Sandor Márai zählt zu meinen Lieblingsschriftstellern. Mit großem Interesse habe ich während der letzten Abende "Befreiung" gelesen. Bevor ich die Leküre begann, habe ich mich allerdings erst mit dem Nachwort Lázsló F. Földényis beschäftigt. Hier erfuhr ich, dass der Roman am 3. Januar 1945 seinen Anfang nimmt und die Protagonistin Erzsébet zunächst im Geiste die zurückliegenden zehn Monate reflektiert. Hier las ich auch vom Schrecken des Pfeilkreuzerterrors. Diese Pfeilkreuzer waren eine faschistische Gruppierung, die unter F. Szálasi 1944-45 die Macht in Ungarn besaßen und ihr Unwesen trieben.
Márai lässt in sein Buch viel Eigenerfahrung einfließen, denn er hat das Ende des 2. Weltkrieges in Budapest miterlebt. Sein Haus wurde zerbombt, seine fünftausend Bände umfassende Bibliothek wurde in diesem Zusammenhang vernichtet.
"Befreiung" erzählt die Schwierigkeiten, die die junge Frau Erzsébet und ihr Vater haben, ein liberaler Wissenschaftler, der sich für die Zwecke der Nazis nicht missbrauchen lässt, sein Hab und Gut dazu nutzt, verfolgten Menschen in den Untergrund zu verhelfen und schließlich selbst abtauchen muss. Aufgrund der Schreckensherrschaft der Pfeilkreuzler-Henkersknechte sind zum Schluss auch "die letzten, mutigeren Freunde vergängstigt." In jenen Tagen wurde "massenweise verraten, wurden anonyme Briefe geschrieben oder man eilte mit vollem Namen, persönlich, einen Unglücklichen anzuzeigen, der sich im Getümmel dieser amoklaufenden letzten Runde erschöpft in die Ecke eines der hohlen Schlupfwinkel zurückgezogen hatte."
Marai lässt den Leser wissen, dass bei vielen Menschen Anteilnahme, Hilfsbereitschaft, "alle besseren menschlichen Gefühle" versiegt waren. Erzsébet ist ein Engel, eine Frau, die gegen diesen Strom schwimmt, ihrem Vater beisteht, für ihn ein Versteck findet und selbst später in einem Keller mit anderen Bewohnern der Befreiung von den Nazis entgegenfiebert. Man liest von den Ängsten der Zivilbevölkerung vor den Bomben, die zivile Häuser, Höfe, Brücken und Schutzräume trafen und erfährt von den argwöhnisch, gereizten Tönen. Erzsébet spürt im Keller mehr, was sich in den Seelen der Menschen ereignet als sie es verstehen bzw. in Worte fassen konnte.
Von einem Hausmeister ist die Rede, der mit Vorsicht zu genießen ist. Alle Personen im Luftschutzkeller wissen nicht, was ihnen bevorsteht, wenn sie seitens der Russen von den deutschen Besatzern und den ungarischen Pfeilkreuzlern befreit sind. Dennoch sehnt Erzsébet die Befreiung herbei.
Es gibt im Buch gewiss ebenso viele Reflektions- wie Handlungsebenen. Das spricht für seine Qualität. Marai schreibt an einer Stelle: "Man kann vom Verstand her nicht fassen, dass die Leute sogar noch jetzt rauben, Leben und Vermögen vernichten, ziellos im letzten Augenblick, einfach nur, weil es möglich ist." Er erklärt sich dies damit, dass sie wahnsinnig sind und ein Wahnsinniger eben ohne Sinn und Verstand agiert, nur weil man es machen kann. Einer solche Begründung stimme ich zu. Sie entspricht auch meinen Beobachtungen.
Erzsébet lernt in Gesprächen mit unterschiedlichen Personen ihre eigenen Vorurteile zu überdenken und wünscht sich nichts mehr, als dass der Hass der Menschen sich verringert und alle friedlich miteinander leben können. Sie ahnt schon jetzt, dass dies auch nach der Befreiung nicht möglich sein wird. Das bestätigt sich zu Ende des Romans, bevor sie einem unbekannten Schicksal entgegen geht.........
Ein bemerkenswerter Roman, der sich mit dem Ende der bürgerlichen Welt in Ungarn auseinandersetzt, ausgelöst durch die Nazis und weitergeführt durch die Kommunisten.
Ich möchte eine längere Textpassage zu Ende dieser Rezension auf meinem Rezensionsblog zitieren, die mir besonders gut gefallen hat und die viel über das Denken Marais aussagt: " Es kommt vor, dass man liebt, sehr liebt."..."Und dann ist ein Mensch stark. Vielleicht kann man sogar Leben retten, wenn man jemand liebt. Es gibt einen Seelenzustand oder einen Nervenzustand, den die Menschen Liebe nennen und der dauerhaft sein kann, das stimmt. Ein solcher Seelenzustand bewegt große Kräfte in einem Menschen. Wenn jemand liebt, wird er mehr, mächtiger, auch das ist wahr. Aber dieser Zustand ist vergänglich. Er vergeht und es bleibt der bloße Mensch. Nein...auch die Liebe gibt keine Befreiung. Es gibt nur eine Art von Befreiung."............"Wenn jemand stark genug ist, die Wirklichkeit in ihrer wahren Natur zu erkennen"......Ein derart starker Mensch ist der Befreiung schon ganz nah. Und er erträgt sie, ohne Kränkung, weil es die Wirklichkeit ist. "
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