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Rezension: Das Archiv der Gefühle-Peter Stamm-S. Fischer


Der Protagonist dieses Romans- ein Ich-Erzähler- hat die meiste Zeit seines Lebens als Archivar gearbeitet und setzt diese Tätigkeit sogar fort nachdem er- nach Jahrzehnten akribischen Ordnens - entlassen worden ist. Jetzt pflegt und ordnet er in den Kellerräumen seines ererbten Elternhauses die Papier-Sammlung aus seiner Berufszeit und entzieht sie auf diese Weise der arbeitssinnentleerenden Entsorgung. 

Der Archivar lässt die Leser wissen, dass der wahre Zweck eines Archivs darin bestehe, Ordnung zu schaffen und dass diese Tätigkeit sehr zeitintensiv sei. Diese Zeit nimmt er sich und isoliert sich-  Papiere ordnend - in seinem Elternhaus vollkommen. Dieser Rückzug lässt ihn nur noch träumend in der Vergangenheit existieren.

Wie sehr die Arbeit im Archiv ihn tatsächlich lähmt, d.h. die Liebe zum Leben und zum Lebendigen nicht aufkommen lässt, bemerkt er nicht, denn seine Gedanken und Träume kreisen um seine Klassenkameradin und Jugendfreundin Franziska, die im Gegensatz zu ihm nach dem Abitur eine Lehre als Krankenpflegerin absolvierte, also etwas dem Leben zugewandtes unternahm, während er Geschichte und Philosophie studierte, nicht zuletzt auch in dem vor Leben sprudelnden Paris. Doch selbst diese Stadt kann ihn nicht entzünden.

Franziskas eigentliche Ambition ist es, Sängerin zu werden. Sie schafft es schließlich, durch ihr unverbrüchliches Engagement unter dem Namen „Fabienne“ als Schlagersängerin berühmt zu werden.

Während sie dem Leben zugewandt ist und das Lebendige und damit auch den Erfolg anzieht, bleibt der Archivar in seinen wenig Erfolg versprechenden Ordnungssystemen stecken, wird weder Philosoph noch promoviert er, sondern ist zufrieden, "die immer gleiche Arbeit zu machen, zu lesen, auszuwählen und Ordnung zu schaffen."

Das unterschiedliche Temperament der beiden engen Freunde ließ in jungen Jahren keine Liebesbeziehung zu. Wohl ziehen sie einander an, doch Franziska, die Tatkräftige, weiß, dass ihr Freund ihr letztlich in ihrer Persönlichkeitsentwicklung als Liebespartner im Weg stünde und behauptet, nachdem sie sich geküsst haben, sie liebe ihn nicht. 

Irgendwann wird der Kontakt loser und bricht schließlich für lange Zeit ab. Beide gehen ihrer Wege, haben Affären, doch keine ihrer Beziehungen ist von Bestand. Der Archivar, der Franziska noch immer zu lieben meint, sammelt alle Zeitungsberichte über sie und ihren beruflichen Erfolg, auch über ihre vielen Affären. 

Ihre Akte, die er in seinem Archiv selbstverständlich auch aufbewahrt hat, enthält Artikel, Interviews, Kritiken und von ihr selbst verfasste Texte, geschrieben in einem Zeitraum von mehr als 30 Jahren. Immer dann, wenn wieder einmal eine von Franziskas Beziehungen zerbrochen war, durchlebte der fiktiv Liebende glückliche Monate voller Hoffnung, bis ein neuer Mann an ihrer Seite auftauchte, so die Worte des Ich-Erzählers. 

Jahrzehnte nicht gelebten Lebens vergehen, bis er schließlich aufhört, in seinem selbst geschaffenen Gefängnis zu leben, bis er plötzlich lebendig wird und auf diese Weise "Fabienne", - nicht Franziska- anzieht, eine Frau, die viel erlebt und gelebt hat, die weiß, dass in ihrem vergangenen Leben, kein Platz für eine bedingungslose Liebe war, wie sie ihr Jugendfreund von ihr vermutlich eingefordert hätte. Eine solche Liebe hätte sie in der Entwicklung ihres Selbst blockiert. 

Doch wie alles ist auch eine solche Betrachtung der Veränderung unterworfen, denn in einem selbst bestimmten Leben ist viel Platz für eine nicht einengende Liebe, wenn sie sich der Archivierung entzieht und täglich neu gelebt wird… 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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