nachteil für die Kinder von so genannten Flüchtlingen, weil sie sich in der Regel intellektuell besser entwickelten als die Kinder der Verwurzelten, so meine Beobachtung.

Noch heute geistern Wörter, wie etwa "Lastenausgleich" durch den Kopf des Erzählers, weil sie einst von den Eltern pausenlos im Munde geführt wurden. Auch das war normal, weil die Menschen aus dem Osten sich finanziell benachteiligt fühlten. Gut das er diese Normalitäten benennt, so werden sie wenigstens nicht vergessen. Optisch lies sich der vergangene Krieg an dem amputierten Arm seines Vaters festmachen.

Kriegversehrte gab es in jenen Tagen noch viele. Sie hinterließen in Kindern allgemein einen Eindruck, den Treichel leider zu wenig beschrieben hat. Darüber nachzudenken und zu recherchieren ist gewiss sehr ergiebig.
Die Eltern übermittelten dem Kind offenbar keine historischen Familienfakten, schwiegen sich, aus welchen Gründen auch immer, aus. Wo lebten seine Großeltern? Weshalb kannte er sie nicht? Was war mit den Vorgenerationen? Jahrelang hat er diese Fragen weggedrängt. Er leidet an biographischer Entleerung, wie er konstatiert.

Die unbewältigte Vergangenheit seiner Eltern holt den Ich-Erzähler heute ein. Es geht nicht darum sich die so genannte "alte Heimat" seiner Vorfahren aufzusuchen oder seinen, während der Vertreibung verloren gegangenen, älteren Bruder wieder zu finden. So lässt sich sein Vergangenheitsproblem nicht bewältigen. Deshalb auch ist es notwendig für ihn abermals zur Feder zu greifen. Die Frage, die sich stellt, ist: Macht es Sinn in einer globalisierten Welt beinahe fiebrig nach alten Verwurzelungen zu forschen? Mir scheint, der Ich-Erzähler sucht etwas anderes als er vorgibt zu suchen.

Bin neugierig auf Treichels vierten Roman zum Thema. Er wird den Leser sicher nicht im Ungewissen lassen.
Stilistisch ist auch diesen Buch wieder superb.


Rezension:Sturmflut- Margriet de Moor

Margriet de Moor erzählt in diesem spannend geschriebenen Roman die Viten zweier eng miteinander verbundener Schwestern, deren beider Leben aufgrund einer verheerenden Naturkatastrophe plötzlich einen dramatischen Verlauf nimmt.

Im Winter 1953 kommt eine der beiden Frauen - Lidy - gemeinsam mit rund 2000 anderen Menschen an der Küste Hollands ums Leben. Dort tobt zu dieser Zeit ein alles zerbersten wollender Orkan. Aufgrund widriger meteorologischer Bedingungen, sowie überalterter Deichbau- Konstruktionen wird das Poldergebiet von Zealand überflutet. Nun holt das bebende Meer sich das zurück, was die Menschen dort über viele Generationen der Nordsee mühsam abgerungen hatten.

Kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Alles geht zu Bruch. Menschen und Tiere sterben. Schließlich zerbröselt das Land aufgrund der herein brechenden Wassermassen. De Moor erzählt einfühlsam von den letzten Stunden Lidys und der Personen, mit denen sie zufällig diese Zeit teilt. Die Autorin zeigt die Angstfreiheit dieser Menschen und deren Bereitschaft miteinander, die sich pausenlos neu stellenden komplexen Probleme anzupacken. Auf diese Weise füllt sie den Begriff "Schicksalsgemeinschaft" beeindruckend mit Inhalt.

Eigentlich hätte Armanda anstelle ihrer Schwester Opfer der Ereignisse werden müssen, denn Lidy entschließt sich spontan zum Geburtstagsfest des Patenkindes ihrer Schwester nach Schouwen- Duiveland zu reisen, damit diese stattdessen zu einer Fete nach Amsterdam gehen kann. Als Folge der Ereignisse verändert sich die Lebensplanung der Studentin Armanda völlig. Sie heiratet den Mann ihrer verstorbenen Schwester und zieht deren Tochter auf. Obgleich Armanda von Sjoerd noch zwei eigene Kinder bekommt, steht ihr die Tochter ihrer Schwester immer am nächsten. Nadja bleibt stets ihr tatsächliches Kind. Armanda fühlt, dass sie im Grunde Lidys Leben weiterlebt und ihre Persönlichkeit im Jahr 1953 zu existieren aufgehört hat. Sie wird depressiv. Die Ehe mit Sjoerd zerbricht, weil der Geist ihrer Schwester immer präsent bleibt.

Armanda wird zum bedauernswerten Sekundär- Opfer der Sturmflut, denn sie glaubt das Recht auf eine selbstbestimmte Existenz verwirkt zu haben, nachdem ihre Schwester auf so unfaire Weise aus dem Leben gerissen worden ist. Armanda kann nicht aufhören sich für den Tod ihrer Schwester verantwortlich zu fühlen, vielleicht weil sie letztlich mehr an Selbstbestimmung als an eine irgendwie geartete Fremddisposition glaubt. Das ist Armandas Tragödie. Ein nachdenklich stimmender, empfehlenswerter Roman.

Überall im  Fachhandel erhältlich.

Rezension: Draußen nur Kännchen - Asfa - Wossen Asserate

Im vorliegenden Buch wird Deutschland, die deutsche Kultur und die Deutschen an sich von einem ganz besonderen Blickwinkel aus betrachtet. Der Autor, Asfa-Wossen Asserate ist nämlich nicht Kulturhistoriker einer europäischen Universität, sondern Prinz aus dem äthiopischen Kaiserhaus.

Dies allein ist natürlich noch nicht geeignet, sich ein Bild über die Deutschen zu machen. Wenn man aber liest, dass der Prinz schon seit frühester Kindheit durch deutsche Kindermädchen im kaiserlichen Haus mit der Kultur unseres Landes vertraut gemacht wurde, dass er die deutsche Schule in Addis Abeba besuchte und auch dort das Abitur ablegte, weiterhin seine Studien in Geschichte und Jura u.a. auch in Tübingen bewältigte, dann versteht man, dass der Blick dieses Mannes auf Deutschland ein sehr interessanter Blickwinkel ist.

Der Autor zeichnet anhand von eigenen Erfahrungen, die er uns bildlich sehr anschaulich in Form von persönlichen Erlebnissen nahebringt, wie die deutsche Mentalität auf ihre ureigenste Weise sich darstellt.

Auf seinen vielen Reisen durch die Republik, die er unternommen hat, entwickelte der äthiopische Betrachter ein feines Gespür für die unterschiedlichen Volksgruppen. Mit sicherem Blick erkennt er die unterschiedlichen Mentalitäten und es gelingt ihm hervorragend diese ethnischen Eigenheiten miteinander zu vergleichen. Zum besseren Verständis bemüht sich der Autor, die Ursprünge in geschichtlicher Einvernahme zu verdeutlichen.

Bei allem faktischen Bemühen hinter die Deutschen zu schauen, ist dem Prinz allerdings die tiefe Zuneigung, die er zu diesem Land hat, anzusehen. Wer glaubt, dass die Lektüre des Buches durch trockene Fakten ermüdet, irrt, denn Asserate versteht es, mit viel Humor und Augenzwinkern auch schwierige Verhaltsmuster anschaulich und verständnisvoll zu vermitteln.

Empfehlenswert.

Rezension: Menschenflug-Treichel

Diffuse Ängste plagen Treichels zur Schwermut neigenden Protagonisten, Stephan. Der Wahl- Berliner steht gerade vor seinem zweiundfünfzigsten Geburtstag. Akademischer Rat sowie erfolgreicher Schriftsteller ist er und verheiratet mit Helen, einer ebensolch erfolgreichen Psychoanalytikerin. Die Ehe, die er mit ihr führt, ist nicht unglücklich. Geliebt und verstanden fühlt er sich von dieser Frau. Obgleich seine Lebensumstände keinen Grund zur Besorgnis liefern, spürt Stephan jedoch tiefen Kummer und sein Herz beginnt zu stolpern. Er entschließt sich eine " Auszeit" von Job und Familie zu nehmen, um sich mit den Ursachen für seine immer wiederkehrende Tristesse auseinander zu setzen. 

Er weiß, dass die düstere Stimmung mit seiner unverarbeiteten Kindheit, der Flucht seiner Eltern aus dem Osten nach 1945 und dem auf dem Treck verloren gegangenen Bruder zusammen hängt. Er erinnert sich der pausenlosen Schuldgefühle seiner verstörten Mutter, der Aggressivität seines kriegsversehrten Vaters und des nie enden wollenden Gefühls bloßer Ersatz zu sein. Diese Verunsicherungen schleppt Stephan seit seiner Kindheit mit sich herum und zeigen sich im Ansatz in nicht offen zum Ausdruck kommender Eifersucht gegenüber Helens geschiedenem Mann, sowie diversen Furchtsamkeiten. 

Nach Ägypten reist Stephan und besucht Stätten archäologisch bedeutender Ausgrabungen. Dort hat er, wenn man so will, ein Schlüsselerlebnis mit einer beinahe sechzigjährigen Archäologin. Nachhause zurückgekehrt, beginnt er daraufhin die alte Familiengeschichte auszubuddeln. Er besucht seine Geschwister, sucht schließlich nach seinem Bruder und befasst sich mit den wolhynischen Wurzeln seiner Vorfahren. Seine familiäre Sehnsucht läßt den entwurzelten Stephan sogar an einem landsmannschaftlichen Treffen von Wolhyniern teilnehmen, das allerdings ebenso abschreckend auf ihn wirkt, wie die Begegnung mit seinem vermeintlichen Bruder. Der Osten bleibt Stephan fremd und sein verloren gegangener Bruder ein Phantom, welches im Grunde auch im Jetzt keinen realen Platz erhalten kann. Indem sich der Wanderer zwischen zwei Welten vom Gestern verabschiedet, wird sein bleischweres Herz leichter, federleicht....

Nur derjenige, der sich von Anhaftungen löst, hat die Chance zu schweben und der alten Idee des Menschenflugs nahe zukommen. Vielleicht gelingt Stephan am Ende seine Reise zu sich selbst genau eben dies....Ein wirklich, empfehlenswertes Buch, welches sich auf subtile Weise mit Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzt und dabei aufzeigt, wie der uneingestandenene Trübsinn der alten Verdrängergeneration auf deren Kinder projiziert worden ist und diesen mitunter bis zum heutigen Tag das Leben schwer macht!