Die Autorin dieser 13 Kurzgeschichten ist die 81 jährige Psychoanalytikerin Jane Campbell. 2017 hat sie ihre Story "Katzenbuckel" ungefragt an die renommierte "London Review of Books" geschickt, wurde umgehend veröffentlicht und erhielt begeisterte Zuschriften. Das vorliegende Buch "Kleine Kratzer" ist ihr Debüt.
Die Protagonistinnen der Kurzgeschichten sind allesamt hochbetagt, jedoch alles andere als alt. In ihnen pulsiert noch Leben in Form von Verrücktheiten, Hoffnungen und Erkundungs-bzw. Entdeckungsdrang.
Psychologisch tiefgründig und nicht selten von hintergründigem Humor räumt Jane Campbell mit herkömmlichen Altersvorstellungen auf.
Auf den Inhalt der einzelnen Kurzgeschichten einzugehen, würde bedeuten, die Lesefreude zu minimieren. Fragen nach der Lektüre also: Was machen die wirklich kurzen Geschichten mit Ihnen? Lösen sie Angst vor dem Altwerden aus? Oder amüsieren sie Sie eher? Wie entspannt geht man selbst mit dem Altwerden um?
In einer ihrer Geschichten schreibt Campbell "Das Altern wird oft als Phase der Kumulation dargestellt, der Anhäufung von Krankheiten, Beschwerden, Falten, aber in Wirklichkeit ist dies ein Prozess der Enteignung, Freiheit, Respekt Lust, all das, was man früher so selbstverständlich besessen und genossen hat, wird einem nach und nach genommen. Ich konnte Männer früher ziemlich leicht verführen, natürlich erst nachdem ich meinem Mann entkommen war. Es waren verheiratete Männer, deshalb war ich bei ihnen sicher. Wir konnten gemeinsam in Wellen der Lust, des Verlangens und der Sehnsucht ertrinken, gefolgt von kurzen ekstatischen Phasen der Befriedigung und Freude und ungeheurer Dankbarkeit für das schiere Glück unserer Lage...“ (S.45) Doch lesen Sie bitte selbst weiter. Ist Enteignung im Alter ein notwendiges Muss?
Da ist da noch diese wunderbare Geschichte "Vom Alleinsein" und der Entdeckung einer Innigkeit, die man wohl - ohne sentimentale Anwandlungen - als Liebe bezeichnen muss.
Wer sich Neuem nicht verschließt, wird Neues entdecken bis ins hohe Alter, wird sich Wünsche und Hoffnungen erlauben, wird leben. Dies die schöne Botschaft dieses ungewöhnlichen Buches. Die 81 Psychoanalytikerin muss es wissen. Wenn sie nicht, wer sonst?
Maximal empfehlenswert.
Helga König
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