Engeldarstellungen kannte man früher zumeist nur als Teil der Innenausstattung in katholischen Kirchen, auf Bildern über dem Bett kleiner Kinder oder als kitschigen Weihnachtsschmuck.
Engel zu vermenschlichen, war schon immer eine Unverschämtheit, denn Engel sind unsichtbare Lichtwesen, ohne Flügel und ohne goldene Locken. Sie übernehmen gewisse Schutzfunktionen und wollen vermutlich ansonsten in ihrer Welt des Nicht- Dinglichen in Ruhe gelassen werden.
Irgendwann vermarktete ein hochwertiger Porzellanwarenhersteller entzückende Biskuitengel, die das vom Kommerz geprägte Kinderherz in uns zum Frohlocken brachten. Endlich Weihnachten, das ganze Jahr….! Geschenke im Überfluss...! Zu diesem Zeitpunkt war der Engelkult allerdings schon allgegenwärtig. Deshalb musste auch im Premiumbereich darauf reagiert werden. Engel für jedermann. Engel für alle.
Beim Heinrich- Böll-Leser meldete sich beim Anblick der Biskuitteile sofort die Erinnerung an eine Erzählung mit dem Titel "Nicht nur zur Weihnachtszeit" und hier an die hysterische Tante Milla und ihren Wunsch nach Dauerweihnachten.
Sind mittlerweile viele Menschen, ähnlich wie Tante Milla hysterisch geworden? Oder weshalb finden sich vielerorts immer öfter mit Engeldarstellungen zugemüllte Wohnungen? Was erwarten Leute von diesem Tand in allen Preislagen? Doch nicht etwa Schutz?
Wer sich im Internet kundig macht, erfährt viel Esoterisches über diese von der Industrie vergewaltigten Himmelswesen. Zwischenzeitlich gibt es Hunderte von Büchern und Karten, die das Thema esoterisch ausloten, zudem hat die Industrie mittlerweile Unmengen von Bildern, Figuren, Essenzen und tausend anderen Dingen auf den Markt geworfen und es werden sogar Engelkurse angeboten. Man hat nicht zuletzt die Möglichkeit, selbst zum Engel zu werden. Das aber setzt dauerhafte Hilfsbereitschaft voraus, die in unserer Gesellschaft eher unterentwickelt ist.
Charlotte Stern hat eine kurzweilig zu lesende Geschichte geschrieben, die den ironischen Titel "Mein Engel wacht im Küchenschrank" trägt. Hier erzählt sie Episoden aus dem Leben von Lucy, einer jungen beruflich aufstrebenden, verheirateten Frau, die plötzlich den esoterischen Engelkult für sich entdeckt und die eheliche Wohnung zu einer Engel-Kultstätte umfunktioniert. Lucy, übersetzt, "die Leuchtende" ist als Namen für die phasenweise engelbesessene Protagonistin sehr gut von Carola Stern gewählt worden, deren Nachname, dieses Leuchten erleuchtend spitzbübisch spiegelt.
Der Leser erlebt in dieser an eine Komödie erinnernden Geschichte die Schwierigkeiten einer durch den Kult immer mehr verblendeten jungen Frau mit ihrem Ehemann sowie im Beruf und auch ihr Erwachen aus dem selbst gestalteten Alptraum, der sie erwachsen geworden, in ihr Leben entlässt, dessen positive Seiten sie nun- gewissermaßen erleuchtet- erkennt.
Die Erzählung eignet sich sehr gut dazu, als turbulente Komödie verfilmt zu werden. Sie ist amüsant, fein ironisch und voller Verständnis für die betroffene Klientel. Das macht sie eindeutig:
Empfehlenswert.