Hans-Ulrich Treichel, der Verfasser dieser Erzählung ist  Professor  am Deutschen  Literaturinstitut der Universität Leipzig. 
Er  schreibt  von einer bereits  betagten Frau, die während der Erzählzeit  ihren toten Sohn in den Armen hält.  Wie sie  berichtet, ist dieser an Krebs verstorben.  Sie hatte den Kranken in ihrer kleinen Wohnung  bis zu seinem Ableben gepflegt.  Dem Verblichenen erzählt sie  all das, was sie zu dessen Lebzeiten ihm niemals mitgeteilt hätte, vielleicht weil  es  in ihrer Generation unüblich war, negative Erfahrungen anderen zu offenbaren. Die Kriegsgeneration  kannte kein Selbstmitgefühl. Man hatte sie gedrillt, hart gegen sich selbst zu sein und stumm alles hinzunehmen, was Folge der Diktatur war. 
Die Mutter  erzählt zunächst vom  schwierigen Aufbau des Geschäftes nach der Flucht aus dem Osten, das ihr Mann und sie ihr Leben lang geführt hatten,  erzählt vom täglichen Verzicht und von der Tatsache, dass sie und ihr Ehemann sich nicht schonten, um wieder auf die Beine zu kommen. Einfach war es nicht, denn ihr Gatte hatte im Krieg einen Arm verloren. 
Die Ich-Erzählerin berichtet auch von den kleinen Freuden, den ersten Sammeltassen, dem ersten Kostüm, dem ersten Wohlstand, der sich im Kauf eines Elektroherdes und eines Klaviers, das für den Sohn  gedacht war, zeigte.  Über all  den Momenten der Freude aber lag ein spürbarer  Schatten und der begründete sich  in  ihrer Vergewaltigung zu Ende des Krieges durch drei russische Soldaten. 
Ihr Gatte musste  diese mehrfache Vergewaltigung  mit ansehen und konnte die Gedemütigte nicht retten. Die  schüchterne Frau  verführte damals   unmittelbar nach diesem Ereignis ihren jungen Ehemann zum Beischlaf, weil  sie Angst hatte, aufgrund der Vergewaltigung geschwängert worden zu sein. Sie hoffte, dass im Falle einer Schwangerschaft, es unklar blieb, wer der Vater sei. Naiv wünschte sie, dadurch ihre Beziehung zu retten. 
Wie sich  alsbald herausstellte, war sie tatsächlich schwanger. Die Vaterschaft blieb ungeklärt. Der Sohn  erfuhr zeit seines Lebens nie von den Geschehnissen seiner Zeugung in der Hölle von Konin im heutigen Polen. Die Tatsache, dass das Paar keine weiteren Kinder bekam, deutet darauf hin, dass die Liebesbeziehung durch die Verdrängung der dramatischen Ereignisse zerbrochen war.
Die trauernde Mutter beichtet selbst dem in ihren Armen ruhenden verstorbenen Sohn nicht ihre Scham,  die sie aufgrund der Vergewaltigungen ihr ganzes Leben über hatte, sondern bekennt diese erst als sie das Totenzimmer geschlossen hat. Sie und ihr Mann schämten sich beide des damaligen Ereignisse wegen und verbargen die Scham voreinander. Dadurch konnten sie aber nicht mehr zueinander finden und waren füreinander  verloren. Das Kind  konnte sie  nicht erlösen und zwar des Zweifels wegen, so  das späte Bekenntnis der Mutter. 
Man muss sich natürlich die Frage stellen, ob die  Frau  von ihrem Ehemann  in ihrem Trauma allein gelassen wurde als er Jahre später  einen Vaterschaftstest erwünschte. Sie verweigerte übrigens den Test. 
Meiner Erfahrung nach führt Ungewissheit in diesen Dingen stets zu angespannter Sprachlosigkeit und unterschwelliger Aggression.  Ich kannte eine Familie, die zerbrach an  einer solchen Lebenslüge. Offen mit dem was war umzugehen, gibt die Chance für einen Neuanfang. Alles andere  bedingt ein Leben in einem Totenhaus. 
Eine sehr berührende, zum Nachdenken  anregende Erzählung. 
Sehr empfehlenswert 
Helga König
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